Eine Illustration aus dem Vertical-Farming-Projekt im schwedischen Linköping von der Firma Plantagon.
Eine Illustration aus dem Vertical-Farming-Projekt im schwedischen Linköping von der Firma Plantagon.
© Plantagon, Illustration: Sweco

Hightech-Pflanzen

Vertical Farming: Obst und Gemüse aus dem Wolkenkratzer

Im Glashaus gezüchtetes Gemüse gehört im Winter zu unserem fixen Speiseplan. Doch was ist, wenn das Gemüse künftig nicht aus dem Glashaus kommt, sondern aus einem Hightech-Turm, einem eigenen Wolkenkratzer für Gemüse, der nicht von Menschen, sondern ausschließlich von Pflanzen bewohnt wird? Diese Anbaumethode wird „Vertical Farming“ genannt und ist bereits weit mehr als eine Vision. In Japan züchtet die Firma Spread mit dieser Methode bereits mehr als sieben Millionen Salatköpfe pro Jahr, in Singapur erntet die Firma Skygreens täglich bis zu einer Tonne Blattsalat, Spinat und Pak Choi. Führend bei der Anbaumethode sind derzeit Korea und China. Aber auch in Europa, und zwar im schwedischen Linköping, wird von der Firma Planatgon an einem Hochhaus-Projekt gearbeitet, bei dem verschiedene Gemüsesorten angebaut werden.

„Derzeit handelt es sich um eine zwei Milliarden Dollar schwere Branche, aber in zehn Jahren wird die Branche 50 bis 100 Milliarden Dollar schwer sein“, schätzt Dickson Despommier, Ökologe, Buchautor und Wissenschaftler der Universität Columbia, beim futurezone-Gespräch in Wien. Despommier gilt als Visionär auf dem Gebiet, denn er forschte ab 1999 gemeinsam mit seinen Studenten an der Realisierbarkeit des Vorhabens. In Wien war er anlässlich des „Austrian Innovation Forums“ zu Gast, um über den Durchbruch bei der Entwicklung zu sprechen. „Glashäuser haben sich durchgesetzt, als das Material Glas im 17. Jahrhundert populär geworden ist. Dasselbe geschieht derzeit mit LEDs und Vertical Farming“, erzählt Despommier. Es brauche immer eine neue Technologie, um komplexen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen, so der Ökologe.

LED-Lampen statt Sonnenlicht

Beim Züchten von Gemüse in Hochhäusern spielt das Sonnenlicht nämlich keine Rolle mehr, stattdessen werden spezielle LED-Lampen, die ausschließlich rotes und blaues Licht beinhalten, eingesetzt. Die speziell für diesen Zweck geeigneten LED-Lampen, die unter anderem von Herstellern wie Philips produziert werden, sind wesentlich effizienter, als sie noch vor ein paar Jahren waren und auch kostengünstiger. Damit hat dieses „künstliche“ Beleuchtungsszenario das des natürlichen Sonnenlichts in den Wolkenkratzer-Farmen weitgehend abgelöst. Despommier dazu: „Sonnenlicht enthält mehr als Pflanzen benötigen. Wenn 20 Prozent des Farbspektrums reichen, warum sollen wir ihnen dann mehr geben?“

Das Blattgemüse, die Tomaten und die diversen Obstsorten wachsen in beleuchteten Regalen heran, statt in Erde wurzeln die Pflanzen zudem in Wasser. Zahlreiche Sensoren messen dabei die Nährstoffkonzentration, die Luftfeuchtigkeit und Temperatur. „Man ist auf diese Art und Weise völlig unabhängig von der Jahreszeit oder äußeren Einflüssen wie Hagel oder Sturm“, sagt Despommier. Während im Freien nur 70 Prozent aller Pflanzen überleben würden, seien es im Wolkenkratzer 95 Prozent – sofern man den Zustand der Pflanzen regelmäßig kontrolliert.

