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Smartphone-Test

Nokia Lumia 920 im Test: Nachtaktiver Klotz

Das Lumia 920 und 820 sind die ersten Windows-Phone-8-Geräte des Microsoft-Partners Nokia. Besonders das Flaggschiff Lumia 920 und dessen Kamera mit PureView-Technologie wurde stark beworben. Dieser Schuss ging allerdings nach hinten los, da Nokia „vergessen" hatte bei den Videoclips einzublenden, dass es sich nur um eine Simulation handelt (Videos und Bilder wurden nicht mit dem Lumia 920 gemacht).

Abgesehen davon gab es auch Kritik, weil das Lumia 920 erst im Jänner in Österreich startet, während es etwa in Deutschland schon seit Anfang November erhältlich ist. Die futurezone hat das Lumia 920 getestet und verrät, ob sich das Warten gelohnt hat.

Design
Das Lumia 920 setzt die Designlinie konsequent fort, die mit dem N9 begonnen und schon beim Lumia 800 und 900 eingeführt wurde. Das Display des Lumia 920 ist von charakteristischem Polycarbonat-Unibody umgeben. Das Gorilla-Glas des Displays ist zu den Rändern hin leicht nach unten abfallend, wodurch es harmonisch in die Rundungen des Unibodys übergeht.

Ein kleiner Schönheitsfleck ist der schwarz-glänzende Rand zwischen Display und Gehäuse. Der ist zwar mit dem Finger nicht spürbar, aber sichtbar und bricht so optisch den Übergang zwischen Glas und Unibody. An der Unterseite ist ein kleiner Spalt zwischen Rand und Display-Glas, in dem sich sichtbar Schmutz ablagert. Das selbe gilt für die Lautsprecher-Öffnung an der Oberseite.

Die dunklen Tasten an der rechten Seite für Lautstärke, Standby und der Kameraauslöser sind aus Zirkonoxid-Keramik (technische Keramik) gefertigt, ebenso wie die Platte an der Gehäuserückseite rund um die Kamera. Die Kameralinse und der LED-Blitz sind passgenau im Gehäuse verbaut – nicht erhoben und nicht versenkt – was optisch und haptisch angenehm ist.

Die Farbe der Keramikelemente passt gut zum matt-schwarzen Unibody. Auch die vom Display-Glas bedeckten, hellen Softtouch-Tasten an der Front, die rückseitig beleuchtet werden, wenn das Display aktiv ist, tragen zum guten optischen Gesamteindruck bei.

Selbstverteidigung
Das Lumia 920 ist robust genug gebaut, um als Selbstverteidigungs-Utensil zu fungieren und danach noch die Rettung rufen zu können. Die vier Ecken des Unibodys sind nämlich schärfer als sie aussehen. Abgesehen davon – und vielleicht um Nägel einzuschlagen – ist das hohe Gewicht nicht dienlich. Das Lumia 920 ist mit besagten 185 Gramm das schwerste Smartphone des Windows Phone 8 Trios: Das HTC 8X wiegt 130 Gramm, das Samsung Ativ S 135 Gramm.

Dazu kommt noch, dass das Lumia 920 mit 10,7 mm am dicksten von drei Smartphones ist (8X 10,12 mm, Ativ S 8,7 mm). Dadurch entsteht nicht nur der Eindruck, ein robustes, sondern auch ein riesiges Gerät in Händen zu halten, obwohl das 920 mit seinem 4,5 Zoll Display und einer Höhe von 130,3 mm eigentlich das kürzeste Smartphone des Triumvirats ist. Das HTC 8X ist trotz 4,3 Zoll Display um 2 mm länger und das Ativ S mit 4,8 Zoll Display ist 137,2 mm hoch.

Selbstverteidigungstest am Karton: Lumia 920 links und mitte, rechts die Kratzer eines Samsung Galaxy S III

Handling
Trotz des hohen Gewichts liegt das Lumia 920 gut in der Hand, in erster Linie wegen des kurvigen linken und rechten Rands des Unibodys. Die scharfen Ecken an der Unterseite machen sich beim Telefonieren nicht negativ bemerkbar. Dafür ist es aber etwas schwierig die Lautstärke-Regler beim Telefonieren zu verwenden, da es sich dabei um eine durchgehende, sehr flache Taste handelt. Telefoniert man mit der linken Hand, ist die Lautstärke-Taste zu weit oben, um sie bequem mit dem Zeigefinger bedienen zu können.

