© Jens Kalaene, apa

Datenbrille

Google Glass im Test: Kein Muss-Gerät für die breite Masse

Auch, wenn man es durch diverse Medienberichte suggeriert bekommt – es ist nicht so, dass Google Glass in den USA derart verbreitet ist, dass man ständig auf Träger der Datenbrille stößt; hin und wieder sieht man sie – nicht viel öfter als man auf ein Google Selfdriving Car, ein Streetview-Auto oder ein Bing Maps Car trifft. Bei den diversen Google Glass Meetups (Treffen von Glass-Entwicklern, Anm.), die regelmäßig im Silicon Valley und in San Francisco abgehalten werden, beträgt die Durchdringungsrate allerdings 80 bis 90 Prozent. Auch bei der vergangenen Consumer Electronics Show im Jänner in Las Vegas gab es eine Menge von Journalisten, die mit der Glass auffielen. Genau genommen schaut man mit der Datenbrille komisch aus. Ob es der doch eher ungewohnte Anblick oder der mitunter etwas verdrehte Blick der Träger ist – man weiß es nicht genau.

Ein teures Spielzeug

Tatsache ist, dass man sich mit einer Datenbrille (noch) nicht wirklich wohl fühlt. Erstens, weil man damit auffällt und Ereignisse wie Attacken auf Glass-Träger im Bewusstsein Spuren hinterlassen. Zweitens, weil es noch nicht so wirklich spannende Anwendungen gibt und drittens – wohl das Hauptargument – die Glass mit umgerechnet etwa 1.300 Euro noch zu teuer ist und nur über Tricks gekauft und nach Europa eingeführt werden kann. Die Datenbrille konnten bislang nur Entwickler und ausgesuchte Journalisten in den USA kaufen und eine Handvoll Firmen und Entwickler außerhalb der Vereinigten Staaten. In Österreich gibt es offiziell weniger als zehn Exemplare – eines davon hat seit drei Monaten die futurezone, die die Brille im Alltag testet.

Das Gerät

Was man da auf der Nase trägt, ist ein hochkomplexes, 50 Gramm leichtes Teil, das von Google seit etwa drei Jahren entwickelt wird und dem dutzende Prototypen voraus gingen. Die Datenbrille besteht aus einem Leichtmetall-Gestell (in fünf verschiedenen Farben), im rechten Bügel ist am hinteren Teil der Akku eingebaut, ein Lautsprecher sowie der Micro-USB-Steckplatz, mit dem man die Glass lädt. Zum Laden sollte das mitgelieferte Ladekabel und -gerät verwendet werden. Es werden nicht alle USB-Ladegeräte unterstützt.

Auch futurezone-Chefredakteur Gerald Reischl (links) konnte die Brille ausgiebig testen.

Beim Auge rechts vorne sitzt die Technik – Rechenzentrale, Touchpad, Ein-Ausschalter (innenseitig) und Capture-Taste (mit dieser kann man Fotos aufnehmen und die Videoaufnahme verlängern/vorne oben). Außerdem findet sich hier noch der eigentliche Namensgeber der Datenbrille – der gläserne Bildschirm – ein kleiner Glaskubus. Google nennt ihn Prisma Projektor (640×360 Pixel), in dem über Reflexionen ein Bild entsteht. Google hat lange daran gearbeitet, dass die Farben der angezeigten Inhalte natürlich sind. Es ist für die erste Brille auch recht gut gelungen, wobei die Farben freilich keineswegs so satt sind, wie man sie von einem Smartphone kennt. Ein Gyroskop und Accelerator sind auch mit an Bord – letzterer wird bereits für einige Lauf-Apps genutzt.

Google+ und Gmail

Was man neben der Brille selbst noch braucht sind ein Google+-Account und eine Gmail-Adresse sowie ein Computer bzw. ein Smartphone – idealerweise ein Android-Phone, es funktioniert aber auch mit einem iPhone. Im futurezone-Test wurden sowohl ein Samsung Galaxy Note 3 und ein iPhone 5s mit der Glass verbunden. Dazu benötigt man die Google-App „MyGlass“. Die inoffizielle App „JoeGlass“ (hat das gleiche Logo wie die Original-App), auf die man bei der Suche im App Store und im Play Store stößt, hat nicht funktioniert.

