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© dpa/Henning Kaiser

Online-Handel

Warum Amazon keine Festplatten nach Österreich liefert

Wer aus Österreich Festplatten, USB-Sticks, beschreibbare Rohlinge oder andere Waren mit Speicherkomponente bestellen will, hat es ausgerechnet beim größten Online-Händler Amazon nicht leicht. „Leider kann dieser Artikel nicht nach Österreich versendet werden“, heißt es beim Großteil der angepriesenen Produkte. Die Unannehmlichkeit ist nicht neu, seit Jahren setzt Amazon immer wieder in großem Umfang Lieferungen nach Österreich aus. Grund ist ein langjähriger Rechtsstreit um die Urheberrechtsabgabe.

Amazon: Kein Kommentar

Während Amazon eine Anfrage der futurezone zum Thema ignorierte, hatte ein futurezone-Leser mehr Glück. Auf seine Frage, warum Amazon diese Artikel nicht nach Österreich liefere, bekam er folgende Antwort per E-Mail: „Produkte, mit denen urheberrechtlich geschütztes Material vervielfältigt oder wiedergegeben werden kann, unterliegen in der Regel einer Urheberrechtsabgabe, die Amazon grundsätzlich in Deutschland abführt. Derzeit steht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus, ob neben oder anstatt dieser Abgabe in Deutschland auch eine Abgabe an österreichische Verwertungsgesellschaften abzuführen ist.“

Amazon habe sich folglich entschieden, die Mehrzahl der betroffenen Produkte bis zur Klärung dieser Frage nicht nach Österreich zu exportieren, da man österreichischen Kunden derzeit kein preislich attraktives Angebot machen könne. Offenkundig geht es um ein Verfahren, dass die österreichische Verwertungsgesellschaft austromechana bereits 2007 gegen Amazon angestrengt hat. Sie verlangt allein für einen Teilzeitraum ab 2004 einen geschätzten Betrag von 1,86 Millionen Euro. Verliert Amazon vor Gericht, drohen dem Onlinehändler Nachforderungen in der Höhe von zig Millionen Euro.

Warten auf den EuGH

Dass Amazon sich auf die ausstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beruft, verwundert insofern, da dieser bereits 2013 der Argumentation Amazons widersprach. Der Pflicht, eine Abgabe für Privatkopien zu entrichten, könne nicht entgegenstehen, dass diese bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU entrichtet wurde. Laut EuGH könne der bereits geleistete Betrag – in diesem Fall von Amazon in Deutschland – nämlich zurückgefordert werden. Sowohl in Deutschland, als auch Österreich fordern Verwertungsgesellschaften Vergütungen für Rohlinge, Festplatten und andere Speichermedien, auf denen Privatkopien etwa von Musikstücken angefertigt werden können. Die Tarife in Österreich (PDF) sind höher als jene in Deutschland (PDF).

Amazon ist sehr gut darin, alle prozessualen Mittel auszunutzen, um die Gerichtsentscheidung hinauszuzögern“, sagt austro mechana-Jurist Paul Fischer zur futurezone. Dass der Konzern zwei Mal Abgaben leisten müsse, sei eine reine Schutzbehauptung. „Erstens konnte Amazon im Laufe des Verfahrens gar nicht beweisen, dass es diese behaupteten Zahlungen überhaupt in Deutschland getätigt hat. Zweitens ist die Tatsache, ob in einem anderen Mitgliedstaat die Vergütung für Privatkopien bereits geleistet wurde, nach dem Europäischen Gerichtshof nicht relevant. Bei Exporten können in Deutschland Rückerstattungen – wie bei uns auch – einfach per unkompliziertem Antrag von der Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ) gefordert werden“, so Fischer.

