© Martin Stepanek

Das Ende des Zufalls

Big Data: Unser Leben wird berechenbar

Noch bevor ein Mensch geboren wird, erzeugt und hinterlässt er Datenspuren – in Form von Ultraschallbildern, Herztonmessungen und diversen Prä-Natal-Tests. Täglich produzieren die Menschen im Schnitt 2,5 Quintillionen Bytes, das sind 2,5 Exabytes und das entspricht wiederum etwa der 12,5-fachen Datenmenge aller jemals gedruckten Bücher, Tendenz steigend.

„90 Prozent des auf der Welt vorhandenen Datenvolumens sind erst in den vergangenen beiden Jahren entstanden“, sagt Rudi Klausnitzer. Und je vernetzter wir werden, desto größer ist das Ausmaß, in dem wir analysierbar sind – sei es durch soziale Netzwerke oder den Ausbau der Sensoren, Messstellen, Kameras und Hightech-Geräte, die wir bei uns tragen.

"Daten sind das neue Gold"
Medien-Experte Klausnitzer hat sich in seinem neuen Buch „Das Ende des Zufalls“ mit der so genannten „Big-Data-Thematik“ auseinandergesetzt und kommt zum Schluss: Daten sind das neue Gold. Es können Wert und Informationen generiert werden, die früher mit den alten Technologien nicht oder nur sehr schwer generierbar war. Der Aufwand war einfach zu groß und nur jenen wie Google, Amazon etc. vorbehalten, da diese über große Serverfarmen besitzen. Neue und billigere Technologien erlauben nun auch kleineren Firmen Auswertungen am eigenen Firmen-PC.

Denn um im Wettlauf gegen andere Unternehmen bestehen zu können und die Nase vorne zu haben, wird es davon abhängen, was ein Unternehmen aus den gesammelten Daten herauslesen kann. Aber auch Institutionen und Behörden wie das Gesundheitssystem oder die Polizei werden durch die Analyse der Big Data die Zukunft mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit vorhersagen können. Voraussetzung ist, dass sie aus „Big Data“ intelligente Daten, also Smart Data machen.

Keine 100-prozentige Vorhersage
Die neue Devise lautet, so Klausnitzer,„dem Zufall keine Chance geben“. In den Simulationsmodellen, die quer durch alle Branchen eingesetzt werden, will man nach Möglichkeit Zufälle ausschalten, damit Vorgänge berechenbar werden.  „Freilich kann man den Zufall nicht 100 prozentig ausschalten“, so Klausnitzer im futurezone.at-Interview, „aber man kann Zufallsprognosen vermeiden.“ Und in Anlehnung an Albert Einstein: „Gott würfelt nicht. Wir sind keinem Zufallsgenerator ausgesetzt.“

Im Alltag sind wir Menschen tagtäglich bereits Teil von Simulationsmodellen, nämlich beim Einkauf im Supermarkt. Rewe & Co. verwenden Programme, in denen nicht nur das Wetter einkalkuliert wird (weil bei warmem oder kaltem Wetter unterschiedliche Produkte gekauft werden), sondern auch, welche Produkte und Produkt-Kombinationen gefragt sind. Supermarktketten können aus dem Kaufverhalten von Frauen gar auf eine mögliche Schwangerschaft schließen.

"Schwangerschaftsprodukte"
In einer Analyse hat der US-Statistiker Andrew Pole (er arbeitet für die US-Supermarktkette Target) festgestellt, dass in den ersten 20 Wochen der Schwangerschaft Frauen zum Kauf von Spurenelementen wie Kalzium, Zink und Magnesium tendierten und im zweiten Drittel der Schwangerschaft zu unparfümierten Körperlotions. Pole erstellte eine Rangliste von 25 "Schwangerschaftsprodukten", die eine schwangere Kundin vermuten lassen. Diese erhält dann automatisiert Gutscheine und Angebote für weitere schwangerschaftsbezogene Produkte.

Bedeutend werden die großen smarten Daten aber erst dann, wenn sie in das Feedback einfließen und berücksichtigt werden. Aufgrund dieser Predictive-Systeme können die Märkte sofort reagieren. „Und das wird wiederum Probleme für die klassischen Medien und eine Chance für die Online-Medien bedeuten“, sagt Klausnitzer. In Echtzeit wird man in Marketing-Aktionen sofort Kunden kontaktieren können und ihnen – wie wir es von Amazon gewohnt sind – Angebote auf das Smartphone liefern, während sie noch einkaufen.