Das einhändige Tippen von SMS mit dem Daumen ist für Menschen mit mittleren und großen Händen problemlos möglich, was auch an der ausgezeichneten Onscreen-Tastatur und Rechtschreibkorrektur von Windows Phone 8 liegt. Benutzer mit kleineren Händen könnten Probleme haben mit dem Daumen das Q oder P zu erreichen.

Display
Obwohl Nokia immer die Kamera des Lumia 920 hervorhebt, ist das Display der eigentliche Star des Geräts. Nicht, weil es eine offensichtlich sichtbare Stärke hat, die die Konkurrenz sofort aussticht, sondern weil es kaum Schwächen hat.

Die Auflösung von 1280 x 768 Pixel sorgt für eine scharfe Darstellung. Die Farben sind weniger übersteuert als bei Samsungs Super-AMOLED-Displays und sind realitätsgetreuer. Das Lumia 920 ist auch heller als etwa das Samsung Galaxy SIII oder Ativ S und der Lichtmesser für die automatische Displayhelligkeit liegt fast immer richtig. Bei maximaler Helligkeit ist das Lumia 920 auch bei Sonnenlicht noch gut verwendbar.

Der Betrachtungswinkel des Lumia 920 ist schlechter als bei Samsung-Geräten, was sich in der Praxis aber kaum negativ auswirkt. Dafür sieht beim Lumia 920 weiß auch richtig weiß aus und nicht gräulich wie bei Samsung-Handys. Schwarz wiederum ist bei Samsungs AMOLED-Smartphones schwärzer als beim Lumia 920.

Wintertauglich
Ein Alleinstellungsmerkmal des Displays ist die Empfindlichkeit. Der Touchscreen und die Softtouch-Tasten können mit normalen Handschuhen verwendet werden, solange es keine dicken Fäustlinge sind. Auch die Bedienung mit den Fingernägeln funktioniert problemlos und präzise. Sollte man das Empfindlichkeits-Plus aus irgendwelchen Gründen nicht mögen, kann man in den Einstellungen die Empfindlichkeit auf „niedrig" schalten.

Das Display des Lumia 920 soll eine kürzere Reaktionszeit als andere Smartphone-Displays haben, was ein Schlieren oder Nachziehen der Darstellung verhindern soll. Selbst im direkten Vergleich mit anderen Windows-Phone-8-Modellen war dieser Vorteil nicht eindeutig zu erkennen – aber da beim Lumia 920 weder ein Schlieren noch Nachziehen negativ auffällt, scheint es zu funktionieren.

Nachtaktive Kamera
Obwohl Nokia die Kamera des Lumia 920 PureView nennt, hat diese nichts mit dem 41-Megapixel-Monster Nokia 808 PureView zu tun. Die Hauptkamera des Lumia 920 hat 8 Megapixel. Den PureView-Zusatz verdient es sich durch einen optischen Bildstabilisator. Das ist ein Novum bei Smartphones, die Verwackelungen bisher nur Software-seitig ausbessern konnten – mit mäßigem Erfolg.

Da der optische Bildstabilisator Verwackler reduziert, kann das Lumia 920 länger belichten als seine Konkurrenten. Wird länger belichtet, sieht man bei Aufnahmen mit wenig Licht mehr und es kann ein geringerer ISO-Wert verwendet werden. Dadurch sehen die Bilder des Lumia 920 bei Nacht und schwachem Kunstlicht besser als bei jedem anderen Smartphone mit iOS, Android oder Windows Phone aus.

Bei bewegenden Motiven funktioniert dieses Prinzip weniger gut. Das Motiv wird aufgrund der Bewegungsunschärfe kaum erkennbar sein, wodurch aber ebenfalls schöne Bilder, beispielsweise mit Lichtstreifen von vorbeifahrenden Autos in der Nacht, entstehen können. Ist das Motiv nah genug, kann man den LED-Blitz bemühen. Dieser ist weniger aggressiv als etwa beim Samsung Galaxy SIII und dadurch besser für Porträts geeignet, aber schlechter, wenn man versucht einen möglichst großen Bereich zu erhellen.

