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Betriebssystem

Ubuntu Touch im Test: Unnötig kompliziert

In puncto Marktanteile steht die Smartphone-Welt derzeit Kopf. Während auf Desktop-PCs nach wie vor Microsofts Windows mit mehr als 90 Prozent dominiert, findet sich auf drei von vier mobilen Endgeräten Android, das auf Linux basiert. Googles mobiles Betriebssystem hat den Smartphone-Markt in nur vier Jahren im Sturm erobert und Linux auch im Alltag wieder salonfähig gemacht. Diesen Trend möchten nun auch zahlreiche andere Unternehmen nutzen, darunter Mozilla mit Firefox OS, Jollas Sailfish OS oder aber das von Samsung unterstützte Tizen. Der letzte Neuzugang ist Canonicals Ubuntu Touch, das vor einer Woche als erste Test-Version für Entwickler erschienen ist. Die futurezone hat den Android-Konkurrenten von Self-Made-Milliardär Mark Shuttleworth einem ersten Test unterzogen.

Die zuletzt veröffentlichten mobilen Betriebssysteme

und
versuchen zeitweise geradezu krampfhaft Ähnlichkeiten mit Android zu vermeiden. Leider haben sich offenbar auch die Entwickler von Ubuntu Phone OS an dieser Design-Richtlinie orientiert. Der Nutzer wird von einem auf den ersten Blick klassischen Lockscreen bei Aktivieren des Smartphones begrüßt. Beim Versuch das Gerät über die eingeblendete "Ring-Uhr" zu entsperren, bemüht man sich vergeblich. Erst wenn man von der rechten Seite zur Mitte wischt, wird der Home-Screen offenbart. Alternativ lässt sich auch vom Lockscreen aus über eine Wischgeste von links der App-Launcher mit den wichtigsten Apps einblenden.

Tutorial fehlt
Dieser Vorgang ist zunächst alles andere als intuitiv, nach längerer Verwendung geht es jedoch recht flott von der Hand. Doch hier ist bereits ein erstes Problem von Ubuntu Phone OS erkennbar - das System versucht neue Standards in der Bedienung zu etablieren, erklärt sich aber gleichzeitig nicht. Wenn Canonical mit dem System Erfolg haben möchte, müssen Tutorials für Nutzer integriert werden, die das neue Bedienkonzept ausführlich erklären. Viel zu leicht passiert beispielsweise das Missgeschick, dass versehentlich beim Hin- und Herwischen zwischen den Home-Screens der App-Launcher eingeblendet und eine App gestartet wird.

Der Homescreen besteht aus insgesamt fünf verschiedenen Bereichen: Home, Music, People, Apps und Videos. Auf dem Home-Bereich sind die zuletzt genutzten Apps und Kontakte sowie beliebte Musik und Videos aufgelistet. Derzeit können noch keine eigenen Widgets platziert werden, da in der Developer Preview die Einstellungen fehlen. Das könnte sich aber bei zukünftigen Versionen noch ändern. In der App-Ansicht finden sich neben einer App-Liste alle derzeit laufenden Apps sowie eine Auswahl von Apps, die über den Store heruntergeladen werden können. Die Music- und Video-Tabs sollen vor allem den hauseigenen Ubuntu Store vorantreiben, über den zukünftig offenbar neben Musik auch Filme gekauft oder ausgeliehen werden können.

Unübersichtliche Nachrichtenzentrale
Der wohl wichtigste Bereich ist jedoch der People-Tab, in dem alle Kontakte aufgelistet sind und direkt mit sozialen Netzwerken wie Facebook verknüpft werden können. Verwunderlich ist jedoch, dass beispielsweise Nachrichten wie SMS oder letzte Anrufe beim Aufrufen des Kontakts nicht angezeigt werden. Dafür gibt es einen eigenen "Messages"-Bereich in der Notification Bar, in dem alle Benachrichtigungen von Kontakten gesammelt werden. Über eine Quick-Reply-Funktion kann direkt geantwortet werden, es muss nicht in eine andere App gewechselt werden.

