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Smartphone

Nokia Lumia 630 im Test: Die Rückkehr des Nokia-Ziegels

Fast jeder Handy-Nutzer hat in seinem Leben zumindest ein Modell von Nokia besessen und besondere Erinnerungen daran. Sei es das scheinbar unzerstörbare Nokia 3310, das wuchtige Nokia 7650 oder der absurd teure Nokia 9000 Communicator, der den Weg für heutige Smartphones ebnete. Als besondere Schönheiten waren Nokia-Handys nie bekannt, dennoch werden sie bis heute als zuverlässig geschätzt.

Seit der Kooperation mit Microsoft (aus der mittlerweile eine Übernahme wurde) bröckelte dieser Ruf jedoch. Nokia versucht nun, einen Teil dieses Rufs mit seinen neuen Einsteigermodellen wiederherzustellen. Die futurezone hat das neue Lumia 630, das für weniger als 200 Euro erhältlich ist, getestet.

Das quietschbunte und verspielte Vorgänger-Modell Lumia 620 konnte in puncto Verarbeitung nicht so recht überzeugen. Statt einem unnötig teuren Gehäuse, in dem auch der Kopfhöreranschluss verbaut wurde, setzt man nun beim Lumia 630 auf ein deutlich einfacheres Design. Das Cover ist einfärbig und kommt ohne Elektronik aus. Tausch-Cover in anderen Farben sind für rund zehn Euro erhältlich. Im Vergleich zum Vorgänger ist die Oberfläche des Gehäuses griffiger, dabei aber ebenso anfällig für Fingerabdrücke und Dreck. Das Abnehmen des Gehäuses ist etwas mühsam und erfordert Fingerspitzengefühl. Beim Einsetzen gibt es hingegen keinerlei Schwierigkeiten, die Haken an den Seiten rasten ohne großen Druck ein. Hier ist das Spiel jedoch einen Tick zu groß, bei festem Druck auf die Mitte gibt das Gehäuse etwas nach.

Im Alltag fällt das jedoch nicht auf, hier schließt das Gehäuse gut mit dem Display ab. Der Abstand zwischen Display und Gehäusekante ist mit fünf Millimetern nicht unbedingt gering, aber dennoch angemessen. Ohnedies ist das Lumia 630 dank seiner Maße von knapp 130 Millimetern in der Höhe sowie 67 Millimetern in der Breite angenehm zu halten. Die einhändige Bedienung ist problemlos möglich, auch wenn man den Daumen hin und wieder etwas strecken muss. Mit einer Dicke von 9,2 Millimetern ist es zudem dünn genug für die Hosentasche.
Rechts oben findet sich die Lautstärkewippe, in der Mitte wurde der Power-Knopf positioniert. Dieser ist gut zu erreichen, sowohl mit der linken als auch der rechten Hand. Auf Soft-Keys wurde verzichtet, diese werden auf dem Bildschirm angezeigt. Microsoft hat die Design-Richtlinien für Windows Phone 8.1 deutlich gelockert. So muss nun auch kein Kamera-Button mehr vorhanden sein. Ungünstig positioniert wurden der Lautsprecher und das Mikrofon, die in einer Vertiefung verbaut wurden. Dort sammelt sich recht schnell Schmutz, der nur mühsam entfernt werden kann. Der microUSB-Anschluss findet sich unten mittig, der Kopfhörer-Ausgang oben links.

Das Lumia 630 ist lediglich mit 512 MB RAM ausgestattet. Das mag zunächst wie ein großer Flaschenhals erscheinen, im Alltag war davon aber nichts zu spüren. Apps benötigten hin und wieder etwas länger zum Öffnen, wenn mehrere Apps im Hintergrund aktiv waren, Ruckler oder spürbar schlechtere Performance ließen sich aber nicht feststellen. Auch bei der App-Auswahl gibt es kaum Einschränkungen. Lediglich einige Spiele, wie zum Beispiel “Mass Effect: Infiltrator”, setzen zumindest ein Gigabyte Arbeitsspeicher voraus.

