© Jeff Mangione, Kurier

Interview

Neelie Kroes: "Wechseln Sie den Betreiber"

futurezone: Viele Internet-Anbieter in der EU greifen in den Internet-Verkehr ein oder behalten sich vor das zu tun. Laut einem Bericht europäischer Regulierer sind etwa Sperren und Drosselungen bei Diensten wie Internet-Telefonie oder Peer-to-Peer-Netzwerken keine Seltenheit. Was planen Sie, um sicherzustellen, dass in Europa kein Zwei-Klassen-Internet entsteht?
Kroes: Ich will sicherstellen, dass Internet-Nutzer auch tatsächlich vollen Internet-Zugang bekommen, wenn sie sich dafür entscheiden. Ich habe im Mai die Daten von den europäischen Regulierern bekommen und nun bereite ich eine Empfehlung vor, mit der die Wahlmöglichkeit der Kunden vergrößert werden soll. Die Konsumenten brauchen klare Informationen über ihre Internet-Geschwindigkeit und was sie mit ihrem Internet-Zugang machen können. Sie sollten klar und deutlich darüber informiert werden, wofür sie bezahlen. Klar quantifizierte Angaben sind besser als vage Fair-Use-Regelungen. Wenn Sie Champagner bestellen und nur Schaumwein bekommen, dann müssen Sie das auch wissen.

Gesetzliche Regelungen lehnen Sie ab?
Ich will nicht in einen wettbewerbsorientierten Markt eingreifen, wenn es nicht notwendig ist. Das kommt nur infrage, wenn ich es als erwiesen ansehe, dass es die einzige Möglichkeit ist. Schlechte Gegenmittel können schlimmer sein als die Krankheit. Ich strebe nicht an, jeden Anbieter dazu zu verpflichten, vollwertiges Internet anzubieten. Es gibt auch Leute, die darauf keinen Wert legen. Wenn Sie aber dafür bezahlen und Sie bekommen etwas, was den Namen Internet nicht verdient, dann ist das nicht fair und Sie können den Anbieter wechseln. Bitte stimmen Sie doch mit Ihren Füßen ab und wechseln Sie den Betreiber.

Mit der Digitalen Agenda versprechen Sie jedem Europäer bis 2013 Breitband-Internet. Werden Sie dieses Ziel erreichen? Welche Maßnahmen sind notwendig, um den Netzausbau weiter voranzutreiben?
Ja, wir werden das Ziel erreichen. Für die Zukunft brauchen wir aber Investitionen der Betreiber in Hochgeschwindigkeitsnetze. Ich bin zuversichtlich, dass das auch geschehen wird. Daneben wird es auch EU-Mittel geben, mit denen auch die Entwicklung neuer Dienste für die schnellen Netze stimuliert werden soll.

Die EU-Kommission strebt gemeinsam mit den Anbietern eine Regelung zum Cloud-Computing an. Welche Punkte sind Ihnen dabei wichtig?
Cloud Computing hat ein großes wirtschaftliches Potenzial. Kleine und mittlere Unterrehmen können damit Kosten sparen. Das Ausmaß ist enorm. Privatkunden bekommen dadurch ein Schließfach im Internet, in dem sie ihre Daten aufbewahren können. Wir müssen die Regeln definieren und es muss auch möglich sein, Anbieter zu wechseln und Daten von einem Schließfach zu einem anderen zu transferieren. Cloud Computing muss transparent und offen sein und Nutzer dürfen nicht ihr Leben lang von einem Anbieter abhängig sein.

In den vergangenen Monaten haben Sie sich auch wiederholt für eine umfassende Urheberrechtsreform stark gemacht.
Das Urheberrecht gehört nicht zu meinem Portfolio, was ich - um offen zu sein -  sehr bedaure.

Sie haben aber dennoch wiederholt dazu Stellung bezogen. Wo sollte eine solche Reform ansetzen?
Eine Urheberrechtsreform ist dringend notwendig. Je länger wir warten, desto größer wird das Problem. Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Die Anzahl der Urheberrechtsvergehen steigt und die Leute gewöhnen sich daran. Der für diese Fragen zuständige Kommissar Michel Barnier und ich sind daran interessiert, dass Künstler und Rechteinhaber anständig bezahlt werden sollen. Das müssen wir angehen. Es gibt einige Vorschläge, etwa für verwaiste Werke, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Wir müssen uns darüber klar werden, was auf dem Spiel steht und brauchen dringend Lösungen.