Leider verkommt der "Messages"-Bereich recht rasch zu einer unübersichtlichen Ansammlung, eine SMS ist kaum von einer Nachricht auf Skype oder Facebook zu unterscheiden. Lediglich ein winziges, graues Icon gibt Aufschluss über den Ursprung der Nachricht. Gesammelte Benachrichtigungen nach App wie in Android oder iOS gibt es nicht, auf neue Benachrichtigungen weist ein blauer Brief hin. Einen schnellen Überblick über die Art und Zahl der empfangenen Nachrichten gibt es dennoch: Auf dem Lock-Screen sollen die wichtigsten Informationen wie die Zahl der empfangenen Tweets oder Nachrichten angezeigt werden, in der Developer Preview war diese Funktion allerdings noch nicht verfügbar.

Die Notification Bar hat im Vergleich zu Android und iOS bei Ubuntu Touch einen deutlich höheren Stellenwert. Neben den Benachrichtigungen gibt es noch vier andere Bereiche, in denen WLAN, Lautstärke, Bildschirmhelligkeit sowie die Uhrzeit konfiguriert werden können. Im Vergleich zu Androids Quick Settings in der Notification Bar bringt die Unterteilung kaum Zusatznutzen. Vor allem das Wechseln zwischen den einzelnen Bereichen gestaltet sich schwierig. Um die Nofication Bar aufzurufen, berührt man diese und zieht sie herunter. Je nachdem, welchem Symbol man dabei am nächsten ist, wird der jeweilige Bereich wie "Messages", "Networks" oder "Battery" angezeigt. Um zwischen den Bereichen wechseln zu können, darf die Notification Bar jedoch maximal bis zur Hälfte heruntergezogen werden. Auch das führt zu Beginn des öfteren zu Verwirrungen.

Tastenlos
Nahezu jedes moderne mobile Betriebssystem setzt zumindest auf einen Home-Button, selbst Apple oder Microsoft konnten bislang nicht darauf verzichten. Bei Ubuntu Touch soll alles erstmals nur über Wischgesten bedienbar sein. Das Konzept klingt gewagt, funktioniert in der Praxis allerdings erstaunlich gut. Um von einer App zurück zum Homescreen zu gelangen, muss lediglich von der linken Seite nach rechts gewischt werden. Über einen Wisch von Rechts nach Links kann zur zuletzt geöffneten App gewechselt werden. Apps starten grundsätzlich ohne zusätzliche Bedienelemente, über einen Wisch von unten nach oben lassen sich jedoch im Bedarfsfall einzelne Elemente einblenden, beispielsweise die URL-Leiste im Browser. Durch längeres Wischen von unten nach oben wird ein Menü mit allen verfügbaren Funktionen eingeblendet. Per Text- oder Sprachsuche kann dann nach den entsprechenden Befehlen gesucht werden.

Fehlende Apps
Auf den ersten Blick ist die Developer Preview von Ubuntu Touch mit sehr vielen Apps ausgestattet, doch hinter den hübschen Icons erwartet den Nutzer durchgehend Ernüchterung. Facebook, GMail, eBay und Amazon sind lediglich Verknüpfungen zu den mobilen Webseiten, nur Twitter kann mit einer nativen App punkten. Einige Apps wie der Taschenrechner oder das Spiel Ski Safari sind außerdem nur "Attrappen", beim Starten bekommt der Nutzer lediglich einen Screenshot zu sehen. Die einzigen wirklich nutzbaren Apps in der Developer Preview neben dem Browser sind die Telefon-App, die Kamera sowie das virtuelle Notizbuch Notepad. Die Fotoaufnahme lief auf dem getesteten Samsung Galaxy Nexus flott und ohne Probleme ab, lediglich die Videofunktion ist in der Developer Preview deaktiviert. Die Performance von Ubuntu Touch kann derzeit aufgrund des noch sehr frühen Entwicklungsstadiums nicht bewertet werden und dürfte wohl bis zur Veröffentlichung 2014 noch deutlich verbessert werden. In der Developer Preview kam es zu einigen schweren Rucklern und Abstürzen.