Das betrifft jedoch eine verschwindend geringe Zahl von Apps im Windows Phone Store, laut einer Statistik von All About Windows Phonesetzten im Juli 2013 lediglich 0,24 Prozent der Apps zumindest ein Gigabyte Arbeitsspeicher voraus. Damals zählte Microsofts App Store noch 150.000 Apps, mittlerweile ist diese Zahl auf weit über 250.000 gewachsen. Dennoch war es im Rahmen des Tests nahezu unmöglich, Apps zu finden, die aufgrund des geringen Arbeitsspeichers Probleme bereiten. Ob der Ausstattung des Lumia 630 darf man nicht unbedingt von zukunftssicher sprechen, die aktuelle Version von Windows Phone 8.1 läuft jedoch derzeit makellos. Auch der in einigen Foren angesprochene Fehler, bei dem Live Tiles verzögert nachgeladen wurden, trat im Test nicht auf.

Der Bildschirm des Lumia 630 kann dank IPS-Technologie knallige Farben und eine gute Blickwinkelabhänigkeit aufweisen. Das getestete Exemplar wies jedoch leichte Schatten an der oberen und unteren Kante auf, die allerdings nur leicht schräg und bei weißem Bildschirminhalt zu sehen waren. Die Bildschirmauflösung von 854 mal 480 Pixeln ist bei einer Diagonale von 4,5 Zoll solide für ein Einsteiger-Modell, mit dem 720p-Display des Moto G (ebenfalls unter 200 Euro erhältlich) kann es jedoch bei weitem nicht mithalten.

Die niedrige Pixeldichte von 217 ppi macht sich im Alltag vor allem bei Webseiten bemerkbar, die einen leichten Treppeneffekt bei kleinem Text und Grafiken aufweisen. Der Kontrast kann überzeugen, lediglich das Weiß ist von einem leichten Grauschleier überzogen. Eine Farbverfälschung war jedoch nicht erkennbar. Leider fehlt dem Lumia 630 ein Helligkeitssensor. So kann der Benutzer lediglich manuell zwischen drei Helligkeitsstufen wählen und muss dafür das Notification Center bemühen. Auch der von anderen Lumia-Modellen bekannte Modus mit hohem Kontrast, der die Lesbarkeit bei Tageslicht verbessert, fehlt.

Die verbaute 5 Megapixel-Kamera war eine angenehme Überraschung. Dank der hervorragenden Nokia Camera-App gelangen rasch Schnappschüsse, auch der Autofokus und die Auslösezeit ließen kaum zu wünschen übrig. Mager war jedoch die Leistung bei schwachen Lichtbedingungen. Die Kamera-App schraubt recht rasch den ISO-Wert nach oben und so liefert sie meist griesige Bilder mit starkem Rauschen ab. Setzte man den ISO-Wert manuell herab, entstanden wiederum recht unscharfe Bilder, da die Auslöse-Automatik für eine lange Auslösezeit sorgte und so eine ungemein ruhige Hand erfordert.

Im Laufe des Tests wurde auch der praktische Kamera-Knopf mit dem zweistufigen Druckpunkt vermisst, der bei früheren Lumia-Smartphones stets vorhanden war. Die Videoaufnahme ist in 720p bei 30 Bildern pro Sekunde möglich, eine Bildstabilisierung per Hard- oder Software wurde nicht implementiert. Eine Frontkamera, beispielsweise für Videotelefonie, fehlt. Auch das ist den gelockerten Design-Richtlinien geschuldet, Selfie-Fans dürften keine Freude daran haben. Andererseits hätte eine VGA-Kamera, wie beim Vorgänger Lumia 620, wohl auch nur wenig Sinn gemacht.

Das Lumia 630 ist das erste offizielle Smartphone mit Windows Phone 8.1. Das Update soll im Laufe der nächsten Monate für alle Windows Phone 8-Geräte ausgeliefert werden, der genaue Zeitpunkt hängt jedoch vom Hersteller ab. Nokia ist der Umstieg auf Windows Phone 8.1 gut gelungen. Die neue Version des mobilen Microsoft-Betriebssystems ist mehr als nur ein Update, wie die futurezone bereits im umfangreichen Test berichtet hat. So bringt sie neben essenziellen Funktionen, die die Konkurrenz bereits seit geraumer Zeit besitzt, zum Beispiel einem zentralen Notification Center mit Schnelleinstellungen und der Sprachassistentin Cortana, viele Verbesserungen für Entwickler mit. Cortana ist vorerst nicht in Österreich verfügbar, mit einem US-Account lässt sie sich bereits auch hierzulande nutzen - vorerst aber nur auf Englisch.

