© futurezone/Gregor Gruber

Forschung

Gehirn-Doping: ”Technischer Stand macht wenig Hoffnung”

Durch das Anlegen von elektrischer Spannung oder Magnetfeldern sowie durch die Einnahme von chemischen Substanzen soll sich die Leistung des menschlichen Gehirns steigern lassen. In Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden bilden sich Bastler-Gruppen, die mit Batterien und Drähten im Heimwerkerstil versuchen, ihre Denkfähigkeit durch Strom zu verbessern. In der Realität ist die Faktenlage nicht so leicht zu beurteilen. Zwar gibt es in Laborversuchen Hinweise, dass manche Medikamente oder die transkranielle Gleichstromstimulation (TDCS) gewisse kognitive Prozesse verbessern können, großangelegte, belastbare Studien gibt es aber nicht. Das wird sich auch in Zukunft nicht so rasch ändern.

“Die meisten Experten, mit denen wir gesprochen haben, halten den derzeitigen Stand der Technik für nicht sehr vielversprechend ”, sagt Helge Torgersen, der am Institut für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für das EU-Projekt NERRI (Neuro Enhancement: Responsible Research and Innovation) arbeitet, das zur verantwortungsvollen Erforschung von neurologisch leistungssteigernden Medikamenten und Therapien beitragen soll.

Helge Torgersen
An NERRI sind unter portugiesischer Führung mehrere Institutionen in diversen europäischen Ländern beteiligt. “Das Projekt wurde von der EU-Kommission ins Leben gerufen, die großen Wert auf Innovation legt. Das Thema könnte kontrovers werden und man will die Fehler, die bei der Genetik-Debatte gemacht wurden vermeiden”, sagt Torgersen. NERRI soll den öffentlichen Diskurs fördern und auf Bedenken eingehen , durch die Organisation von Debatten, die Diskussion mit den Stakeholdern und die Befragung von Fokusgruppen. Vor allem, so Torgersen, gehe es der Kommission aber darum, nicht von den USA und anderen Ländern abgehängt zu werden.

Kaum Studien

Der derzeitige Stand der Forschung auf dem Gebiet der Leistungssteigerung für das menschliche Gehirn ist noch relativ bescheiden. “Transkranielle Stimulation mit Strom oder Magnetfeldern wird in Forschungseinrichtungen erprobt. Eine gezielte, reproduzierbare und praktisch einfache Anregung ist aber Zukunftsmusik. Bei den Menschen, die sich Taschenlampenbatterien an den Kopf anschließen, handelt es sich um reine Bastler. Diese Aktivitäten sind ganz nett, um Interesse zu wecken, mehr aber nicht”, erklärt Torgersen. Die Schlagzeilen, die etwa ein Gerät gemacht hat (die futurezone berichtete), das die kognitive Leistung von Computerspielern steigern soll, sind demnach deutlich übertrieben. Der Debatte über das Thema tut die mediale Aufmerksamkeit zwar gut, aber dabei werden übertriebene Hoffnungen geweckt.

Bei chemischen Substanzen, die das Hirn auf Trab bringen sollen, verhält es sich ähnlich. Ritalin, ein viele Jahrzehnte altes Medikament, das bei ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) verschrieben wird, gilt zwar als leistungssteigernd, Beweise dafür gibt es aber nicht. “Fachleute sagen, dass bei völlig gesunden Personen keine oder nur eine subjektive Wirkung nachgewiesen werden kann”, sagt Torgersen. Bei vielen Substanzen fehlt es an entsprechenden Studien. “Die Erforschung geistiger Leistungssteigerung bei Gesunden ist schwierig, weil die Medizin grundsätzlich nur nach Medikamenten gegen ein Leiden sucht. Kaum eine Ethikkommission würde solche Versuche billigen. Zudem ist es für die Pharmaindustrie uninteressant, weil solche Mittel ohne Änderung der Bestimmungen nicht durch die Zulassungsverfahren zu bringen wären”, so der Technikfolgenforscher.

Ritalin und Koks

Es gibt zwar Substanzen, die in Tierversuchen im experimentellen Setting gewisse Aspekte der Hirnleistung, wie Konzentration oder das Erinnerungsvermögen, zu verbessern scheinen, für eine klare Aussage beim Menschen ist das aber zu wenig. “Es ist auch für Fachleute offenbar schon schwierig zu sagen, was Hirnleistung überhaupt ist. Zudem unterscheidet sich die Wirkung vermutlich von Person zu Person”, sagt Torgersen. Dass entsprechende Substanzen einen medizinischen Nutzen, etwa bei Demenzerkrankungen, haben könnten, ist nicht bestätigt, was die Forschungsbestrebungen ebenfalls hemmt.

Einen Bedarf nach leistungssteigernden Substanzen scheint es in der Öffentlichkeit aber zu geben. “In den USA lassen sich in Universitätsstädten zu Prüfungszeiten Rückstände von Ritalin im Abwasser nachweisen.“ In Österreich gibt es ebenfalls Studenten, die Ritalin nehmen, wenn auch in geringerem Ausmaß. “Ich schätze die Prävalenz auf weniger als 5 Prozent”, sagt Torgersen, belastbare Zahlen gibt es aber nicht. Schweizer Untersuchungen ergaben jedenfalls niedrige einstellige Prozentzahlen.

Langfristige Perspektive

Ethisch wirft der Konsum von potenziell leistungssteigernden Substanzen einige Fragen auf. So könnte ein teures Medikament etwa zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft führen. Gruppendruck und der Bildungswettbewerb sind ebenfalls zwei zu berücksichtigende Aspekte. Im deutschsprachigen Raum gibt es laut Torgersen zudem ein Konzept von Natürlichkeit, das, auch wenn es willkürlich definiert ist, kaum mit der Einnahme von leistungssteigernden Mitteln vereinbar ist: “Hier gibt es Parallelen zur Doping Debatte. Dabei nehmen Menschen seit Jahrtausenden Substanzen ein, die in die Hirnchemie eingreifen, etwa in Form von Kaffee. Gerade in Österreich scheint es besonders große Vorbehalte gegen eine geistige Leistungssteigerung durch Medikamente zu geben.” Im angelsächsischen Raum scheint die Hemmschwelle geringer zu sein.

Ob sich die Gehirnleistung überhaupt merkbar steigern lässt, ist unklar. “Manche Neurologen sagen, dass das Gehirn extrem spezialisiert ist und an der Kapazitätsgrenze arbeitet”, sagt Torgersen. Dass die Forschung auf dem Gebiet sich in absehbarer Zeit besserer Finanzierung erfreuen wird, ist unwahrscheinlich. “Verfügbare Substanzen sind alt, die Patente sind abgelaufen, da gibt es für die Pharmaindustrie nichts zu verdienen. Neue Präparate zu entwickeln lohnt ebenfalls nicht, weil die Verfahren extrem langwierig sind und es vermutlich keine Zulassung gäbe. Nur wenn es Fortschritte in der Grundlagenforschung gibt, könnte sich die Situation ändern”, sagt Torgersen.

Zwar könnten Pharmafirmen entsprechende Produkte als Lifestyle-Produkte statt als Medikamente auf den Markt bringen, wie es etwa beim Elektro-Doping für Videospieler der Fall war – inzwischen wird aber auch für solche Geräte eine Regulierung gefordert. Das finanzielle Risiko bliebe jedenfalls hoch. “Das sind laut Gesetz keine Medikamente. Da müsste die Medizin schon eine Krankheit erfinden”, sagt Torgersen.

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Markus Keßler

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