Die Tablet-Version ist mit der Smartphone-Variante bis auf einige Punkte nahezu ident. Im Rahmen des Mobile World Congress hatte die futurezone Gelegenheit, die aktuelle Version von Ubuntu Touch auf dem Nexus 10 zu testen. Dabei fiel vor allem der Multi-User-Lockscreen auf, der dem der Desktop-Version recht stark ähnelt. Eine ähnliche Lösung, bei der mehrere Benutzer ein Tablet verwenden können, gibt es auch für die aktuelle Android-Version 4.2, allerdings ist Canonicals Lösung um einiges ansehnlicher und schneller. So werden bereits beim Auswählen des Benutzers auf dem Lockscreen aktuelle Benachrichtigungen angezeigt und das Erstellen eines Gast-Accounts ist möglich. Tablets bleibt außerdem das Anordnen von mehreren Apps nebeneinander vorbehalten. So kann beispielsweise die Notiz-App neben dem Webbrowser geöffnet sein und Inhalte schnell ohne App-Wechsel kopiert werden.

Was noch nicht funktioniert
Die Aussage von Mark Shuttleworth, dass Ubuntu Phone bereits in wenigen Wochen für den Alltag geeignet sein soll, ist mutig. Derzeit werden keine mobilen Datenverbindungen abseits von WLAN unterstützt, Telefonieren und SMS-Versand ist nur mit einer SIM-Karte ohne PIN-Abfrage möglich und der Akkuverbrauch ist horrend. Damit sind noch nicht einmal die Grundfunktionen eines Smartphones gewährleistet. Shuttleworth sprach im Interview mit dem Wall Street Magazin dennoch davon, dass bereits im Oktober erste Geräte auf den Markt kommen sollen. Das dürfte wohl auch gewaltigen Druck für die Entwickler von Canonical darstellen, die bereits mit der Implementierung der Ubuntu for Android-Funktion alle Hände zu tun haben. Mit dieser bereits im vergangenen Jahr vorgestellten Funktion kann ein Android- oder Ubuntu Touch-Smartphone zum Betrieb der Desktop-Version von Ubuntu eingesetzt werden.

Fazit
Es ist schwierig, ein derart junges Projekt zu beurteilen, doch die ersten Eindrücke von Ubuntu Touch lassen neben guten Ansätzen auch einige grobe Mängel erkennen. Die Kritik richtet sich vor allem an die derzeit zu umständliche Bedienung, die selbst mit Übung für schwere Frustmomente sorgt. Das System ist alles andere als intuitiv. Das Entsperren des Lockscreens ist beispielsweise nur von rechts nach links möglich, beim Wechseln von Apps auf den Homescreen muss wiederum von links nach rechts gewischt werden - ein Ziel, zwei verschiedene Wege.

Auch wenn dieses Bedienkonzept aus Sicht von Canonical bereits final ist, sollte hier dennoch der Schritt zurück zum Zeichenbrett angetreten werden. Die Ideen machen einen neuen, frischen Eindruck, können aber dennoch nicht ausreichend begeistern, um den Wechsel von einem etablierten System zu rechtfertigen. Doch es gibt auch einen Hoffnungsschimmer: Mit Ubuntu und der Linux-Community hat Canonical eine gute Basis für ein solides Ökosystem. Dieser Faktor hat sich bereits zuvor als entscheidend herausgestellt, nicht ohne Grund hat BlackBerry den Entwicklern Geld als Anreiz für App-Einreichungen angeboten. Bis 2014 ist aber noch Zeit, dann sollen die ersten Geräte mit Ubuntu Touch erscheinen. Die Entwickler von Canonical haben seit der Veröffentlichung der Developer Preview viel Arbeit investiert, wie an den Changelogs zu sehen ist. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser Aufwand nicht durch eine vorzeitige Veröffentlichung des derzeit noch unausgegorenen Betriebssystems zunichte gemacht wird.

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Installation:
Wagemutige installieren bereits jetzt die Developer Preview, derzeit werden das Galaxy Nexus, Nexus 4, Nexus 7 sowie das Nexus 10 unterstützt. Auf den Foren von xda-developers gibt es auch Anleitungen für andere Geräte, allerdings haben diese zeitweise einen noch experimentelleren Charakter als die offiziellen Builds. Der Developer Preview ist dezidiert nicht für den alltäglichen Gebrauch geeignet, viele essentielle Funktionen wie mobiles Internet sind derzeit noch nicht vorhanden.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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