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Technologie-Vorreiter

NFC: "Österreich auf der Überholspur"

In Österreich gibt es

seit Anfang April
die ersten NFC-Bankomatkarten. Wie rasch rechnen Sie wird sich Bezahlen mit NFC in Österreich tatsächlich
durchsetzen?
Da sind mehrere Entwicklungen zu betrachten. NFC betrifft nicht nur herkömmliche Zahlungskarten wie Bankomat- und Kreditkarten oder Quickmit NFC Chip, sondern auch NFC-Smartphones. NFC-Zahlungskarten werden sich relativ schnell durchsetzen, vor allem die Bankomatkarte. Mir ist kein Land bekannt, wo die Debit-Karte Maestro eine solche Marktposition hat wie in Österreich. Das macht Entscheidungen in diesem Bereich einfacher und schneller, wie man den aktuellen Entwicklungen auch entnehmen kann.

Das Roll-Out der NFC-Bankomatkarten soll bis 2016

abgeschlossen sein
.
Der bereits begonnene Austausch der Karten bedeutet, dass konsumentenseitig die Technologie NFC in den Brieftaschen de facto Standard sein wird. Auf der Akzeptanzseite wird der Austausch der Bezahlterminals in den Stores meiner Meinung nach ziemlich parallel dazu verlaufen, wenn nicht sogar schneller. Der Handel wird bereits Ende 2013 mit rund 50 Prozent Konsumenten konfrontiert sein, die diese Bezahlmöglichkeit technisch haben und zu einem hohen Anteil auch verwenden werden wollen.

Die zweite Entwicklungsrichtung, NFC auf Smartphones, wird etwas länger dauern, weil hier mehr an komplexer Infrastruktur geschaffen werden muss. Das Henne-Ei-Problem wird sich hier langsamer lösen, wird aber durch die Entwicklung im Karten-Bereich beschleunigt werden.

Gerade im Bereich der Bezahlung mit NFC gibt es viele Bedenken. Wie ernst werden die Sicherheits- und Datenschutzbedenken der Kritiker von den einzelnen Stakeholdern genommen?
Generell werden Sicherheitsbedenken von allen Stakeholdergruppen als lösbar beziehungsweise bereits gelöst betrachtet. Da ist aber zu unterscheiden: “Sicher sein” bedeutet nicht “sich sicher fühlen”. Was Sicherheits- und Datenschutzbedenken betrifft, ist daher noch viel Aufklärungsarbeit bei den Konsumenten notwendig. Alle Involvierten sind gut beraten, den Themen Sicherheit und Datenschutz viel Aufmerksamkeit zu schenken, weil davon wird die Geschwindigkeit der Entwicklung und der Erfolg der Technologie stark abhängen.

Ist der Handel mit der bisherigen Zielsetzung zufrieden?
Meine Wahrnehmung aus einer Reihe von Gesprächen ist, dass der Handel das Thema NFC grundsätzlich entspannt sieht. Es wird sehr genau beobachtet. Die Händler legen bei der Umsetzung von Pilotprojekten und dem Roll-Out von Terminals großen Wert darauf, dass ihre Wünsche berücksichtigt werden. Dem Handel ist dabei etwa die Vertraulichkeit von Transaktionsdaten wichtig, damit die Kundenbeziehung zwischen Händler und Kunden geschützt bleiben.

Der Handel will seine Kundendaten also nicht aus der Hand geben?
Exakt. Die Kundendaten, auf die vor allem die Mobilfunkanbieter ein Auge geworfen haben, sollen nicht weitergegeben werden dürfen. Außerdem wünscht sich der Handel, dass die Interoperabilität der Systeme gewährleistet wird und es zu keinem Hardware-Wildwuchs am Point Of Sale kommt, wie etwa in Italien, wo es an den Autobahnraststationen sechs verschiedene Terminals für Kartenzahlungen gibt. Solche Dinge müssen von Anfang an berücksichtigt werden. Der Handel hat dazu eine eigene Arbeitsgruppe etabliert, die bereits aktiv arbeitet und ihre Prioritäten formuliert.

