© Alexandra Riegler

Lichtfeld-Fotografie

Lytro-Kamera: "Wir ändern die Spielregeln"

futurezone: Was entgegnen Sie Leuten, die behaupten, dass „erst knipsen, dann scharfstellen“ das kreative Moment beim Fotografieren beschneidet?
Ren Ng: Dass für mich das genaue Gegenteil der Fall ist. Ich bin ein ernsthafter und leidenschaftlicher Fotograf. Meine Forschung an der Lichtfeldkamera begann ich inspiriert von einem Foto: ein ungestelltes Portrait eines kleinen Mädchens, das ein bisschen falsch fokussiert war. Ich dachte mir: Warum muss ich fokussieren, bevor ich das Foto schieße?

Eine der wichtigsten Entdeckungen bei den Fotos der Lichtfeldkamera war für mich die Interaktivität, die all diese neuen Türen des kreativen Ausdrucks öffnet. Ich schoss ein Foto meines Freundes Alex, mit einer Mittelformatkamera und geringer Schärfentiefe. Er gestikuliert und macht ein albernes Gesicht, im Fokus waren seine Hände. Im Nachhinein stellte ich auf sein Gesicht und die Gesichter von Freunden scharf, die mit dabei waren und auf seine Grimasse reagierten. Dabei hatte ich dieses Entdeckererlebnis: Mir war mit einem Mal klar, dass dies völlig neue kreative Möglichkeiten bedeutet.

Aber es wird mit der Lytro-Kamera einfacher, technisch korrekte Fotos zu schießen?
Es ist nicht unbedingt schwierig. Wenn man das Ganze allerdings ernster nimmt und etwas Neues schaffen will, ist es nicht ganz so simpel. Fotos können jetzt in 3D komponiert werden, damit ein starker Entdeckungseffekt entsteht. „Shoot now, focus later“ bedeutet, dass den Leuten die herkömmliche Fotografie leichter gemacht wird. Es heißt aber auch, dass das Handwerk insgesamt nun um einiges interessanter ist.

Die Lytro-Kamera basiert auf Forschungsergebnissen Ihrer Doktorarbeit. Zu welchem Zeitpunkt wurde Ihnen klar, dass Sie auf etwas wirklich Wichtiges gestoßen waren, das sich in einer Kamera umsetzen lässt?
Das geschah in Etappen. Nach dem theoretischen Teil meiner Forschung begann ich mit der praktischen Anwendung und stellte zunächst das Design einer etwas größeren Version der heutigen Kamera am Computer nach. Ich simulierte die exakten Pixel, die sich vom Sensor ablesen lassen, indem ich die Lichtstrahlen durch das Objektiv hindurch bis zur Sensorenoberfläche verfolgte. Eine weitere Software refokussierte schließlich die Lichtfeld-Engine. Und das war wirklich ein Schlüsselmoment. Ich sah wie lebensnah die Fotos aussehen würden, und zwar bevor wir eine Ahnung von der Leistung des Systems hatten. Wir durchliefen danach zwei weitere Prototyping-Stufen, zuerst an einem optischen Tisch, später mit einer Kamera, die wir herumtragen konnten. Da dachte ich mir zum ersten Mal: “Wow, das ist wirklich praktisch und kann richtig einschlagen.”

Bei der Lichtfeld-Technologie gibt es wenig Probleme mit dem Bildrauschen. Warum?
Wenn man bei herkömmlichen Kameras die Megapixelanzahl erhöht, kann das Bildrauschen zu einem lästigen Problem werden. Es gibt zwei Arten von Rauschen. Am Rauschen des elektrischen Systems arbeiten die Hersteller und erzielen hervorragende Ergebnisse. Doch auch wenn sie es perfekt machen, bleibt die andere Rauschquelle: die Zufälligkeit der Welt, in der wir leben, vom Standpunkt des Lichts aus betrachtet. Bei einer Lichtfeldkamera gibt es das Problem nicht. Wir bündeln alle Lichtstrahlen, die wir einsammeln, im Foto. Damit führen höhere Auflösungen nicht zu mehr Bildrauschen.

