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Smartphone Test

Nokia Lumia 800 im Test: Keine Erleuchtung

Wenn man zwei alte Sachen mischt, ergeben sie ein Neues: So lassen sich wohl die Gedankengänge von Nokias Entwicklerabteilung beim Designen des Nokia Lumia 800 zusammenfassen. Alt ist dabei etwas drastisch ausgedrückt, denn das N9, das in Sachen Gehäuse, Display und Kamera ident mit dem Lumia 800 ist, erschien erst im Oktober. Allerdings nicht in den wichtigen Märkten USA, Großbritannien und Deutschland. Auch das Mango-Update von Windows Phone ist noch nicht so alt – seit Windows Phone 7.5 verfügbar ist, sind bisher hierzulande erst drei neue Geräte (HTC Radar, HTC Titan, Samsung Omnia W) auf den Markt gekommen. Das Nokia Lumia 800 ist die Nummer Vier.

Bekanntes Design
Optisch gibt es am Lumia 800 nichts zu bemängeln. Das Design des N9 passt auch dem Lumia gut, wenn auch die stets sichtbaren Windows-Phone-Softtouch-Tasten nicht ganz so sexy sind, wie die tastenfreie Front des N9. Am hochwertigen Gehäuse gibt es nichts zu meckern, außer, dass es immer noch relativ dick ist im Vergleich zu aktuellen Windows Phones, wie dem HTC Radar und Handys mit anderen Betriebssystemen.

Das Handling ist gut, wenn auch das Lumia 800 eher schwer in der Hand liegt. Die Standby-Taste am rechten Rand ist etwas zu tief positioniert, bzw. zu nahe an der Lautstärkenregelung, weshalb man sich anfangs gerne mal verdrückt. Die eigene Kamerataste hat einen gut-fühlbaren Druckpunkt zum Fokussieren. Das Durchdrücken zum Auslösen ist aber etwas zu schwammig. Wer das Smartphone zusätzlich schützen will, kann ihm die mitgelieferte Gummischutzhülle überstreifen.

Das AMOLED-Display und dessen gewölbtes Glas sehen immer noch beeindruckend aus, besonders die kräftige Farbdarstellung gefällt. Das „Wow“-Erlebnis ist aber nicht ganz so groß wie beim N9. Der Betrachtungswinkel des Displays und der Kontrast ist immer noch toll, aber die Windows-Phone-Kacheln harmonieren einfach nicht ganz so perfekt mit dem gewölbten Display, wie die Icons des N9.

Die Windows Phone Kastration
Das ist nicht das Einzige, was nicht mit Windows Phone harmoniert. Damit die Windows-Phone-Tasten Platz haben wurde das Display von 3,9 auf 3,7 Zoll zurechtgestutzt. Die Auflösung beträgt jetzt 800x480 (Windows-Phone-Standard), statt den 854x480 Pixel des N9.

Die Front-Kamera wurde verworfen, genauso wie das NFC-Modul. Letzteres ist aber kein großer Verlust, da Windows Phone kein NFC unterstützt – ein entsprechendes Update soll 2012 erfolgen. Beim N9 war stets die Uhrzeit und Icons für verpasste Anrufe zu sehen, was nicht nur toll aussah, sondern auch nützlich war. Beim Lumia 800 gibt es das nicht – auch auf eine LED-Statusleuchte wurde verzichtet, die auf verpasste Anrufe und eingegangene Nachrichten hinweisen könnte.

Der RAM wurde von den 1GB des N9 auf 512MB RAM gekürzt. Der interne Speicher ist 16GB groß, wovon etwa 12,80GB zur Verfügung stehen. Eine 64GB-Variante, wie beim N9, gibt es nicht. Der Speicher kann nicht durch MicroSD-Karten erweitert werden – das war aber auch schon beim N9 nicht möglich. Wie das N9 nimmt das Lumia 800 nur Micro-SIM-Karten. Gut für iPhone 4-Umsteiger, schlecht für alle mit normal-großen SIM-Karten, da der Umtausch beim Handybetreiber etwas kostet.

Leistung
Aber nicht alles ist beim Lumia 800 schlechter. Der Single-Core-Prozessor hat 1,4GHz, beim N9 waren es 1GHz. Meistens navigiert es sich mit dem Lumia 800 recht flüssig, sobald man aber online geht, etwa um Twitter-Updates einzuholen, eMails abzurufen oder wenn eine App geladen wird, gerät es kurz ins Stottern. Dafür kann aber die Hardware nichts, ein ähnliches Verhalten war auch beim HTC Titan zu beobachten. Im Vergleich zum HTC Titan (1,5GHz) ist das Lumia 800 einen Tick träger.

Die Qualität beim Telefonieren ist nicht überragend, aber in Ordnung. Die Empfangsleistung für Telefonie ist ok, beim Datenverkehr läuft es unrund. Ist das Lumia 800 für fünf oder mehr Minuten im Standby, wird fast immer die WLAN-Verbindung gekappt, wenn man die Displaysperre löst. Die Chancen stehen dann Fifty/Fifty, dass die WLAN-Verbindung automatisch wiederhergestellt wird. Ansonsten muss man das eigentlich bekannte WLAN-Netz nochmals anwählen und in einigen Fällen WLAN deaktivieren und wieder aktivieren, damit die Verbindung aufgebaut werden kann.