Die neuen Funktionen machen aus Windows Phone ein deutlich flexibleres System, das sich mittlerweile zu einer guten Alternative zu iOS und Android entwickelt hat. In puncto App-Auswahl kann Microsoft mit 250.000 Apps eine mehr als solide Basis vorweisen, dennoch sollte man als Umsteiger zuvor einen Blick in den Windows Phone Store werfen, ob denn all das vorhanden ist, was man benötigt. Mittlerweile sind die wichtigsten Plattformen, wie Facebook, Spotify, Pinterest oder Instagram, mit Apps im Store vertreten. Mangelhaft ist jedoch der Support. Während bei der iOS- und Android-Version von Facebook nahezu täglich ein Update ausgeliefert wird, kann das bei der Windows Phone-Version oft mehrere Wochen dauern.

Doppelte SIM, gute Qualität

Auf dem Smartphone ist keine Software von Dritt-Herstellern installiert und spart so wertvollen Speicherplatz. Lediglich einige Nokia-Apps wie MixRadio, Here Drive+ oder die Kamera-Apps Cinemagraph, Creative Studio und Glam Me werden mitgeliefert, können aber jederzeit deinstalliert werden. Das getestete Lumia 630 verfügt über zwei SIM-Kartenslots, weswegen auch je zwei Telefon- und SMS-Apps installiert waren. Das sorgte anfangs für etwas Verwirrung, da unter anderem auch die Anrufprotokolle voneinander getrennt waren. Die klare Trennung zwischen den beiden SIM-Karten stellte sich jedoch als übersichtlich heraus, vor allem wenn es keine Überschneidungen zwischen Kontakten der beiden Anschlüsse kommt. Die Sprachqualität des Lautsprechers ist gut, der Gesprächspartner ist auch in lauten Umgebungen gut verständlich.

Typisch für ein Windows Phone: Der 1.830 mAh-Akku des Lumia 630 lässt einige Android-Smartphones alt aussehen und lieferte rund zweieinhalb Tage Akkulaufzeit bei moderater Nutzung (zwei Stunden Telefonieren, vier Stunden Internet Explorer und Apps).

Nokia und Microsoft liefern mit dem Lumia 630 ein exzellentes Beispiel für ein Einsteiger-Smartphone mit Windows Phone 8.1 ab, nur der Bildschirm enttäuscht. Wer nur hin und wieder eine App benötigt, findet im Lumia 630 einen idealen und ausdauernden Begleiter. Jetzt wäre es einmal an der Zeit für andere Hersteller, sich an ähnlichen Modellen zu versuchen. Lediglich Huawei hat sich vergangenes Jahr mit dem W1 in das Einsteiger-Segment für Windows Phone gewagt, eine Fortsetzung steht noch aus. So wird Nokia ein scheinbar recht großes Feld überlassen. Doch blickt man etwas über den Tellerrand hinaus - genauer gesagt, auf Android - sieht die Situation anders aus.

Alternativen

Das Motorola Moto E ist günstiger (120 Euro) und kann ähnliche Spezifikationen vorweisen. Pikanterweise macht sich Nokia mit dem Android-Smartphone Nokia X2 selbst ein wenig Konkurrenz (ca. 120 Euro), hier fehlt jedoch der Google Play Store. Das Einsteiger-Modell Asha 501 (60 Euro) kommt zwar der Funktionalität eines Smartphones recht nahe, mehr als ein Handy mit Touchscreen und Zugriff auf die wichtigsten Sozialen Netzwerke darf man sich nicht erwarten. Wer etwas mehr ausgeben möchte, bekommt mit dem Motorola Moto G das wohl derzeit beste Smartphone unter 200 Euro.

tl;dr: Ein solides Einsteigermodell, das hoffentlich andere Hersteller inspiriert

Modell:
Nokia Lumia 630 (Dual-SIM)
Display:
4,5 Zoll IPS LC-Bildschirm - 854 x 480 Pixel (16:9, 217 ppi, geschützt von Gorilla Glass 3)
Prozessor:
1,2 GHz Quadcore (Qualcomm Snapdragon 400)
RAM:
512 Megabyte
Speicher:
8 GB intern, microSD-Kartenslot
Betriebssystem:
Windows Phone 8.1
Anschlüsse/Extras:
microUSB, Bluetooth 4.0, WLAN (b/g/n)
Akku:
1.830 mAh
Kamera:
5 Megapixel (Rückkamera, ¼” Sensor)
Videos:
Aufnahme in 720p bei 30 fps möglich
Maße:
129,5 x 66,7 x 9,2 mm, 134 Gramm
Preis:
159 Euro (UVP, Dual-SIM: 169 Euro)

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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