QR-Code

Das Einrichten der Glass ist sehr unorthodox – man loggt sich am Computer in seine MyGlass-Seite ein und gelangt in ein Menü. Von der „Device Info“ über Kontaktverwaltung und der Ortungsmöglichkeit der Glass gibt es u.a. auch den Punkt „My Wifi networks“ – hier kann man die Datenbrille in ein WLAN einloggen. Man trägt den Netzwerknamen und das Passwort über den Rechner ein, worauf ein QR-Code erstellt wird. In der Glass ruft man den Menüpunkt „network“ auf – vier mal von vorne nach hinten streichen. Man nimmt schließlich einfach den QR-Code ins Visier und die Glass hängt im Wifi.

Das Aufweckritual

Mit einer Berührung auf das Touchpad am Bügel weckt man die Glass auf. Auf dem kleinen Bildschirm, der sich ein wenig über dem Sichtfeld des rechten Auges befindet, wird die Uhrzeit und der Schriftzug „ok glass“ eingeblendet. Streicht man mit dem Finger über das Touchpad, kann man durch das Hauptmenü blättern. Google nennt das „timeline“ – auf einzelnen Seiten gibt es Infos über den Ladestand des Akkus, über die Netzwerkverbindung, Termine aus dem Kalender oder auch Wetterinfos.

Diese timeline kann durch verschiedene Apps erweitert werden. Wenn man mehr über eine eingeblendete Seite der timeline wissen will, tippt man mit dem Finger auf das Touchpad. Wischt man von oben nach unten, ist man wieder auf der timeline. Nach hinten – vom Auge zum Ohr gewischt – bekommt man kommende Ereignisse eingeblendet. Streicht man mit dem Zeigefinger vom Ohr zum Auge, gibt es die nicht-aktuellen Ereignisse zu sehen – Fotos, Videos, Nachrichten. Wenn man ein Foto oder einen Film verschicken will, klickt man auf die Datei und dann auf „Share“. Wichtig ist, dass man den Empfänger im Google-Mail-Adressbuch gespeichert haben muss.

„Ok Glass“

Mit einem „Ok Glass“ gelangt man ins Anwendungsmenü, und da kann man zu Beginn unter Fotografieren (take a picture), Filmen (record a video), Googlen (Google), Navigieren lassen (get directions to), Nachrichten verschicken (send a message to), Anrufen (make call to) und diversen anderen Möglichkeiten wählen – die muss man aber selber auf die Glass laden. Dazu gibt es in der Glass-App am Smartphone den Menüpunkt „MyGlass“ und einen Untermenüpunkt „Glassware“.

Dort verstecken sich die verschiedenen Anwendungen, von Facebook, Twitter, Evernote über GolfSight by SkyDroid, Google Now oder der Laufsoftware Strava Run (leider noch nicht Runtastic) bis hin zu Allthecooks Recipies. Bei letzterer App werden beim Kochen die Rezepte im Glass-Bildschirm eingeblendet. Das gesprochene „Ok Glass“ sorgt in der Öffentlichkeit für Schmunzeln, in der Familie für Erheiterung bei den Kindern, die immer, wenn sie es hören, "Ok Glass“ nachplappern, fast schon automatisiert.

Kamera

Die Glass funktioniert – teilweise. Fotos sind ok, aber keineswegs berauschend, die Kamera schafft eine Auflösung von 5 Megapixel. Für die Video-Aufzeichnung (720p) eignet sich die Brille am besten, wie die Tesla-Testfahrt gezeigt hat. Die Google-Suche ist mittelmäßig, da die Spracherkennung nicht immer so will, wie sie sollte. Das Foto- und Videosharing auf Google+ funktioniert tadellos und das Anrufen sowieso.

Spannend ist die Funktion „Screencast“. Die ruft man auf seinem Smartphone auf und kann auf dem Smartphone-Screen live mitverfolgen, was der Glass-Träger gerade sieht – das hat die futurezone beim Dreh mit David Alaba schon testen können.

Apps fehlen

Was für die Glass noch fehlt, sind richtig coole Apps – zwar gibt es da wie dort Anwendungen, die lustig sind, aber der Knüller ist nicht dabei. Eine coole App wäre (aber dagegen würden wohl Datenschützer protestieren), eine Gesichtserkennungs-Applikation. Die App könnte einem sagen, wen man gerade sieht.

