© Joost Smiers

Interview

"Urheberrecht ist schlecht für die Demokratie"

futurzeone: Sie sprechen sich dafür aus, das Urheberrecht abzuschaffen. Warum hat das Urheberrecht seine Legitimität verloren?
Joost Smiers: Die Kultur wird von großen Konzernen dominiert. Das hat ein System von Blockbustern zur Folge, das für die meisten anderen Künstler ein Problem ist. Sie werden kaum wahrgenommen. Kulturelle Vielfalt ist nicht möglich. Die Investitionen der großen Unternehmen werden durch das Urheberrecht geschützt. Bei großen Produktionen werden bis zu 60 Prozent des Budgets in Werbung und Marketing gesteckt. Darunter leidet der Wettbewerb. Das ist nicht die Welt, die wir brauchen. Wir müssen gleiche Rahmenbedingungen für alle schaffen - ein "level playing field". Dazu ist es notwendig, das Urheberrecht abzuschaffen und mit dem Wettbewerbsrecht große Unternehmen zu verkleinern. Wir brauchen diese Konzerne nicht. Dieses System ist für die meisten Künstler schlecht und es ist auch schlecht für die Demokratie.

Warum ist dieses System nicht gut für die Demokratie?
Weil ein wesentlicher Teil unserer Kommunikation privatisiert wird. Ich kann auf Werke nicht reagieren. Ich kann zwar eine Kritik schreiben, aber ich kann das Werk nicht ändern. In vielen Kulturen war und ist es etwa üblich, dass Musik nachgespielt und verändert wurde. Das ist lebendige Kultur. Das Urheberrecht friert die Kultur ein. In unserer Gesellschaft sind wir dazu verurteilt, passive Konsumenten zu sein. Wir müssen die Arbeit von anderen ändern dürfen und darauf aufbauend arbeiten können. Wenn das nicht möglich ist, verlieren wir unsere Kultur. Wenn ich aber heute kulturelle Werke auf andere Art nutze oder verändere, bekomme ich einen Brief von einem Rechtsanwalt oder habe es gleich mit der Polizei zu tun. Um Urheberrechtsvergehen zu unterbinden, wird in die Privatsphäre der Leute eingegriffen. Das kann doch nicht sein.

Warum genügen Reformen nicht? Kritiker ihres Buches meinen, dass es auch genügen würde Fair-Use-Regelungen zu erweitern oder die Schutzfristen zu verkürzen, um das demokratische Verarbeiten von Inhalten und die Rede- und Meinungsfreiheit zu gewährleisten.
Natürlich ist es besser, die Schutzfristen zu verkürzen. Aber solche Argumente, wie sie etwa von der Piratenpartei vorgebracht werden, übersehen die Marktbedingungen. Sie haben keine Vision für die Zukunft. Die Frage ist, welche Wirtschaft wir haben wollen. Es muss nicht so sein, dass der Markt von großen Unternehmen dominiert wird, die dabei auf geistige Eigentumsrechte zurückgreifen. Es ist auch ein Markt möglich, an dem alle teilhaben können und der es ermöglicht, Dinge gemeinschaftlich zu entwickeln.

Welche Auswirkungen hätte das für Künstler und Kreative?
Ich bin überzeugt, dass die meisten Künstler ein bisschen mehr verdienen werden. Es wird mehr Vielfalt geben, die auch ihr Publikum finden wird. Das Publikum wird nicht mehr durch die Werbung der großen Industrie beeinflusst.

Sie gehen davon aus, dass für kulturelle Werke bezahlt wird - Micropayment-Modelle gibt es auch schon heute und sie funktionieren für viele Kreative sehr unbefriedigend. Was macht Sie zuversichtlich, dass es unter geänderten Bedingungen funktioniert?
Micropayment-Systeme müssen weiterentwickelt werden. Natürlich wird es Leute geben, die nicht bezahlen wollen. Aber wenn es einfach ist, zu bezahlen, werden die meisten das auch tun. Auch Pauschalabgaben können weiterentwickelt werden. Sie funktionieren aber nicht, solange der Markt von großen Unternehmen dominiert wird.