Bei Bildsensoren für Digitalkameras scheint derzeit ein Plafond von 16 Megapixeln erreicht. Für Sie sind auch Sensoren mit höherer Auflösung von Interesse. Welchen Einfluss könnte die Lichtfeldfotografie damit auf die Industrie haben?
Eine ganze Reihe von Einflüssen. Bei herkömmlichen Kameras ist die Grenze an sinnvollen Megapixeln bei Weitem überschritten. Aber die Halbleiterindustrie kann weit höhere Auflösungen fertigen, Hunderte Megapixel. Wenn wir diese für Lichtstrahlen anstatt Pixel verwenden, können wir mehr Einfluss nehmen: wie (qualitativ, Anm.) schön Fotos aussehen, wie sehr der Betrachter eintauchen und die Schärfeebenen verändern kann. Das ist echte Innovation und die ist in der Kameraindustrie seit vielen Jahren tot. Wir laufen Megapixeln hinterher, arbeiten an verschiedensten Varianten zur Gesichtserkennung. All das sind Dinge, die nur Eingeweihte interessant finden, und es sind die klassischen Anzeichen eines großen, stabilen, langweiligen Marktes - das Dilemma des Erfinders, wenn wenn Sie so möchten: Dingen nachzulaufen, die dem Konsumenten egal sind. Scharfstellen im Nachhinein ermöglicht verzögerungsfreies Auslösen, 3D inhärent in jedem Foto und noch so viele andere Dinge, an denen wir arbeiten. Wir ändern die Spielregeln. Jetzt geht es um Software und Innovation in der Bildverarbeitung.

Nehmen wir einen größeren, deutlich höher auflösenden Sensor an. Was ließe sich damit alles anstellen, abgesehen von besserem 3D?
Eine weit höhere Detailgenauigkeit im Lichtfeld. Der Aufbau der Linse ließe sich verändern. Je mehr Leistungskraft der Lichtfeldsensor hat, desto stärker kann man das Objektiv verändern und es dünner, leichter, billiger machen. Mehr Performance könnte auch größere Zoom-Reichweiten oder Blenden bedeuten als wir je gesehen haben.

Das Design der Lytro-Kamera ist auch äußerlich ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Es ist eine ganz neue Form, die Kultcharakter hat. Das ist ausgezeichnet, immerhin handelt es sich um eine transformative Technologie. Wir haben uns aber nicht dafür entschieden, nur um die Kamera anders aussehen zu lassen. Die Form entspricht dem Objektiv, das den gesamten vorderen Bereich einnimmt. Es gibt einfach keine Objektive mit einer Brennweite von 36 bis fast 300 Millimetern am Markt, die über den gesamten Zoombereich hinweg eine Lichtstärke von f/2,0 haben.

Die Einfachheit des Designs war uns wichtig. Kameras sind zu kompliziert. Die neueste Nikon-Kamera hat 28 Knöpfe. Hier gibt es einen Auslöse- und einen Einschaltknopf sowie einen Slider an der Oberseite zum Zoomen. Die Vorderseite ist aus anodisiertem Aluminium, das leicht und widerstandsfähig ist und dem Gerät eine Exoskelett-ähnliche Festigkeit verleiht. An der Hinterseite verwenden wir Präzisionssilikon. Das fühlt sich gut an und ist griffig.

Wie lange hält der Akku?
Das kommt auf die Art der Verwendung an. Bei typischem Verbrauch reicht er wahrscheinlich für rund 400 Fotos. Wenn Sie sehr schnell sind, ist die Karte vermutlich voll, bevor die Batterie zu Ende ist

Wie unterscheidet sich die Fotoqualität von der einer günstigeren DSLR-Kamera?
Das würde bedeuten, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Die Fotos für die elektronische Benutzung gemacht. (Ng zeigt Fotos auf seinem Laptop her: seine Valentinstagsüberraschung, seine Frau, einige Makroaufnahmen, ein Kampfflugzeug.) Das sind die Blue Angels, eine Kunstflugstaffel der Marines. Man sieht beim Jet sogar Kondensationsspuren an den Triebwerken. Die Kamera hat einen hervorragenden Kontrastumfang. Aber die Fotos sind nicht dazu ausgelegt, um in Postergröße ausgedruckt zu werden.

