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Nach EuGH-Urteil

„Netzsperren für Internetanbieter schwer durchführbar“

Für Internet Service Provider (ISPs) beginnt nach dem EuGH-Urteil eine schwierige Zeit mit vielen offenen Fragen, die schwierig zu lösen sein werden. Konkret sieht der EuGH Internetanbieter als Vermittler für den Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken wie Filme, Musik und Literatur und zwar unabhängig davon, ob sie auch für das Anbieten dieser Werke Dienstleister sind.

In dieser Rolle als Vermittler müssen die Internetanbieter ihre Kunden künftig daran hindern, urheberrechtlich geschützte Werke illegal zu nutzen, so der Gerichtshof. Sie seien verpflichtet, den Zugang zu bestimmten Inhalten wirksam zu unterbinden. Wie genau der Provider das anstellt, bleibt ihm überlassen.

Doch was ist aus technischer Sicht wirklich „wirksam“? Ein Provider kann eine Webseite im technischen Sinn nämlich nicht einfach „sperren“, da er keinen Zugriff auf den Webserver hat, sondern er kann eine Seite nur mit anderen Methoden blockieren, in dem er sie vor seinen Kunden unsichtbar macht. Im Hintergrund bleibt die Seite online.

DNS-Sperren

Eine dieser Möglichkeiten ist die DNS-Sperre, die die Übersetzung der Web-Adresse in die IP-Adresse verhindert. Jede Webseite muss in die technische Anschrift, die IP-Adresse, übersetzt werden. Das läuft über das „Domain Name System“ (DNS), eine Art „Telefonbuch für Webseiten“. Wenn dies verhindert wird, können Internet-Nutzer die Seiten nicht mehr direkt aufrufen.

Diese Art der Sperre kann jedoch technisch mit einfachen Mitteln umgangen werden. Wer in der Suchmaschine seiner Wahl eingibt, wird sofort mit zahlreichen Anleitungen fündig. Einerseits können Nutzer auf andere DNS-Adressbücher ausweichen, andererseits können sie einen VPN-Zugang benutzen oder über Anonymisierungsdienste wie Tor zugreifen. Als in der Türkei Twitter gesperrt war, haben viele Internet-Nutzer auf diese Methoden zurückgegriffen.

Der EuGH weiß natürlich, dass man derartige Sperren relativ einfach umgehen kann. Es reicht ihm daher aus, dass das Aufrufen der illegal verbreiteten Filme oder Musik „hinreichend erschwert“ werde.

80 Prozent umgehen Sperre nicht

Die Urheberrechtsindustrie bezieht sich beim einfachen Umgehen von Sperren zudem gern auf eine Studie aus dem Jahr 2010 für das Hansenet-Verfahren, aus der hervorgeht, dass rund 80 Prozent der verkehrsbeteiligten durchschnittlichen Internetnutzer, die Internetseiten mit Angeboten von Filmen zum Streaming oder Download besuchen, im Fall einer vom ISP eingerichteten Zugangssperre nicht nach Möglichkeiten suchen würden, um auf einem anderen Weg zu dem gesperrten Internetauftritt zu kommen. Ob das wohl auch für Serien-Junkies, die die neueste Staffel von „Games of Thrones“ unbedingt sofort sehen wollen, gilt?

IP-Sperren

Neben den DNS-Sperren gibt es noch die Möglichkeit der IP-Sperren. Hier fordert die Urheberrechtsindustrie allerdings sehr häufig, dass ganze IP-Ranges gesperrt werden, also nicht eine IP-Adresse, sondern bis zu 1000 unterschiedliche IP-Adressen pro Unterlassungsklage und Portal. Am liebsten wäre der Urheberrechtsindustrie eine „Kombination aus DNS- und IP-Sperre“, wie etwa aus der Unterlassungsklage gegen den Breitbandprovider UPC hervorgeht.

Das Problem bei IP-Sperren ist aber, dass es dabei zum „Overblocking“ kommen kann. Das bedeutet, dass andere – legale – Seiten und Inhalte, die dieselbe IP-Adresse nutzen, automatisch mitgesperrt werden. „Derartige Maßnahmen hätten eine zu große Streubreite, wodurch die Informationsfreiheit auch nach Ansicht des EuGH unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. Es darf nicht passieren, dass auch andere, legale Seiten unzugänglich werden", erklärt Volker Tripp, politischer Referent und Jurist bei der Digitalen Gesellschaft gegenüber der futurezone. Der EuGH sieht in seinem Urteil nämlich auch vor, dass die Informationsfreiheit nicht beeinträchtigt werden darf.