Beim Filmen in 720p oder der FullHD-Auflösung 1080p macht sich der optische Bildstabilisator ebenfalls positiv bemerkbar. Die Aufnahmen sind ruhiger als mit anderen Smartphones, vor allem wenn man mit dem Handy in der Hand geht oder aus dem Fenster eines Autos oder Zugs filmt. Dafür zieht das Bild bei Beginn von Schwenks oder Richtungswechseln leicht nach, was ungewohnt für Smartphone-Videos ist.

Unschärfen
Betrachtet man die Fotos auf einem größeren Bildschirm als dem des Lumia 920, fallen Unschärfen auf, womit bei Aufnahmen mit wenig Licht zu rechnen ist. Allerdings fabriziert das Lumia 920 diese Unschärfen auch bei Tageslicht-Aufnahmen, obwohl mittels der Zwei-Wege-Auslösetaste vor der Aufnahme auf das Motiv fokussiert wurde. Solange man die Bilder nur am Smartphone ansieht, wird man die Unschärfen nicht bemerken.

Ein weiteres Problem bei Tageslichtaufnahmen ist der automatische Weißabgleich, der öfters daneben liegt. Dadurch werden bei einigen Fotos die Farben zu blass, andere sind gelbstichig. Manchmal wechselt der automatische Weißabgleich auch, wenn man zwei Fotos hintereinander vom selben Motiv und aus dem selben Winkel macht. Immerhin besteht dann die Chance, dass bei einem der zwei Fotos der Weißabgleich korrekt gesetzt wurde.

Kamera-App
Wie bei den meisten Smartphones hat auch das Lumia 920 Schwierigkeiten, wenn es gleichzeitig dunkle und helle Bereiche bei einem Motiv gibt – etwa ein Haus vor hellem Himmel. Das Lumia 920 entscheidet dann meist das Bild zu dunkel zu machen. Der Szenenmodus „Hintergrundbeleuchtung" hilft hier kaum. Einen HDR-Modus gibt es nicht, auch keine Fotofilter.

Dafür bietet Nokia für das Lumia 920 eigene Foto-Apps an, die in der Kamera-App oder über die App-Liste ausgewählt werden. „Panorama" erstellt eine Panorama-Aufnahme. „Intelligente Bilder" macht vier Fotos in Serie. Erkennt die App ein sich bewegendes Objekt, etwa ein durchs Bild fahrendes Auto, kann dieses entfernt werden. Bei Porträtaufnahmen können die Gesichter von den vier Bildern zu einem kombiniert werden, auf denen alle lachen oder niemand blinzelt. „Cinemagramm" ist eine reduzierte Version der iOS-App Cinemagram und erlaubt aus einer kurzen Videoaufnahme ein animiertes Gif zu erstellen. Man kann nur vorgeschlagene Bereiche „animieren", wodurch es weniger kreative Möglichkeiten als beim Original-Cinemagram gibt.

In der Kamera-App kann man die Belichtung korrigieren. Dazu braucht es aber vier Klicks, eine Möglichkeit einen Shortcut aufs Display zu legen gibt es nicht. Durch das bildschirmgroße Auswahlmenü kann man zudem nicht sofort sehen, wie sich das Bild verändern würde, wenn etwa die Belichtung auf +2 oder -1 umstellt. Ähnliches gilt auch für den manuellen Weißabgleich.

Ausstattung
Wie auch das HTC 8X und Samsung Ativ S hat das Lumia 920 einen 1,5 GHz-Dual-Core-Prozessor und 1 GB RAM. Ruckler und Stotterer, die nicht Windows Phone 8 bedingt sind, gibt es kaum. Die Micro-SIM-Karte wird in eine Lade gesteckt, die per mitgeliefertem Tool geöffnet wird. Einen Micro-SD-Kartenslot gibt es nicht, auch auf eine LED-Benachrichtigungsleuchte wird verzichtet. Leider wird dieses Versäumnis auch nicht ausgeglichen, in dem die Beleuchtung der Softtouch-Tasten als Benachrichtigungs-Signal eingesetzt wird. Eine entsprechende App gibt es noch nicht.

Der Akku ist trotz 2000 mAh unterdimensioniert. Bei normaler Nutzung mit automatischer Display-Helligkeit, surfen im WLAN, E-Mail abrufen über 3G und ein paar Fotos, sollte das Lumia 920 vor dem Schlafengehen ans Ladegerät. Zwar hat man am Ende des Tages meistens um die 20 Prozent Akkukapazität übrig, dennoch kam es im mehrwöchigen Testzeitraum öfters vor, dass sich das Lumia 920 am darauffolgenden Morgen nicht mehr einschalten ließ, weil der Akku komplett leer war.