Was hat die Kommission aus den Protesten gegen das umstrittene ACTA-Abkommen gelernt?
Wir haben gelernt, dass wir kommunizieren und unsere Ziele auch erklären müssen. Bei ACTA haben wir den richtigen Zeitpunkt verpasst und haben es verabsäumt zu erläutern, worum es uns geht. Es gab viele Missverständnisse.

Viele Leute sind über die zunehmende Überwachung des Internet besorgt - Auch über das Blockieren von Webseiten - Wo ziehen Sie die Grenze?
Ich bin dafür, dass wir solche Maßnahmen nur in sehr speziellen Fällen und auch sehr vorsichtig anwenden sollten, etwa bei Kinderpornographie.

Auf dem ITS-Weltkongress in Wien wurden vergangene Woche zahlreiche Lösungen für intellegente Verkehrsmanagement-Systeme vorgestellt. Auch die EU will solche Systeme fördern - etwa mit einer Initiative zu Smart Cities. Es gibt aber viele offene Fragen bei solchen Diensten, die von Investitionen über Fragen der Interoperabiltität bis hin zur Verfügbarkeit der Daten reichen. Wie können diese Probleme gelöst werden?
Durch Zusammenarbeit, Forschung und Innovation. Die digitale Wirtschaft ist für Europa sehr wichtig. Sie wächst jährlich um mehr als zwölf Prozent. Die Wirtschaftsleistung ist dabei schon höher als jene einiger Staaten. Wir müssen uns auch darüber bewusst sein, dass wenn wir über die Wirtschaftskrise sprechen und dafür Lösungen suchen, dass es nicht nur um Sparprogramme gehen kann. Es geht auch um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Bei Smart Cities und intellegentem Verkehrsmanagement geht es um Mobilität, Umwelt und Energieverbrauch. Von solchen Lösungen können alle Mitgliedsstaaten profitieren.

In diesen Bereichen spielt auch die Verfügbarkeit von Daten eine große Rolle. In Wien ist es Entwicklern beispielsweise nicht möglich, Daten der öffentlichen Verkehrsbetriebe zu nutzen.
Wir versuchen die Freigabe von Daten zu forcieren. Die Leute haben als Steuerzahler für viele Daten bezahlt und sollten sie auch nutzen können. Wir haben dazu auch Vorschläge in Arbeit.

Sie meinen die Überarbeitung der EU-Richtlinie zur Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors, die Sie Ende 2011 vorgestellt haben. Wann wird sie in Kraft treten?
Je schneller, desto besser. Offene Daten bringen schon heute 32 Milliarden Euro jährlich an Wirtschaftsleistung. Unsere Vorschläge können diese Summe mehr als verdoppeln. Jetzt sind der Europäische Rat und das Parlament am Zug. Wie auch immer, ich bin zuversichtlich, dass die Direktive noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten wird.

Die EU-Kommission versucht seit 1999 Roaming-Tarife für Auslandstelefonate und Datennutzungen zu verringern bzw. ganz loszuwerden. Wann werden Roaming-Tarife der Vergangenheit angehören?
Wenn es einen wirklichen digitalen Binnenmarkt und keine künstlichen Grenzen mehr gibt. Aber so weit sind wir noch lange nicht und es wird sich wohl in dieser Legislaturperiode auch nicht mehr ausgehen. Es wird innerhalb der nächsten zwei Jahre weitere Senkungen der Tarife geben. Mein Traum ist es aber, überhaupt keine Roaming-Tarife zu haben.

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Zur Person:
Die liberale niederländische Politikern Neelie Kroes ist seit 2010 als EU-Kommissarin für die Digitale Agenda zuständig. In ihr Ressort fallen der Netzausbau ebenso wie Fragen der Telekomregulierung und der Informationsgesellschaft.  Davor war Kroes Wettbewerbskommissarin und verhängte in dieser Funktion hohe Geldstrafen gegen Microsoft.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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