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Analyse

Provider wollen von Start-ups Geld für Überholspur im Netz

Die Deutsche Telekom hat nur zwei Tage nach der entscheidenden Abstimmung im EU-Parlament über Netzneutralität angekündigt, Internet-Start-ups und andere Unternehmen mit einem Bedarf für hohe Netz-Bandbreiten gesonderte kostenpflichtige "Spezialdienste" anbieten zu wollen. „Gerade Start-ups brauchen Spezialdienste, um mit den großen Internetanbietern überhaupt mithalten zu können“, sagte Telekom-Chef Tim Höttges.

„Nach unseren Vorstellungen bezahlen sie dafür im Rahmen einer Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent. Das wäre ein fairer Beitrag für die Nutzung der Infrastruktur. Und es sorgt für mehr Wettbewerb im Netz", erklärte Höttges.

"Kooperation können wir uns vorstellen"

Doch nicht nur in Deutschland scharren die Telekom-Provider schon in den Startlöchern mit neuen Ideen, um Geld für Spezialdienste zu lukrieren. Auf die Frage der futurezone, ob sich Drei ebenfalls eine Umsatzbeteiligung für Start-ups als „fairen Betrag für die Nutzung der Infrastruktur“ vorstellen könnte, heißt es seitens des Telekom-Providers: „Wir haben immer gesagt, dass wir offen für Kooperationen sind und uns somit auch Kooperationen mit kleinen Unternehmen und Start-ups vorstellen können. Wie unsere Kooperationen künftig aussehen werden, wollen wir aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht näher erörtern.“

Auf die Frage, wie derartige Modelle künftig aussehen könnten, heißt es: "Wir haben derzeit erfolgreiche Kooperationen von Spotify bis APA (3Kiosk) und sehen darin auch Vorbilder für künftige Zusammenarbeiten." T-Mobile Austria gibt an, keine ähnlichen Pläne zu verfolgen: "Derzeit gibt es keine konkreten Anfragen oder Überlegungen bezüglich einer Priorisierung von speziellen Datendiensten im Zuge der Netzneutralität." A1 sagte dazu: "Das ist für uns derzeit kein Thema."

"Das ist der Tod für jedes Start-up"

Für Thomas Lohninger von der Initiative für Netzfreiheit ist der Vorstoß der Deutschen Telekom und von Drei Anlass zur Sorge. „Der Grund, wieso das Internet in den letzten 25 Jahren so viel Innovation und Vielfalt hervorgebracht hat ist, weil jede Erfindung und alle Inhalte gleichberechtigt auf einer globalen Infrastruktur aufbauen können. Wenige Prozent Umsatzbeteiligung an jeden Provider zu bezahlen, dessen Kunden ein Dienst potentiell erreichen will, ist der Tod für jedes Start-up und unmöglich für nicht-kommerzielle Angebote“, so Lohninger.

Firmen wie Kickstarter, Vimeo, Soundcloud, Netflix oder Tumblr haben vor der Abstimmung im EU-Parlament über Netzneutralität versucht, diese Stimmung nach Europa zu transferieren. Sie haben einen offenen Brief unterschrieben und sich für den Erhalt der Netzneutralität in Europa ausgesprochen. Ihr Brief hatte keine Auswirkungen auf das Abstimmungsverhalten der EU-Abgeordneten, denn diese haben sich mehrheitlich für die Ermöglichung von Spezialdiensten im Internet ausgesprochen.

„Bezahlte Überholspuren helfen nur den großen etablierten Inhaltsanbietern, die damit ihre Marktposition absichern können. Start-ups haben keinen Bedarf an bezahlten Überholspuren. Im Grunde ist das moderne Wegelagerei“, sagt Lohninger dazu.

USA geht anderen Weg

In den USA geht man übrigens einen gänzlich anderen Weg. Dort hat die US Telekommunikationsaufsicht FCC im Februar diesen Jahres das Internet als besonders schützenswertes öffentliches Gut und als infrastrukturelle Grundlage einer digitalen Gesellschaft anerkannt. Die USA feierte dies auch als Wettbewerbsvorteil für Start-ups.

„Auch Firmen wie Facebook sind alle von Menschen gegründet worden, die am Anfang praktisch kein Kapital hatten. Auch Kickstarter oder Dropbox sind von Leuten ohne Geld gestartet worden. Sie sagen ganz klar: Hätten wir für die Bevorzugung unserer Inhalte zahlen müssen, gäbe es uns jetzt nicht“, erzählte die Juristin Barbara van Schewick von der Stanford Law School, die sich ebenfalls für den Erhalt der Netzneutralität in Europa gemacht hatte.

Regulierungsbehörden an der Macht

Mit diesen Ansagen der Telekoms ist auf jeden Fall eines zu befürchten: Die Netzneutralität könnte am Dienstag in Europa tatsächlich praktisch ein Stückchen weit abgeschafft worden sein - und die Entwicklung bedroht Start-ups in Europa bereits jetzt ernsthaft. Allerdings obliegt es jetzt den Regulierungsbehörden, wie sie die Versuche der Telekom-Provider, die solche Vorstöße in nächster Zeit vermehrt salonfähig machen wollen, interpretieren werden. Sie haben jetzt das letzte Wort.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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