Bei diesem Verfahren gehe es zudem gar nicht um Festplatten oder Handys mit Speicherplatz, sondern um Medien wie CD-Rs und DVD-Rs, bei der die Abgabe unstrittig sei. „Amazon verweigert die Zahlung jedoch bis heute komplett, weswegen wir bis zum EuGH gehen mussten.“

"Fehlende Rechtssicherheit"

Laut dem auf IT-Recht spezialisierten Anwalt Lukas Feiler von der Wirtschaftskanzlei Baker McKenzie ist das Verfahren noch nicht beendet, da der zuständige Oberste Gerichtshof in Österreich nach Klärung besagter Fragen durch den EuGH den Ball erneut an diesen zurückspielte und nun wissen möchte, ob österreichische Gerichte überhaupt zuständig sind, wenn ein ausländisches Unternehmen Datenträger nach Österreich exportiert. „Die aktuelle Rechtslage in Österreich ist weit entfernt von jeglicher Rechtssicherheit. Das ist für Unternehmen mit erheblichen Zusatzkosten verbunden, da sie entweder für etwas zahlen, was noch nicht ausjudiziert ist bzw. Rückstellungen bilden müssen, falls es zur Nachforderung kommt. In beiden Fällen bindet es Kapital, das man sonst investieren könnte“, analysiert Feiler.

Amazon kalkuliert wie alle Elektronik-Händler sehr eng. Angesichts der enormen Verkaufszahlen geht es hier aber um viele Millionen Euro. Aus Amazons Sicht ist es verständlich zu sagen, in dieses Land liefern wir nicht, wenn es droht, ein Verlustgeschäft zu werden“, meint auch der Hamburger Rechtsanwalt Klaus Lodigkeit im Gespräch mit der futurezone. „Dass eine Urheberrechts- oder Festplattenabgabe in jedem Land vergütet wird und dann erst wieder über Anträge mit entsprechendem Verwaltungsaufwand zurückgefordert werden muss, klingt ein bisschen nach dem Zollsystem im Mittelalter und nicht nach dem freien Warenverkehr im 21. Jahrhundert in der EU“, kritisiert Lodigkeit.

EU-weite Lösung gefordert

Lodigkeit zufolge sollten etwaige Abgaben auf europäischer Ebene etwa von länderübergreifenden Verwertungsgesellschaften abgewickelt werden. „Die derzeitige Situation, durch die eine Lieferung nach Österreich empfindlich teurer wird, verstößt meines Erachtens gegen das oberste EU-Prinzip des freien Warenverkehrs“, so Lodigkeit. Auch für den Wiener Rechtsanwalt Lukas Feiler macht der Fall, aber auch die in fast jedem EU-Mitgliedstaat geführte Diskussion um eine Festplatten- oder Urheberrechtsabgabe einmal mehr deutlich, dass eine rein nationale Lösung des Problems nicht möglich ist. „Eine entsprechende europäische Richtlinie würde das Thema sicher besser regeln“, ist Feiler überzeugt.

Dass kleinere Onlinehändler auch weiterhin Festplatten, Rohlinge und andere Speichermedien nach Österreich liefern und dies teilweise auch über Amazon tun, ist für Rechtsexperten wenig verwunderlich. Für Verwertungsgesellschaften wie die austromechana gibt es bei diesen schlichtweg zu wenig Geld zu holen bzw. wäre ein Prozess um einige Hundert Euro Streitwert zu aufwändig zu führen. „Als kleiner Einzelhändler hin und wieder nach Österreich zu liefern, ohne die Abgabe zu zahlen, ist ein Risiko, das man eventuell eingehen kann – auch wenn es im Grunde vermutlich illegal ist“, meint auch Rechtsanwalt Lodigkeit.

Amazon-Prozess mit Signalwirkung

Auch bei der austro mechana macht man kein Geheimnis daraus, wo der Hauptfokus liegt. „Der Online-Markt ist eigentlich recht übersichtlich. Natürlich haben wir auch andere große Versandhändler, wie etwa Cyberport, im Visier und belangen diese auch gerichtlich. Amazon ist aber selbst aus Sicht des Obersten Gerichtshofs der Haupt- und Leitprozess, der eine Wirkung auf die gesamte Branche hat“, sagt austro mechana-Jurist Paul Fischer.

Für österreichische Amazon-Kunden heißt es daher bei vielen Produkten wohl auch weiterhin, dass diese nicht nach Österreich geliefert werden können. Die Anfrage der futurezone bei Amazon, wie viele Produkte aktuell im Sortiment betroffen sind bzw. ob Amazon trotz des anhängigen Verfahrens plant, Kategorien wie Festplatten, USB-Speicher und ähnliches in naher Zukunft wieder anzubieten, blieb unbeantwortet.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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