Gut schmeckende Tomaten

Damit die Hightech-Pflanzenkultur nicht durch äußere Einflüsse wie einen Stromausfall ruiniert werden kann, müssen freilich Notstrom-Aggregate verfügbar sein, erklärt Despommier. Eine Koppelung an Geothermie-Anlagen oder mit Solarkraftwerken wäre ebenfalls eine Option, um derartige Farmen umweltfreundlich umzusetzen. „Eine Indoor-Farm ist nicht unnatürlicher als ein Landwirtschaftsbetrieb“, sagt Despommier, der im Jahr 2011 erstmals selbst eine im Wolkenkratzer gezüchtete Frucht gegessen hat. Seither hat sich viel getan. „Man hat sogar rausgefunden, was man machen muss, dass Tomaten nicht nur gut aussehen, sondern auch gut schmecken“, so der Ökologe. Bei Tomaten lautet das Geheimrezept etwa Kälte und Wasserentzug kurz vor der Erntezeit. „Das gelingt in der freien Natur nur alle paar Jahre, in der Vertical Farm reicht es, wenn man den Tomaten drei Tage, bevor man sie erntet, das Wasser entzieht und die Temperatur zurückdreht. Dann produzieren sie Flavanoid und das gibt ihnen ihren guten Geschmack“, erklärt Despommier.

In der Farm von Sky Green in Singapur.
„Für nachhaltige Städte, die den CO2-Verbrauch reduzieren möchten, ist Vertical Farming künftig unerlässlich. Auch Wien sollte sich Gedanken darüber machen“, sagt der Experte. Man solle aber zuerst klein – das heißt mit Pilotprojekten - anfangen, um aus seinen Fehlern zu lernen, bevor man mit Großprojekten an den Start geht. In einem solchen Großprojekt könnte dann Gemüse für rund 20.000 Personen erzeugt werden. „Bei zwei Millionen Menschen in Wien wären das 100 Wolkenkratzer, die man für die Gemüsezucht reservieren müsste“, rechnet der Ökologe vor.

Auch erste Konzepte, bei denen Gemüseproduktion, Restaurant, Supermarkt und Büros vereint sind, sind bereits im Einsatz. Auch das Projekt in Schweden soll einen ähnlichen Ansatz verfolgen. Ein anderes „Vertical Farming“-Projekt in Europa, ein Park in Rotterdam, bei dem neben dem Gemüseanbau auch die Rinderzucht Indoor versucht wurde, gilt allerdings als gescheitert. „Nicht alle Projekte können funktionieren. Die, die es tun, werden sicherlich als Franchise in die ganze Welt exportiert“, so Despommier.

Der Umwelt etwas Gutes tun

„Bis 2050 leben 80 Prozent der Menschheit in Städten. Spätestens dann wird die Lebensmittelversorgung in Städten ohne diesen Methoden eine enorme Herausforderung“, sagt Despommier. Vertical Farming würde nicht nur dabei helfen, den CO2-Verbrauch zu reduzieren, sondern auch die Umwelt nachhaltig positiv zu beeinflussen. Ein Vorteil der Methode sei etwa, dass Düngemittel aus Indoor-Farmen nicht in die Flüsse und Ozeane gelangen könne, weil im Recycling-Prozess der Indoor-Farm die Düngemittel solange verwendet werden, bis sie von den Pflanzen selbst vollständig aufgebraucht wurden. „Das ist gut für die Natur und Ozeane könnten sich dadurch wieder von der Verschmutzung erholen“, meint Despommier. Der Mensch verhält sich seiner Ansicht nach nämlich nicht besonders ethisch, wenn es um den Schutz der Natur geht.

Für die Zukunft wünscht sich der Wissenschaftler, der selbst 40 Jahre lang unterrichtet hat, dass künftig bereits Kinder an Schulen lernen, wie man Pflanzen am besten in Gebäuden wachsen lassen kann. „Da spielen Biologie, Chemie, Physik und Mathematik zusammen“, so der Experte. An Schulen in New York City gebe es derartige Schulprojekte mit integrierter Indoor-Hydrofarm bereits. „Die Eltern haben am Anfang gar nicht geglaubt, dass ihre Kinder die Tomaten selbst großgezogen haben – mitten in der Stadt. Ich wünsche mir mehr solche Projekte, denn es entmystifiziert die Art, wie Pflanzen wachsen.“

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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