Diese Ideen gab es bereits beim ersten Google Glass Hackathon (ein 24-Stunden-Wettbewerb für Programmierer), allerdings gibt es eine solche App bis dato nur im Ansatz. Das US-Startup Refresh hat eine solche App für LinkedIn-Mitglieder entwickelt, bei denen zumindest Kunden dieses sozialen Netzwerkes zu erkennen sein sollen. Ob es funktioniert, hat die futurezone noch nicht getestet.

Bei den Apps gibt es übrigens zwei Ansätze – der eine ist, dass die App direkt in der Brille gespeichert wird, oder dass, wie bei vielen anderen Smartphone-Apps auch, eine Verbindung zu einem Server hergestellt werden muss.

Die Mängel

Was bei den Glass-Workshops auffällt – selbst jene, die die Brille tagtäglich in der Hand haben und sogar Apps entwickeln, kämpfen mitunter mit ihren Tücken: Bei einem der Google Glass Meetups brachte der Vortragende seine Glass gar nicht zum Laufen. Ein anderer Kritikpunkt ist, dass die Menüführung verwirrend und mitunter nicht ganz logisch ist. Das nach vorne, nach oben, nach unten Streichen und Berühren des Touchpads gerät manchmal ein wenig zufällig. Ein weiterer Punkt ist, dass man bei der Glass sehr genau darauf achten muss, dass sie auch wirklich ausgeschaltet ist. Da sie in den Ruhemodus geht, vergisst man häufiger sie auszuschalten – hat man sie mit dem Smartphone gepaart, so wird der Akku unabsichtlich leer.

Fällt die Glass in den Ruhemodus, kann man sie entweder durch ein Tapsen auf das Touchpad oder mit einem Nicken nach oben wieder aufwecken. Das Nicken muss häufig sehr kräftig ausfallen - abgesehen davon, dass das Nicken ziemlich komisch aussieht. Der Lithium Polymer Akku könnte auch besser sein – die Glass ist relativ schnell leer.

Und nicht zuletzt ist die Sprachsteuerung so eine Sache – die funktioniert bislang bei keinem Gerät der Welt so, wie man sich das als Konsument bzw. IT-Journalist wünschen würde.

Fazit

Man braucht eine Google Glass nur dann, wenn man unbedingt zu den „Early Adopters“ gehören und sich mit einem „Ich habe eine“ brüsten will. Abgesehen vom Preis sind die Anwendungsgebiete noch zu klein, zudem kann davon ausgegangen werden, dass es in absehbarer Zeit einen Nachfolger geben wird, der erstens besser funktioniert, zweitens unauffälliger und cooler aussieht und drittens auch von der Menüführung logischer ist. Spannend könnte die Glass aber für Firmen werden, da der Einsatz in der Produktion, Forschung und Entwicklung durchaus neue Aspekte bringen könnte, wie Beispiele von Evolaris oder AVL List zeigen.

Spannend werden Datenbrillen mit Garantie, allerdings erst dann, wenn die Menüführung überarbeitet ist, es genügend Anwendungen gibt und die Optiken und Funktionen in Brillengestelle herkömmlicher Größe und Bauart integriert sind. Das wiederum wird aber eine heftige Diskussion bei Datenschützern auslösen bzw. die bestehenden Bedenken verstärken, da man als Nicht-Datenbrillen-Träger nicht erkennt, ob man gerade im Visier einer Datenbrille ist. Zudem können die Geräte zu verschiedensten Spionage-Tätigkeiten benutzt werden. Keine Innovation wird Privatsphäre und Datenschutz so auf die Probe stellen, wie Datenbrillen.

Preis: 1631 Dollar, umgerechnet etwa 1180 Euro (abhängig vom Wechselkurs), im Lieferumfang sind noch eine Tasche und ein externer Ohrstöpsel sowie ein Sonnenbrillen-Teil/Active Shade enthalten.

Betriebssystem: Android 4.0.4 (Ice Cream Sandwich)

Akku: Lithium Polymer Akku (2.1 Wattstunden)

Interner Speicher: 16 GB

Memory: 1 GB RAM

Kamera: 5 Megapixel (720p)

Netz: Wifi, Bluetooth, Micro-USB

Gewicht: 50 Gramm

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