Verbrechensbekämpfung
Auch bei Behörden wird Big Data ein Thema. So werden etwa die Polizei auf ihre Datensammlungen zurückgreifen können und Einbrüche verhindern, weil sie durch Analysen feststellen können, wo mit welcher Wahrscheinlichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt Taten passieren werden. Im amerikanischen Memphis oder im englischen Manchester hat die Polizei ein System namens BlueCrush im Einsatz, das exakt für solche Analysen herangezogen wird. Die Verbrechensraten gingen aufgrund der Maßnahme zuletzt drastisch zurück.

Ein heikles wie auch spannendes Thema ist die Gesundheitsvorsorge. Klausnitzer: „Statistische Prognosen sind zuverlässiger als klinische und auf Intuition beruhende Diagnosen.“ Womit Klausnitzer indirekt die Aussage des Cisco-Futuristen Dave Evans bestätigt, der in einem

meinte, dass wir künftig virtuellen Ärzten gegenübersitzen, die an alle Datenbanksysteme angeschlossen sind und daher nicht nur mehr wissen, sondern raschere und bessere Diagnosen erstellen können.

Spitalsaufenthalt
Derzeit läuft in den USA der „Heritage Health Prize“ der Versicherungsgesellschaft Heritage Provider Network, bei dem 1480 Teams daran teilnehmen. Ihre Aufgabe ist, aus den zur Verfügung gestellten Daten mithilfe eines neuen Algorithmus zu errechnen, welche Patienten innerhalb des nächsten Jahres in ein Spital eingeliefert werden müssen und wie lange sie dort bleiben werden.

Das Washington Hospital Center wiederum hat durch Analysen festgestellt, das Menschen, die mehr als 14 Stunden in der Notaufnahme waren, ein deutlich höheres Risiko hatten, später nochmals ins Spital zu müssen. Auch das Wort „Flüssigkeit“ im Arztbericht lässt Rückschlüsse auf die Spitals-Wiederkehr zu. „Man wird künftig nicht sagen können, der Rudi Klausnitzer kommt im kommenden Jahr ins Spital, aber man wird sagen können, die Wahrscheinlichkeit, dass er ins Spital kommt, liegt bei 70 oder 80 Prozent“, so Klausnitzer. „Weil aufgrund von in Anspruch genommenen Leistungen und der Reaktion (Medikamente) darauf Rückschlüsse gezogen werden können.“

Zwei Seiten der Medaille
Klausnitzer wollte eigentlich ein „komplett positives Buch“ schreiben, weil sich durch die Big-Data-Analyse eine Unmenge neuer Chancen eröffnen. „Das tun sie auch, weil man Prävention betreiben kann“, so der Medienprofi. „Aber gleichzeitig gibt es in vielen Fällen zweischneidige Schwerter, denn eine Versicherung, kann, wenn der Vertrag gerade ausläuft, den Vertrag nur noch zu teueren Konditionen verlängern.

Klausnitzer: „Es muss der Umgang mit unseren Daten neu geregelt werden, weil sich die Möglichkeiten geändert haben.“ Beispiel iTunes: Eigentlich bestellt man dort Musik, Filme, Unterhaltungsprodukte. Aber die Informationen über die Musikpräferenz könnte ein Baustein eines Psychogramms werden. „Keiner hat die Zustimmung gegeben, dass das Kaufverhalten analysiert wird und damit andere Hochrechnungen gemacht werden“, so Klausnitzer. „Daher brauchen wir eine Art neue Verfassung im Umgang mit Daten.“

Auf der einen Seite müsste enger definiert werden, was persönliche Daten sind und auf der anderen sollte man festlegen, welche Daten anonymisiert einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten können. „Wenn eine Identifizierung unmöglich ist, müssen die Daten frei sein für die Forschung, die uns allen zugute kommt.“

3 signierte Bücher
Anlässlich der Veröffentlichung des Buches verlosen wir drei signierte Exemplare von "Das Ende des Zufalls" unter futurezone-Lesern. Einfach ein Mail mit dem Betreff "Das Ende des Zufalls" an redaktion@futurezone.at - Unter allen bis inkl. 11. März eingegangenen E-Mails werden drei Gewinner ausgelost.

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Rudi Klausnitzer leitete zehn Jahre lang den österreichischen Radiosender Ö3. 1987 übernahm er die Geschäftsführung und Programmdirektion von SAT1 und wurde kurze Zeit später mit dem Aufbau des deutschen Pay-TV-Senders "Premiere" betraut. Sein weiterer Weg führte Rudi Klausnitzer an die Spitze der Vereinigten Bühnen Wien sowie in die Geschäftsführung des NEWS-Verlags. In den vergangenen Jahren widmete er sich im Rahmen seiner Tätigkeiten für die von ihm gegründete Kommunikationsagentur DMC vor allem den Bereichen Internet und Social Media.


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