© APA/Techt

Österreich

Vorratsdaten: Bisher fast 200 Abfragen

"Das Ergebnis ist sehr enttäuschend", sagte Andreas Krisch vom österreichischen Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) bei einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag in Wien. Davor hatte es im Justizausschuss des Parlaments ein Hearing zu der vom AK Vorrat initiierten Bürgerinitiative "Stoppt die Vorratsdatenspeicherung" gegeben, die von 106.067 Bürgern unterstützt wird.

Die Initiative fordert, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene aktiv gegen die ursprünglich zur Terrorismusbekämpfung erlassene EU-Richtlinie zur

einsetzen soll, die die verdachtsunabhängie Speicherung sämtlicher Telefon- und Internet-Verbindungsdaten für mindestens sechs Monate vorsieht. In Österreich ist sie seit 1. April in Kraft. Die Bürgerinitiative tritt auch für eine Evaluierung sämtlicher österreichischer Überwachungsgesetze bezüglich ihrer Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ein.

"Anliegen ignoriert"
Die Forderungen der Initiative wurden in einer Entschließung des Ausschusses nicht berücksichtigt. Stattdessen ersuchten die Abgeordneten von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ die Bundesregierung lediglich, Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) und des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in derzeit anhängigen Verfahren zur Vorrastsdatenspeicherung umzusetzen. "Dazu ist sie (Anm.: die Regierung) aber ohnehin verpflichtet", kritisierte der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser in seinem Blog. "Der Justizausschuss hat die Anliegen der Initiative ignoriert und einen nichtssagenden Beschuss gefasst", sagte Steinhauser zur futurezone: "Wir brauchen in Brüssel eine aktive Rolle für die Änderung oder Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Es ist aber vollkommen unklar, welche Position Österreich vertritt."

Bei dem nicht öffentlichen Hearing im Justizausschuss des Parlaments waren 16 Experten geladen, die sich laut Krisch überwiegend kritisch zur Vorratsdatenspeicherung äußerten. Lediglich Vertreter des Justiz- und Innenministeriums verteidigten die umstrittene EU-Richtlinie.

Fast 200 Vorratsdatenabfragen
Der Rechtsschutzbeauftragte des Justizministeriums, Gottfried Strasser, meldete laut Parlamentskorrespondenz bis zum gestrigen Tag 188 Abfragefälle. In drei Fällen ging es um Mord, in 58 um schweren Diebstahl, in 14 um schweren Raub, in 20 um Stalking. Weitere Abfragen gab es zu schwerem Betrug (16), Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz (20) und um Vergewaltigungen (10). In 19 Fällen, darunter sieben Stalking-Fälle, sei eine Aufklärung erfolgt. Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) sagte, das Hearing im Parlament habe eine "maßvolle Anwendung" der Vorratsdatenspeicherung in der Praxis gezeigt.

Aus dem Innenministerium wurden von April bis September neun Vorratsdatenabfragen zur präventiven Abwehr von Gefahren durch die Sicherheitsbehörden gemeldet. Laut Manfred Burgstaller, Rechtsschutzbeauftragter in dem Ressort, ging es dabei vier Mal um die Zuordnung von IP-Adressen und fünf Mal um die Ortung eines Handys.

Ausweitung diskutiert
Die Anzahl der Abfragen, die - von Ausnahmen abgesehen - derzeit nur bei schweren Straftaten zulässig sind, könnte aber schon bald erheblich steigen. Denn im Justizministerium wird an einer Novelle des Urheberrechtsgesetzes

, die auch Rechteinhabern Zugriff auf die Vorratsdaten gewähren könnte. "Damit bestätigt sich, was wir befürchtet haben", so Krisch: "Kaum mehr als sechs Monate nach der Einführung der Vorratsdatenspeicherung sollen bereits erste Ausweitungen stattfinden."

Die EU-Kommission habe bisher den Nachweis für die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung nicht erbringen können, sagte Krisch. Ein im vergangenen Jahr vorgelegter Evaluierungsbericht sei voller methodischer Schwächen und enthalte lediglich "anekdotische Beispiele". Europäische Strafverfolgungsbehörden hätten Interesse daran, die Datenspeicherung auszudehnen, so Krisch unter Berufung auf einen Bericht der EU-Kommission an die Datenschutzarbeitsgruppe des EU-Ministerrats: "Es geht in Richtung Totalüberwachung sämtlicher Aktivitäten im Internet."

"Qualität der Stasi-Befugnisse"
Christof Tschohl vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, das den Gesetzesentwurfs zur Umsetzung der umstrittenen EU-Richtlinie ausarbeitete, betonte, dass selbst eine Minimalumsetzung der Vorratsdatenspeicherung die Grundrechte verletzen würde. Man dürfe die Vorratsdatenspeicherung auch nicht losgelöst von anderen Überwachungsmaßnahmen sehen. Es gebe eine große Zahl von Eingriffsbefugnissen in die Freiheiten der Menschen, sagte Tschohl: "Geht man davon aus, dass der Staat all diese Befugnisse instrumentalisiert, hat das die Qualtität der Stasi-Befugnisse in der DDR."

"Wir stehen vor der Entscheidung, ob wir in Zukunft noch unbeobachtet und frei kommunizieren können, oder ob jegliche Äußerung, die wir tätigen protokolliert, aufgezeichnet und im Zweifelsfall gegen uns verwendet wird", sagte Krisch vom AK Vorrat. "Das berührt auch ganz wesentlich die Demokratie."

Verfassungsklage
Die Initiatoren der Bürgerinitiative hoffen nun, dass ihre Anliegen noch im Plenum des Parlaments behandelt werden. "Die Bemühungen werden nicht stoppen", sagte Tschohl. Man wolle auch weiterhin bei Abgeordneten "lobbyieren". Gegen die Vorratsdatenspeicherung sind auch drei Verfassungsklagen anhängig. Darunter auch eine, die vom AK Vorrat gemeinsam mit den Grünen eingebracht wurde und die von mehr als 11.000 Bürgern unterstützt wird.

Mehr zum Thema

  • Vorratsdaten: Sicherheit wird nicht kontrolliert
  • Urheberrecht: Vorratsdaten durch die Hintertür
  • "Auch in Österreich werden Filesharer verklagt"
  • Vorratsdaten: Hearing zu Bürgerinitiative
  • Was bringt die Vorratsdatenspeicherung?
  • Wie man die Vorratsdatenspeicherung umgeht

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

mehr lesen
Patrick Dax

Kommentare