Ein ähnliches Problem gibt es bei 3G: Löst man die Display-Sperre, besteht zu 50 Prozent die Chance, dass 3G nicht mehr funktioniert. Das 3G-Logo wird zwar angezeigt, ebenso wie die Empfangsbalken. Geladen werden Websites aber nicht. Erst durch Deaktivieren der mobilen Datenverbindung und erneutem Aktivieren wird das Problem gelöst.

Die Akku-Kapazität entspricht mit 1450mah jener des Nokia N9. Der schnellere Prozessor verbraucht aber auch etwas mehr, weshalb der Akku bei intensiverer Nutzung, mit Spielen, Aufnehmen von Fotos und Videos und Websurfen, am Ende des Tages leer ist. Schränkt man sich mit Spielen und Fotografieren ein, sind eineinhalb Arbeitstage möglich.

Der Akku-Bug ist bei dem Lumia 800, das der futurezone zur Verfügung steht, nicht vorhanden. Dafür wird aber der Ladestatus mit 65535 Prozent im Diagnose-Programm angegeben. Ein anderer, seltsamer Bug: Ist das Lumia 800 am Ladegerät, scrollt das Display von alleine leicht rauf und runter, wenn man den Finger am Touchscreen ruhen lässt. Hier das Video zur Demonstration:

Software
Auf Nokias Hausmesse Nokia World wurde das Lumia 800 mit mehreren Services vorgestellt, die das Smartphone von anderen Handys mit dem Betriebssystem Windows Phone Mango unterscheiden sollen. „Nokia Navigation“ ist vorinstalliert. Die Turn-by-Turn-Navigation mit Sprachausgabe erlaubt es das Kartenmaterial herunterzuladen und offline verfügbar zu machen.

Die Nokia-Apps „App-Highlights“ und „Nokia Karten“ sind ebenfalls vorinstalliert. App-Highlights empfiehlt Apps und bietet eine Funktion, die durch Schütteln des Handys eine zufällige App vorschlägt. Platziert man App-Highlights auf der Startseite als Live-Kachel, werden zufällig Apps angezeigt.

Nokia Karten“ ist die Vollversion der App, die nur für Nokia-Windows Phones zur Verfügung steht. Zwar gibt es die App auch im Marketplace für andere Windows Phone Mango-Handys, allerdings hat diese einen reduzierten Funktionsumfang. Die Vollversion des Lumia 800 braucht sich nicht für Google Maps verstecken und bietet eine Fußgängernavigation, lokale Tipps und das Teilen der Route auf Facebook.

Die Musik-App „Nokia Music“ gibt es auf österreichischen Lumias nicht und damit auch nicht die Funktion „Mix Radio“. Laut Nokia ist das Service für Österreich zwar nicht geplant, aber ganz auszuschließen, dass dieser nachgereicht wird, ist es nicht.

Kamera
Die Hardware der Kamera (8MP, Blende 2.2) ist mit der des N9 ident. Die Aufnahmen kommen aber nicht ganz an das N9 heran. Die Bilder sind unschärfer, der automatische Weißabgleich liegt öfters falsch und Farben und Kontraste sind häufig zu blass. Durch die manuellen Einstellungen lässt sich vieles davon beheben, allerdings muss man sich auch die Zeit nehmen dafür. Im direkten Vergleich sind die Fotos des HTC Titan eine Spur besser.

Auch der Autofokus beim Lumia 800 könnte schneller sein, besonders bei Videos, die man mit 720p aufnimmt, hinkt er oft hinterher. Eine Gesichtserkennung mit automatischer Fokussierung gibt es nicht.

Fazit
Warum das Lumia 800 laut Stephen Elop „das erste echte Windows Phone“ sein soll, bleibt ein Mysterium. Es ist auch nicht die beste Windows Phone und nicht das schnellste Windows Phone. Ob es das schönste Windows Phone ist, ist Geschmackssache. Durch das Gewicht, die Dicke und die für die Gehäusegröße kleine Displaydiagonale wirkt das Lumia 800 aber nicht besonders elegant oder zeitgemäß, verglichen mit anderen Smartphones. Es ist aber zumindest das Windows Phone mit dem hübschesten Display und der besten Navigations-Lösung.

Will man Windows Phone eine Chance geben, gibt es jetzt zwei Highend-Geräte: Das Lumia 800 und HTC Titan. Soll es ein normal-großes und kein riesengroßes Display haben, ist das Lumia 800 die richtige Wahl – für das hoffentlich in Kürze ein Patch erscheint, der die WLAN- und 3G-Probleme behebt.

Geht es einem nur um die Hardware und nicht das Betriebssystem, bekommt man das N9 mittlerweile für rund 450 Euro (UVP Lumia 800: 500 Euro). Wenn man eine größere Auswahl an Apps haben will, findet man bei Preisvergleichsportalen gute Android-Modelle, wie das Samsung Galaxy SII, Galaxy Nexus oder das HTC Sensation XE, günstiger oder um nur wenig Geld mehr.

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Modell:
Nokia Lumia 800
Betriebssystem:
Windows Phone 7.5 "Mango"
Display:
3,7 Zoll AMOLED, 800x480 Pixel
Prozessor:
1,4GHz Single Core Qualcomm Snapdragon
RAM:
512MB
Speicher:
16GB
Kamera:
8 Megapixel, Videos in 720p
Dimensionen:
116,5 x 61,2 x 12,1 mm, 142 Gramm
Preis:
499 Euro UVP, verfügbar in den Farben Schwarz, Blau und Pink

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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