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Netzfreiheit

Russische Behörden zensieren das Internet

Daria Poljudowa drohen zwei Jahre Lagerhaft, weil sie im Internet ihre politische Meinung verkündet hat. Im russischen Facebook-Nachbau VKontakte veröffentlichte die 27-Jährige ein Foto, auf dem sie ein Plakat der Aufschrift „Kein Krieg mit der Ukraine, sondern Revolution in Russland!“ in die Höhe hält. In einem anderen Eintrag parodierte die überzeugte Kommunistin den geschichtlichen Revisionismus der Krim-Annexion mit einem Aufruf zum „Marsch der Föderalisierung“ ihrer Heimatregion Kuban in Südrussland. Ein Gericht verurteilte sie deshalb wegen „öffentlichen Aufrufs zum Extremismus“. Poljudowa focht das Urteil an.

Rettung des Internets

Wie ihr ist es einem Dutzend russischer Bürger ergangen, die in sozialen Netzwerken gegen die Annexion der Krim protestierten. Denn im Namen der öffentlichen Sicherheit nehmen russische Behörden immer mehr das Internet ins Visier. Allein vergangenes Jahr habe die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor mehr als 1600 Webseiten geschlossen, „die die Sicherheit des Landes schädigen“, teilte Präsident Wladimir Putin unlängst mit. Ein Gerichtsbeschluss ist dafür schon seit 2012 nicht mehr nötig. Betroffen waren illegale Geschäftemacher, aber auch das Nachrichtenportal grani.ru oder die VKontakte-Seite des Projekts „Deti 404“, das homosexuelle Jugendliche berät.

Unterstützung bei der Zensur erhält Roskomnadsor von der „Mediagwardia“, die zur Jugendorganisation der Regierungspartei Geeintes Russland gehört. Auf ihrer kindlich-heiter gestalteten Website fordert sie Nutzer zum Melden missliebiger Seiten auf. Die Comicfigur Superman verkündet: „Sie haben das Internet gerettet! Bravo!“ Als Erläuterung, welche Inhalte die Nutzer melden sollen, verweist die „Mediengarde“ unkonkret auf geltende föderale Gesetze.

"Brauchen Merkel oder Putin dafür nicht"

Der russischen Netzaktivistin Irina Borogan geht die Kontrolle des Staates zu weit: „Die Geschäftsbedingungen sozialer Netzwerke regeln, was erlaubt ist. Man braucht weder Merkel noch Putin, um einen rassistischen Tweet zu blockieren.“ Mit ihrem Kollegen Andrej Soldatow hat sie im Buch „The Red Web“ die Überwachung des russischen Internets durch den Geheimdienst FSB dokumentiert. Beide beobachten mit Sorge, dass Behörden nicht nur Seiten löschen, sondern auf eine Rechtslage hinarbeiten, die tief in die bürgerliche Freiheit im Netz eingreift.

Ein Gesetzentwurf in der Staatsduma sieht vor, den gesamten russischen Datenverkehr an Schnittstellen zum Ausland zu kontrollieren und ein Register aller IP-Adressen in Russland zu erstellen. Nur Netzbetreiber mit einer staatlichen Lizenz dürften dann Verbindungen nach außen schalten. Das Kommunikationsministerium bezeichnet diese Initiative als Sicherheitsmaßnahme.

FSB vorinstalliert

Bereits vorgeschrieben ist, dass Netzbetreiber in Russland das FSB-Überwachungsprogramm SORM installieren. SORM (eine russische Abkürzung für den Begriff Fahndungsmaßnahmen) speichert und übermittelt Datenpakete in Echtzeit an den Geheimdienst. Offiziell darf das Programm freilich nur Personen ausspähen, die mittelschwerer Verbrechen verdächtigt werden. Doch den Zugang zu Daten seiner Bürger hat der Staat sich auch anderweitig gesichert.

Seit September 2015 müssen alle personenbezogenen Daten russischer Bürger innerhalb des Landes gespeichert werden. Nicht nur Internetkonzerne wie Google und Facebook, sondern alle Betriebe mit russischen Angestellten müssen demnach in Russland Server einrichten und der Aufsichtsbehörde deren Standort mitteilen. Firmen, die sich nicht daran halten, droht Roskomnadsor mit der Sperrung ihrer Internetseiten. Wie die Umsetzung überprüft wird, ist unklar.

Nazis werden geduldet

Wer in russischen sozialen Netzwerken wie VKontakte aktiv ist, kann bereits davon ausgehen, dass seine Posts genau beobachtet werden. Gründer Pawel Durow verkaufte 2014 auf Druck des FSB seine Geschäftsanteile und wurde durch den regierungstreuen Boris Dobrodeew ersetzt, dessen Vater den staatlichen Rundfunkkonzern Rossija leitet. „Es ist sehr klar, dass für die russischen Nutzer die CIA nicht die Hauptbedrohung ist“, sagt Soldatow dazu.

Denkwürdig ist da die Tendenz, dass sich seit Jahresbeginn immer mehr deutschsprachige Nutzer bei VKontakte registrieren. Posts in Gruppen wie „Deutsch, und nur Deutsch“ machen rasch klar, worum es den Neulingen gehen könnte: Dort zu lesen ist eine Fülle rechtsradikaler Hasskommentare, gegen die Facebook künftig hart vorgehen will. Denn auch Hakenkreuze und Morddrohungen gegen Flüchtlinge bleiben auf VKontakte bislang ungestraft stehen.

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