Wo liegen derzeit die größten Problembereiche bei der Etablierung von NFC in Österreich?
NFC-Technologie ist eine Kooperations-Technologie. Unternehmen, die untereinander im Wettbewerb stehen, müssen zu Kooperationsformen finden. Das ist zwar allseits langsam im Entstehen, geht aber nicht schnell genug. Ein Bereich sticht dabei besonders hervor: die Mobile Network Operators (MNOs). Dort hat sich die Erkenntnis, dass man sich an einen Tisch wird setzen müssen, noch nicht herumgesprochen. Das passiert z.B. in anderen Ländern längst in Form von Joint Ventures, die Mobile Network Operators gebildet haben. Der Handel wird es nämlich nicht akzeptieren, dass er darauf Rücksicht nehmen soll, welches Smartphone oder welchen Mobilfunkbetreiber ein Kunde hat.

Um es mit Konfuzius zu sagen: Selbst der Stärkste kann sich nicht selbst in die Höhe heben. Das hat sich in Österreich meiner Wahrnehmung nach noch nicht überall herumgesprochen. Langsame Veränderungen sind aber wahrzunehmen. Österreich hat dennoch das Potential, in der EU zum Vorreiter in der Verbreitung von NFC-Technologie zu werden.

Warum hat Österreich das Potenzial, führendes NFC-Land in Europa zu werden?
Die Ausgangssituation ist zwar für alle EU-Länder ziemlich gleich, alle sind derzeit in Sachen NFC-Verbreitung etwa auf gleicher Höhe. Aber wie erwähnt ist NFC eine Kooperationstechnologie und erfordert Kompromissfähigkeit sowie ein Denken miteinander und nicht gegeneinander. Österreich ist ein Land, in dem man sagt "durchs Reden kommen die Leute zusammen". Es gibt eine Wirtschaftskammerorganisation, die alle wirtschaftsseitigen NFC-Stakeholdergruppen neutral vertritt. Es ist ein Land, in dem es die Sozialpartnerschaft gibt. Bei NFC handelt es sich um eine "grüne Technologie", die allen beträchtliche Vorteile bringt. Außerdem ist es kein Nachteil, dass die Technologie seinerzeit in Österreich erfunden wurde. Dadurch hat Österreich alle Voraussetzungen, um auf die NFC-Überholspur überzuwechseln.

Wo klaffen die Positionen zwischen Handel, Banken, Mobile Network Operators und den Technologie-Providern in Österreich derzeit am meisten auseinander?
Zwischen den Banken und den Mobile Network Operators liegt die Einschätzung, ob sich die bestehenden Marktanteilsverhältnisse in der Wertschöpfungskette zugunsten der neu dazu kommenden wie z.B. der Mobile Network Operators verändern werden. Während diese meinen, sich vom jetzigen Kuchen ein Stück abschneiden zu können, sind die Banken selbstbewußt und glauben, ihre Position im Zahlungsverkehr weiterhin behaupten zu können. Meiner Meinung nach übrigens zu Recht, die Banken sind hier klar im Vorteil.

Auch abseits von NFC tun sich immer mehr mobile Bezahllösungen auf, bei denen man möglicherweise kein Extra-Terminal an der Kassa braucht. Ist der Zug für NFC nicht langsam abgefahren im Bezahl-Bereich? Es gibt immer mehr spannende Bezahl-Lösungen abseits von NFC.
Es stimmt, es gibt abseits von NFC spannende Mobile Payment-Lösungen, die ich vor allem aus den USA kenne. Da sehe ich in Österreich vor allem ein Pilotprojekt in Tirol, das ich kürzlich kennengelernt habe: Bezahlen mittels EAN-Barcode (

). Diese Lösung ist gleich aus mehreren Gründen interessant. Zum einen verkürzt sie die Wertschöpfungskette, macht Bezahlen wieder zu einer Angelegenheit, die sich zwischen dem Konsumenten, seiner Bank und dem Handelsunternehmen abspielt, sozusagen “zurück in die Zukunft”. Zum anderen erfordert das im Handel kaum Investitionen, weil die Infrastruktur dafür seit Jahren vorhanden ist.