Neben NFC unterstützt das Lumia 920 den Induktions-Ladestandard Qi. Die optional erhältliche, kabellose Ladestation konnte nicht getestet werden, da diese von Nokia beim Testgerät nicht zur Verfügung gestellt wurde.

Während der Lautsprecher für Musik, Spiele und Video-Clips eine passable Tonqualität liefert, kann die Sprachqualität beim Telefonieren nicht überzeugen. Am Lumia 920 hört man die Stimme des Gesprächspartners eher dumpf und schal, auch der Gesprächspartner hört einen so. Verständigen kann man sich natürlich dennoch, aber im direkten Vergleich klingt etwa das Samsung Galaxy SIII und HTC One X+ besser. In Gebieten mit schlechtem Empfang (ein Strich) verweigerte das Lumia 920 ab und zu das Absenden von SMS, was mit anderen Smartphones im gleichen Netz kein Problem war.

Apps
Abgesehen von den Kamera-Apps gibt es für das Lumia 920 noch weitere, Nokia-exklusive Apps. Im „Kreativstudio" können Bilder nachbearbeitet werden. Der „Nokia City-Kompass" ist das Gegenstück zu Wikitude und bietet ebenfalls Augmented Reality, um Lokale, Geschäfte und Sehenswürdigkeiten in der Nähe anzuzeigen. „Nokia Karten" hat alles, was man von einer Karten-App erwartet, inklusive einem Routenplaner, der auch die Öffis einbezieht und die Möglichkeit bietet, Karten herunterzuladen.

Nokia Drive +" ist eine Turn-by-Turn Navigation mit Sprachausgabe. Die benötigten Karten der Länder werden während der Fahrt heruntergeladen. „Nokia Musik" bietet das kostenlose Streaming von Musik-Mixen an, die auch offline verfügbar gemacht werden können. Bestimmte Songs können nicht gezielt ausgewählt werden. Man sucht nach dem Interpreten und die App stellt dann eine Play List mit ähnlichen Songs zusammen. Als Bonus werden in der App auch Konzerte, die in den nächsten Tagen stattfinden, angezeigt.

Fazit
Das Lumia 920 ist derzeit das beste Smartphone zur Selbstverteidigung. Es ist auch das beste, wenn man gerne Handschuhe an hat und das beste, wenn man in der Nacht und bei wenig Licht damit fotografiert. Es ist aber auch eines der schwersten Smartphones derzeit – sogar Samsungs 5,55-Zoll-Gerät Galaxy Note II ist ein paar Gramm leichter. Für ein aktuelles Smartphones mit dieser Displaygröße ist das Lumia 920 einfach zu wuchtig und zu schwer. Dass der Akku trotz des hohen Gewichts nicht mit besonderer Leistungsfähigkeit glänzt, ist ein zusätzliches Manko.

Wenn einen der Gedanke an ein Schwergewicht in der Hosentasche nicht abschreckt, hat in dem Lumia 920 ein gutes Smartphone gefunden, das sich durch die kostenlosen Nokia-Apps von der Windows-Phone-Konkurrenz absetzt. Hat man keine Ambitionen von iOS oder Android auf Windows Phone umzusteigen, wird einen aber auch das Lumia 920 nicht dazu bringen können.

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Modell:
Nokia Lumia 920
Display:
4,5 Zoll IPS Display
1280 x 768 Pixel (332 PPI), von Corning Gorilla Glass geschützt
Prozessor:
1,5 GHz Dualcore-CPU (Snapdragon S4)
RAM:
1 GB
Speicher:
32 GB intern
Betriebssystem:
Windows Phone 8
Anschlüsse/Extras:
Micro-USB, 3,5mm Klinke, WLAN (a/b/g/n), Bluetooth 3.0, NFC, Qi Wireless Charging
Akku:
2.000 mAh
Kamera:
8,7 Megapixel mit LED-Blitz (Hauptkamera), 1,3 Megapixel (Frontkamera)
Videos:
1080p
Maße:
130,3 x 70,9 x 10,7 mm, 185 Gramm
Preis:
659 Euro UVP

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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