Wie soll verhindert werden, dass Dritte Werke zu ihrem Vorteil nutzen?
Wenn ich ein Buch schreibe und Sie setzen Ihren Namen darunter und verkaufen es, dann gibt es auch heute Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Dazu brauch ich kein Urheberrecht. Wenn es das Urheberrecht nicht mehr gibt, wird es einfacher sein, zu sagen, meine Arbeit basiert auf diesem und jenem Werk. Dann kann eine öffentliche Diskussion entstehen, die jetzt nicht möglich ist. Man kann darüber diskutieren, ob die Änderung mit Respekt gemacht wurde, ob sie interessant ist oder dem Werk etwas hinzufügt. Es kann frei darüber gesprochen werden. Heute ist das einzige, das ich erwarten kann, ein Brief von einem Rechtsanwalt. Aber das ist nicht die Form von Diskussion, die wir in unserer Gesellschaft brauchen.

Ich kann aber nicht verhindern, dass Sie mein Werk verkaufen und damit Geld verdienen?
Natürlich besteht die Möglichkeit von Trittbrettfahrern, die mein Werk verkaufen. Das kann passieren, aber es führt dazu, dass ich mein Werk selbst wieder besser verkaufen kann. Das trägt auch zu meiner Berühmtheit bei. Für die meisten Künstler wird das aber kein Problem sein, da sie nicht berühmt genug sein werden, um Trittbrettfahrer anzulocken.

Würden solche Rahmenbedingungen nicht Technologiekonzernen helfen, die schon heute kulturelle Angebote aggregieren und gebündelt zugänglich machen?
Ich denke, dass die Zukunft so aussehen wird, dass Künstler ihre Werke selbst anbieten. Sie werden besser verdienen als mit YouTube oder Spotify.

Müssen Künstler auch Verkäufer werden?
Nicht unbedingt. Sie können auch jemanden finden, der das für sie macht. Aber die Unternehmen werden kleiner. Der Charakter von Unternehmen wird sich ändern. Wir brauchen keine Industrie mehr. Es werden mittelgroße oder kleine Unternehmen sein, bei denen Künstler mehr Einfluss haben und direkter mit dem Publikum in Verbindung stehen, das für ihre Werke bezahlt oder sie etwa mittels Crowdfunding finanzieren wird. Es werden auch andere ästhetische Formen entwickelt werden, die andere Geschäftsmodelle haben. Auch das heutige System ist nicht naturgegeben. Durch die Digitalisierung wird die kulturelle Landschaft ganz anders. Wir müssen den Mut haben auch die wirtschaftlichen Grundbedingungen zu ändern. Wir können dabei nur gewinnen.

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Zur Person
Der 69-jährige Politikwissenschaftler Joost Smiers ist an der Forschungsstelle für Kunst und Ökonomie an der Kunsthochschule Utrecht (HKU) tätig. Er war Gastprofessor an der University of California Los Angeles (UCLA) und hält Vorträge in zahlreichen Ländern zu Themen der Entwicklung der Kulturindustrien, des geistigen Eigentums und der Gemeinfreiheit. Smiers lebt in Amsterdam.

Zum Buch
Die überarbeitete deutschsprachige Übersetzung der Streitschrift  "No Copyright" von Joost Smiers und Marieke van Schijndel ist im Juni im Berliner Alexander Verlag erschienen.

Eine englischsprachige Version des Textes steht auf den Seiten des Institute of Network Cultures zum kostenlosen Download bereit.

Diskussion
Ende Juni diskutierte Smiers anslässlich der Präsentation der deutschsprachigen Ausgabe von "No Copyright" in Berlin mit dem Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch über sein Buch. Ein Mitschnitt des Gesprächs kann über irights.info abgerufen werden.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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