Dilemma der Provider

Internetanbieter stehen nun vor einem Rätsel, wie sie dieses Problem angehen können. „Diese Aufgabe ist für die Provider nur schwer zu lösen, weil diese Maßnahmen zwar wirksam sein müssen, aber auch streng zielorientiert in dem Sinne, dass die Nutzer dadurch nicht in ihrer Informationsfreiheit eingeschränkt werden dürfen, wie der EuGH unterstreicht. Das ist schön gesagt, aber in der Praxis ist diese Abwägung für die Provider nur schwer durchführbar“, erklärt dazu etwa der Fachverband der Telekommunikations- und Rundfunkunternehmungen in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

Den Providern wäre daher auf jeden Fall lieber gewesen, wenn der EuGH konkrete Maßnahmen in sein Urteil reingeschrieben hätte. Denn was überwiegt jetzt? Die Wirksamkeit der Sperre oder die Informationsfreiheit, die nicht beeinträchtigt werden darf? Was wird wohl also in Folge passieren? "Die fehlende Präzisierung im EuGH-Urteil schafft für Provider sowie für deren Kunden neue Rechtsunsicherheiten. Es ist deshalb zu erwarten, dass Provider ihre AGB dahingehend ändern, dass Nutzern keine Schadensersatzforderungen zustehen, wenn sie eine vertraglich versprochene Leistung -- das Aufrufen von Webseiten -- nicht in Anspruch können. Das Urteil könnte im Ergebnis also dazu führen, dass Verbraucher rechtlos gestellt werden", erklärt Jurist Volker Tripp.

Wie es weitergeht

Die Urheberrechtsindustrie in Österreich hat bereits angekündigt, dass sie Unterlassungsaufforderungen für „rund 100 Webseiten“ an die Internetanbieter verschicken wird. Doch sicherlich wird auch testweise versucht werden, ob Provider auch Webseiten im Graubereich sperren. Nicht alle Provider werden es sich leisten können, es bei jeder Unterlassungsaufforderung auf ein Verfahren ankommen zu lassen. Sicherlich werden aber noch weitere Fälle – abseits von UPC und kino.to – ausjudiziert werden. Auch UPC wird das Urteil basierend auf dem EuGH-Beschluss, wenn es vom Obersten Gerichtshof gefällt wird, womöglich nicht einfach hinnehmen.

Joachim Losehand vom Verein für Internet-Nutzer Österreichs (VIBE) fordert: "Jeder Einzelfall muss genau von den Gerichten geprüft werden können und damit müssen die Hürden für einen Antrag auf eine solche Anordnung sehr hoch angelegt werden.“ Zudem wünscht sich Losehand, dass sich die in Österreich zuständigen Minister Ostermayer und Brandstetter im Rahmen einer Urheberrechts-Novelle dafür einsetzen sollen, dass in Österreich das Recht auf Informationsfreiheit garantiert werde. „Jeder überschießende Durchsetzungsversuch muss unterbunden werden“, so Losehand.

Mechanismen auf Schiene

Laut dem deutschen Fachanwalt für IT-Recht Thomas Stadler warnen Providerverbände und Netzaktivisten zu recht davor, dass die Rechtssprechung des EuGH die Grundlage für eine „Zensurinfrastruktur“ legen könnte. „Wenn nämlich Access-Provider regelmäßig dazu verpflichtet werden, solche Access-Sperren umzusetzen, wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als hierfür auch entsprechende Mechanismen zu installieren“, sagt Stadler in einem Blogbeitrag.

Wenn also Mechanismen zum Blockieren von Inhalten im Netz erst einmal eingeführt und salonfähig gemacht worden sind, wird es wohl auch zu Begehrlichkeiten aus anderen Bereichen - abseits der Urheberrechtsindustrie - kommen. Mit dem EuGH-Urteil ist es zwar nicht möglich, diese zu begründen, aber Wege für Missbrauch finden sich (fast) immer.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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