Diese Lösung ist aber auch noch aus einer anderen Perspektive interessant, sie trifft nämlich auch noch die Motivlage der EU, seitens der es ja Bestrebungen gibt, die Dominanz der USA im Zahlungsverkehr zu reduzieren. Bei dieser Architektur scheiden nämlich erst einmal die "Payment Schemes" aus den USA (Visa, Mastercard, Maestro, V-Pay etc.) aus dem Bewerb aus.

Sehen Sie darin wirklich eine Gefahr für NFC-Lösungen?
Diese Art von Lösungen werden jedenfalls Bewegung in die Sache bringen. Und Sie sehen daran, dass auch Nicht-NFC-Technologie geeignet ist, letztlich NFC-Technologie zu forcieren. Der Einsatz von EAN-Barcodes bedeutet nämlich nicht, dass damit NFC in alle Ewigkeit ausgeschlossen ist. Der technische und organisatorische Schritt vom EAN-Barcode zu NFC ist ein relativ kleiner. Diese paradoxen Zusammenhänge sind ja das Spannende an NFC.

Wie stehen aus Ihrer Sicht die Chancen für eine offene, standardisierte Wallet-Lösung? Oder wird jeder einzelne Betreiber weiterhin "sein eigenes Ding" durchziehen (z.B. Samsung, T-Mobile, Google, Apple?)
Es wird meiner Meinung nach verschiedene Wallets der großen Player (Smartphone-Hersteller und Mobile Network Operators) geben. Diese werden sich früher oder später in Richtung relative Offenheit bewegen. Meiner Meinung nach werden das Wallet-Match aber letztlich die Smartphone- bzw. Betriebssystem-Hersteller für sich entscheiden. Mobile Network Operators werden diese Wallets dann mit ihrem eigenem Brand “einfärben”. Die Chancen nationaler Wallet-Initiativen halte ich für überschaubar, besonders in einem sehr kleinen Land wie Österreich.

Wie sehen Sie die internationale Entwicklung im Wallet-Bereich?
Den sogenannten “Wallet-Krieg” der Schwergewichte Google, Apple oder Samsung  habe ich in letzter Zeit nur am Rande mitverfolgt. Da kann man im Moment nur abwarten, was passiert. Das ist auch für die derzeitige Phase der Ökosystem-Entstehung in Österreich noch nicht relevant.

Aber ein paar Einschätzungen dazu trotzdem: Ich erwarte wie viele andere auch, dass Apple mit dem nächsten oder übernächsten, meiner Meinung nach eher übernächsten, iPhone ins NFC-Geschehen eingreifen wird. Mit über 500 Millionen iTunes Accounts und hinterlegter Zahlungskarte wird dieser Einstieg kräftig ausfallen. Wenn man auch noch berücksichtigt, dass Apples Kriegskasse so groß ist, um zB MasterCard zwei Mal zu kaufen, kann man sich vorstellen, was sich an Veränderungen ergeben kann, wenn Apple loslegt. Da können alle nur abwarten und zusehen was kommt.

In welchem Bereich könnte sich NFC in Österreich noch durchsetzen?
Im Mobilitätsbereich gibt es ein interessantes Pilotprojekt der Wiener Linien und der ÖBB zum NFC-Ticketing. Im Airline-Bereich gibt es internationale Initiativen. Das Potenzial in diesem Bereich ist jedenfalls riesig. Auch im Bereich Zutrittskontrollen (NFC Access) gibt es hochinteressante Pilotprojekte in Österreich, mit beträchtlichem Potenzial. Der Gesundheitsbereich wäre auch noch zu nennen. NFC wird sich diesen Bereichen durchsetzen, davon bin ich überzeugt.

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Zur Person:
Reinhold Bierbaumer ist Management- und IT-Consultant, lebt in Miami und Wien und leitet seit 2012 den Arbeitskreis NFC im Verein AustriaPro der WKO.

Der 54-Jährige verfügt über 25 Jahre Erfahrung in IT-Projekten im Bereich Financial Services, Zahlungsverkehr und Smart Cards und spezialisiert sich mit seinem Team unter anderem auf den Transfer von Technologie-Konzepten rund um NFC von und nach Europa.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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