Was muss im Bereich der Prozessorleistung geschehen, damit Lichtfeldvideo möglich wird?
Das bedeutet auf jeden Fall eine ganze Menge an Rechenleistung und große Herausforderung für das Systems Engineering. Aber die Auswirkungen von Lichtfeldvideo sind klar. Nehmen wir Kinoproduktionen. Da gibt es ein Script und einen Kameraassistenten, dessen einzige Aufgabe es ist, den Fokus dem Script entsprechend zu bewegen. Im Privatbereich ist das nahezu unmöglich. Wenn das Kind erst einmal die Geburtstagskerzen ausgeblasen hat, ist der Moment vorüber. Den Fokus im Nachhinein zu verändern, bedeutet zum allerersten Mal Fokus in Kinoqualität für das echte Leben.

Wie lange kann das noch dauern?
Da würde ich ungern schätzen. Ich könnte falsch liegen.

Was ist greifbarer: Lichtfeldtechnologie am Handy oder Lichtfeldvideo?
Das sind zwei ganz unterschiedliche Herausforderungen, aber wahrscheinlich wäre es am Handy einfacher.

Wie schwierig wäre es einer DSLR-Kamera Lichtfeldtechnologie zu verpassen?
Aus technischer Sicht ginge das. Die ersten Demofotos sind auf einem DSLR-Prototypen entstanden, an dem wir herumoperiert haben.

Sind Sie daran interessiert, die Technologie zu lizensieren?
Sag niemals nie. Im Moment konzentrieren wir uns aber darauf, unser Produkt unter die Leute zu bringen.

Die erste Lytro-Kamera hat keinen Blitz. Soll die nächste Version einen bekommen?
Es gehört zu unserer Unternehmensphilosophie, Sachen nur dann zu verwenden, wenn sie wirklich gut funktionieren. Eingebaute Blitze machen einfach schreckliche Fotos. Wir alle wissen das. Wir werden erst dann einen Blitz einbauen, wenn es eine wirklich tolle Lösung gibt. Auf diesem Gebiet haben wir einiges beizutragen.

Adam Lashinsky schreibt in seinem Buch „Inside Apple“, dass Sie vergangenes Jahr Steve Jobs getroffen haben, um mit ihm über die Lichtfeldtechnologie zu sprechen. Nervt es Sie, wenn Sie die Leute seither darauf ansprechen?
Es nervt mich nicht, ich sprach mit Adam Lashinsky darüber. Ich schätze mich glücklich, dass ich ihn treffen konnte, einige Monate vor ... (seinem Tod, Anm.). Er hat mich positiv beeinflusst seit ich Kind war - indirekt, über all die Produkte, die Apple herausgebracht hat: in Bezug auf die Ästhetik, das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft, das Streben nach Exzellenz, das Augenmerk auf Details.

Ich erlebte ihn als charmant und klardenkend. Seine Augen leuchteten, es ging beinahe eine Energie von ihnen aus. Er dachte nach und schaute mit dieser großen Brille in die Ferne. Ich kann nicht ins Detail gehen, worüber wir gesprochen haben. Aber ich erlebte das Treffen als echte Inspiration.

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Lytro
Das 2006 vom Stanford-Absolventen Ren Ng gegründete Start-up Lytro brachte in den USA vor kurzem die ersten Lichtfeld-Kameras auf den Markt. Lytro macht damit die Lichtfeld-Fotografie, die einst nur aufwendig im Labor möglich war, nun für eine breite Masse zugänglich.

Angeboten wird die Lytro-Kamera in einer 8-GB- und einer 16-GB-Variante für 399 bzw. 499 Dollar. Die ersten Modelle wurden vor kurzem ausgeliefert. Wann die Kamera in Österreich erhältlich sein wird, ist bislang nicht bekannt.

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