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Spieletest: Tomb Raider lässt Lara leiden

1996 war ein gutes Jahr für Videospieler: Super Mario 64 erschien in Japan und den USA, Resident Evil erblickte das Licht der Gaming-Welt, ebenso wie Metal Slug, Quake, Duke Nukem 3D, Pokemon und Diablo. Auch Tomb Raider gehört zu dem glorreichen 96er-Jahrgang – und das nicht nur wegen des Nude Patchs oder des nicht-existenten Nackt-Cheats, sondern wegen des gelungenen Genre-Mixes aus Action, Adventure und Platformer.

In den Jahren darauf folgten Filme, Comics, Auftritte in Musikvideos, inoffizielle Porno-Parodien und natürlich auch Spiele-Fortsetzungen. Nach dem mäßigen Tomb Raider: Underworld (2008) wurde es jedoch still um die fesche Archäologin. Nur 2010 gab es ein kleines Lebenszeichen mit dem Download-Game Lara Croft and the Guardian of Light, ein Shooter aus isometrischer Perspektive.

Mein Pech
Fünf Jahre später kommt jetzt nicht der Nachfolger, sondern der Reboot. Tomb Raider (PS3, Xbox360, PC, ab 18 Jahren) ist kein Remake, sondern ein Neustart der Serie, der vor dem ersten Tomb Raider-Teil spielt – also quasi Tomb Raider Zero.

Lara ist jung, unschuldig, wissbegierig und ein Magnet für Katastrophen. Das Schiff, auf dem sie und eine Crew von Klischee-Charakteren (der Geek, der abgebrühte Kämpfer, die beste Freundin, der Feigling, der Seebär...) unterwegs sind, gerät in einen Sturm und bricht auseinander. Glücklicherweise schaffen es alle auf eine Insel. Und kaum hat Lara den Strand betreten, passiert ihr das nächste Unglück.

Dieses Konzept setzt sich bis zum Ende des Games fort. Als Spieler meistert man in der Rolle von Lara die gefährlichsten Situationen, dann kommt eine Zwischensequenz, in der Lara Mist baut. Dann liegt es wieder am Spieler, sie rauszuboxen, nur damit sie in der nächsten Zwischensequenz wieder eine Dummheit macht. Nach dem dritten oder vierten Mal wirkt das lächerlich und man denkt sich: Wirklich Lara? Schon wieder?

Meine nicht so einsame Insel
Bevor diese Zwischensequenzen mit den „das hat sie aber nicht gerade wirklich gemacht"-Momenten Überhand nehmen, gibt es einen gemütlicheren Einstieg in die Welt von Tomb Raider. Das Tutorial ist wie ein Survival-Spiel aufgebaut: Man lernt Feuer zu machen, die Axt einzusetzen, organisiert einen Bogen und jagt damit ein Reh.

Diese kurze Phase geht leider relativ schnell zu Ende. Nachdem Lara ihren ersten Menschen (in einer Quick-Time-Sequenz) getötet hat, geht es Schlag auf Schlag und die Feinde fallen wie die Fliegen. Zwar findet man auch danach noch gelegentlich Wildschweine, Hasen und Rehe, das Erlegen und Ausweiden liefert aber nur Erfahrungspunkte und Strandgut, genauso wie das Pflücken von Früchten, Öffnen von Kisten oder Töten von menschlichen Gegnern.

Meine Erfahrung
Ist genügend Erfahrung für ein Level Up gesammelt, kann man bei einem der Lager, die auch als Schnellreise-Punkte dienen, eine neue Fähigkeit erlernen. Anfangs stehen nur wenige zur Verfügung, im weiteren Spielverlauf lernt Lara, präziser zu schießen, stärker im Nahkampf auszuteilen und leichter versteckte Gegenstände zu finden.

Letzteres passiert mit dem „Überlebensinstinkt". Per Tastendruck wird in eine monochrome Ansicht gewechselt, in der Gegenstände, Gegner und Objekte, mit denen man interagieren kann, farblich hervorgehoben sind. Im Grunde handelt es sich dabei um eine optionale Hilfestellung für alle, die zu faul zum selbst Suchen sind.

Meine Waffen
Neben dem Erlernen neuer Fähigkeiten dient das Lager auch zum Basteln an den Waffen. Das Strandgut wird als Währung genutzt, um Bogen, Pistole, Schrotflinte und Sturmgewehr zu verbessern. Ähnlich wie bei Laras Fähigkeiten stehen zu Beginn nur wenige Verbesserungen zur Verfügung. Im weiteren Spielverlauf findet man Waffenteile. Hat man etwa drei Pistolenteile gefunden, verändert sich das Aussehen dieser Waffe und weitere Upgrades sind verfügbar.

Neben den üblichen Verbesserungen, wie größere Magazine oder mehr Schaden, gibt es auch Sekundärfunktionen. Die Schrotflinte kann etwa Flammenmunition verschießen und die Pistole bekommt einen Schalldämpfer.

Mein Freund der Bogen
Während bei der alten Lara die ikonischen Zwillings-Pistolen genauso wenig wegzudenken waren wie die knappen Hot Pants, ist der jungen Laras treuer Begleiter ihr Bogen. Während er anfangs nur ein leises Tötungsinstrument ist, wird er im späteren Verlauf zum Mehrzweck-Werkzeug, etwa um Seile zu verschießen, was Zutritt zu zuvor unerreichbaren Gebieten schafft. Natürlich gibt es auch Pfeil-Upgrades martialischer Natur – welche das sind, wird aus Spoiler-technischen Gründen hier nicht verraten.

Auch andere Waffen haben ähnliche Eigenschaften. So ermöglicht erst die Schrotflinte bestimmte Hindernisse zu zerstören. Im Gegensatz zu Klassikern wie Metroid und Castlevania trifft man im Spielverlauf aber nur sehr selten auf Hindernisse, die erst deutlich später beseitigt werden können. Meist hat man das richtige Werkzeug schon zuvor entdeckt.

Mein Feind die Solarii
Der Hauptzweck der Schusswaffen und des Bogens ist aber nach wie vor das Eliminieren der Feinde. Abgesehen von Wölfen sind das meistens Solarii, eine Gruppe gewalttätiger Plünderer. Und die sind wiederum meistens ebenfalls mit Schusswaffen oder Bögen ausgerüstet. Resultat: Deckungs-Shooter.

Die Kämpfe sind dadurch bekannte Kost: Lara ist in Deckung, die Gegner ebenfalls. Sie tauchen auf, man knallt sie ab. Umso fortgeschrittener der Spielverlauf, umso häufiger werfen sie Molotov-Cocktails oder Granaten. Dazwischen stürmen ein paar Nahkämpfer im Kamikaze-Stil heran, später gesellen sich gepanzerte Feinde hinzu.

Munition ist immer ausreichend vorhanden. Um den Spieler in Bedrängnis zu bringen, greifen die Solarii an bestimmten Stellen im Spiel einfach von mehr als nur einer Seite an. Ab und zu darf man auch schleichen, früher oder später mündet es aber immer in einer Schießerei.

Verwendet man die normalen Schusswaffen, verkommen die Kämpfe zu einem notwendigen Übel, die einen Hauptteil des Spiels ausmachen. Spannender wird es, wenn man sich selbst das Ziel setzt, nur mit dem Bogen und Nahkampffähigkeiten zu dominieren. Das ist zwar etwas schwerer, aber auch befriedigender.

Mein Frust der Quick-Time-Event
Die zuvor beschriebene Methode kann von Befriedigung schnell in Frust umschlagen – nämlich dann, wenn man zum vierten Mal in Folge zwar rechtzeitig die Ausweich-Taste drückt, aber danach den Mini-Quick-Time-Event verpatzt, für den man im richtigen Moment die Angriffstaste drücken muss.

Natürlich gibt es mehr Quick-Time-Events – viel mehr. Das einzige, was auf der Insel häufiger vertreten ist als Solarii, sind Quick-Time-Events. Beim Springen gibt es einen Quick-Time-Event, damit Lara sich festhält. Lara schwimmt in einem Fluss: Quick-Time-Event. Lara entkommt einen Verfolger: Quick-Time-Event. Lara sucht ein Funkgerät: Quick-Time-Event. Lara läuft vor irgendwas davon: Quick-Time Event!

Mein Überlebenswille
Vor irgendwas davon laufen ist die beliebteste und häufigste Ursache für Quick-Time-Events in Tomb Raider. Der künstliche Stress soll wohl für ein Survival-Feeling sorgen. Durch die häufige Anwendung dieses Gameplay-Elements ist es aber nur noch ein Ärgernis. Viele der rasanten, und großteils gut inszenierten Sequenzen bekommt man gar nicht richtig mit, weil man, wie mit Scheuklappen, nur noch wartet bis wieder eine Taste am Bildschirm aufblitzt, die gedrückt werden muss, um den Quick-Time-Event nicht zu versemmeln.

Die zweite Zwangsbeglückung mit Survival-Feeling sind die wiederkehrenden Horror-Elemente. Schon kurz nach der Ankunft auf der fremden Insel ist Lara in prekärer Lage in einer Höhle, von Leichen umgeben und von einem Unbekannten verfolgt. Hier wurde offensichtlich Inspiration von Horrorfilmen bezogen.

Anfangs kommt das auch noch durchaus gut an, speziell wenn Lara in Nahaufnahme gezeigt wird, wie sie nur im spärlichen Licht einer Fackel durch klaustrophobische Felsgänge kriecht. Aber wenn sie dann zum vierten Mal in so einem Gang ist, schon wieder verkehrt herum aufgehängt wird oder zum dritten Mal durch eine Sicker/Blutgrube mit Leichen stolpert, hat das in etwa den Gruselfaktor und Schockeffekt von „Die Addams Family in verrückter Tradition".

Meine Nerven
Eine weitere Inspiration für Tomb Raider ist die (zurecht) erfolgreiche Spieleserie Uncharted. Nicht nur wegen der Kämpfe im Stil eines Deckungs-Shooters – auch die gelungene und filmische Erzählweise, plus der Aufbau eines Spannungsbogens (trotz Vorhersehbarkeit), erinnert an das Action-Adventure mit dem charismatischen Nathan Drake.

Drake hatte zwar auch kein leichtes Leben, aber Lara muss leiden – und mit ihr der Spieler. Nicht wegen der vielen Narben, die sie im Laufe des Spiels erhält, oder weil man mitfühlen kann, dass, wenn sie wieder mal 20 Meter runterfällt, Schmerzen hat: sondern wegen der deutschen Synchronstimme.

Lara wird von der Schauspielerin Nora Tschirner gesprochen, gestöhnt und geheult. Natürlich darf auch eine zukünftige, knallharte Abenteurerin wie Lara mal weinen, aber bitte nicht in dieser Stimmlage. Zeitweise klingt Lara, als hätte sich ein Chiwawa den Zeh gestoßen. Die Stimmlage scheint auch oft nicht zu den Emotionen zu passen, die Laras Mimik in den Zwischensequenzen vermittelt. Wenn man seine Nerven und Gehörgänge schonen will, schaltet man besser auf Englisch um.

Mein Lichtblick
Glücklicherweise nervt nicht alles an Tomb Raider so sehr, wie Laras Trentz-Stimme und die Quick-Time-Events. Zwischen den linearen Levelabschnitten, die hauptsächlich für die Kämpfe und als Weg zur nächsten Zwischensequenz mit Quick-Time-Event dienen, gibt es immer wieder offene Gebiete. In diesen kann man nach versteckten Gegenständen, Strandgut und Tagebüchern suchen, die oft nur durch Jump-and-Run-Einlagen erreichbar sind. Hier kommt tatsächlich noch etwas vom Archäologen-Feeling der früheren Teile auf und man hat Zeit, die gelungene und abwechslungsreiche Umgebung zu bewundern.

Als Fan-Pleaser stellen sich die versteckten Gräber heraus. Diese sind in den offenen Gebieten zu finden. Darin wartet je eine kleine Rätselaufgabe, die oft in Kombination mit einer geschickt getimten Jump-and-Run-Einlage bewältigt wird. Hat man den Schatz des Grabes gefunden, folgt ein wenig erbauliches „Aaah!" und „Ooooh!" der deutschen Lara-Stimme. Das klingt in etwa so authentisch wie der angebliche Nackt-Cheat für Tomb Raider 1, für den man im Takt des Refrains des Spice Girls-Hits „Wannabe" (If you wanna be my Lover...) die X-Taste drücken sollte.

Es ist schade, dass der ursprünglichen Tomb-Raider-Serie nur mit den optional zu betretenden Gräbern, die teilweise auch noch versteckt sind, Tribut gezollt wird. Würde man diese Gameplay-Elemente besser anbieten, würden vielleicht mehr Spieler auf den Geschmack kommen und der nächste Teil der Serie könnte weniger Deckungs-Shooter und mehr Tomb Raider sein.

Immerhin gibt es noch einen Fan-Pleaser beim letzten Boss-Fight, der Kenner der früheren Spiele etwas besänftigt bis zwei Minuten später mit einer deutschen Schmolltrotz-Stimme und einem bescheuerten, eingeblendeten Spruch alles wieder zunichte gemacht wird.

Fazit
Für zwölf Stunden wird man unterhalten, danach kann man noch die ausgelassenen Bonus-Gegenstände suchen – abgesehen von den Gräbern ist das aber nicht mehr spannend. Den Multiplayer-Modus kann man getrost ignorieren, hier kommt kaum Spielfreude auf.

Trotz der vielen Mängel und viel zu vielen Quick-Time-Events macht Tomb Raider auch einiges richtig. Man will weiterspielen, will sehen was passiert und wie es ausgeht – obwohl es ohnehin vorhersehbar ist. Als Lara-Fan der 90er Jahre könnte man etwas enttäuscht sein. Solch großen Momente, wie die Wölfe, die im ersten Level von Tomb Raider aus der Höhle laufen oder das Motorboot-Fahren in Venedig im zweiten Teil, wird man mit der jungen Lara nicht haben.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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