© FH Technikum Wien

Bedienerschnittstellen

Wenn Computer Wünsche von den Augen ablesen

Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sind in der digitalen Welt oft stark benachteiligt, da das vorherrschende Eingabe-Konzept mit Tastatur und Maus sehr stark auf funktionierende Feinmotorik in beiden Händen ausgerichtet ist. Dabei könnte die Bedienung von Computern das Leben motorisch benachteiligter Personen in vielen Bereichen vereinfachen, von der Steuerung elektronischer Systeme im Haushalt bis zur Kommunikation übers Internet oder der Bedienung von Robotern. An der FH Technikum Wien arbeiten Forscher an der AsTeRICS-Plattform (Assistive Technology Rapid Integration and Construction Set), einer Open-Source Software, die im Rahmen eines EU-geförderten Forschungsprojektes entstanden ist und die verschiedene alternative Mensch-Maschine-Schnittstellen einsetzt, um auf die Bedürfnisse des jeweiligen Nutzers abgestimmte Bedienkonzepte zu realisieren. In einem eigenen Forschungslabor an der FH werden die individuell angepassten User-Interfaces entwickelt.

“Bei unserer Forschung im Bereich Assistive Technologies verfolgen wir das Ziel, die Restmotorik von körperlich stark eingeschränkten Personen zu messen und diese für die Bedienung von Computern oder anderen elektronischen Systemen nutzbar zu machen”, erklärt Peter Balog, Leiter des Instituts für Embedded Systems an der FH Technikum Wien, im Gespräch mit der futurezone. Dafür arbeiten die Forscher eng mit den jeweiligen Nutzern der Systeme zusammen. Die Vielseitigkeit der AsTeRICS-Plattform erlaubt den Einsatz bei verschiedenen Arten von motorischen Beeinträchtigungen. Eine Frau mit einer Lähmung vom zweiten Halswirbel abwärts etwa kann mittels einer an der FH entwickelten Mundmaus einen Computer bedienen und über den Webbrowser und E-Mail mit der Außenwelt in Kontakt bleiben. Das Gerät ist an einem Gelenkarm, der auf einer Tischplatte montiert ist, befestigt. Die Steuerung des Mauszeigers erfolgt über kleinste Lippenbewegungen, Links- beziehungsweise Rechtsklicks werden durch Saugen oder Pusten ausgeführt.

Mehr Selbständigkeit

Ein anderer Nutzer, der an Muskelschwund in fortgeschrittenem Stadium leidet, steuert mit der Mundmaus seinen Fernseher und die Stereoanlage. “Der User gewinnt ein hohes Maß an Autonomie im Alltag”, sagt Christoph Veigl, Leiter des Projektes AsTeRICS-Academy an der FH Technikum Wien. Diese höhere Selbstbestimmung ist gerade für Patienten, die pflegebedürftig sind, ein enormer Fortschritt. Neben der einfachen Bedienung klassischer Geräte im Haushalt sind auch sehr komplexe Steuerungen mit dem System realisierbar. “ Mittels eines zusätzlichen Sensors, der die elektrischen Signale am Schultermuskel auswertet, ist ein weiterer Patient, der von der FH Technikum Wien betreut wird, sogar in der Lage, einen Modellhubschrauber zu steuern. Zwei Bewegungsachsen werden dabei über die Mundmaus kontrolliert und eine über den Muskelsensor”, so Balog. Auch die Steuerung von Rollstühlen oder von Exoskeletten ist laut den Experten der FH in absehbarer Zukunft möglich.

Über die Kombination verschiedener Inputs können über die AsTeRICS-Plattform so viele Systeme angesteuert werden. “Es gibt derzeit über 140 Plug-ins zur Einbindung unterschiedlicher Steuergeräte”, so Veigl. Parallel zur Mundmaus ist etwa auch die Einbindung von Eye-Tracking über eine Kamera möglich. Für Patienten, deren Hände stark zittern, gibt es spezielle Buzzer-ähnliche Tasten, die als Maus-Ersatz fungieren können. Die Bedienung per Auslesen von Hirnströmen ist ebenfalls möglich. “EEG-Signale werden nur in Ausnahmefällen verwendet, da der Körper implantierte Sensoren mit der Zeit abkapselt, wodurch die Signalqualität leidet. Eine Abnahme von außen ist hingegen aufwändig und weniger effizient”, so Veigl.

Verschiedene Lösungen

Um AsTeRICS einzusetzen, ist lediglich ein PC mit Windows notwendig. Sämtliche Programme können mit den alternativen Eingabemethoden bedient werden. “Wir haben für Windows entwickelt, weil es das am häufigsten von der Zielgruppe verwendete System ist. Eine Linux-Version ist ebenfalls verfügbar, allerdings weniger umfangreich. An einer Version für Android arbeiten wir, iOS ist als System zu abgeschottet – speziell was die Einbindung von Hardware betrifft”, erklärt Veigl.

Die Verwendung des Systems ist für jeden Einschränkungsgrad möglich, die Effizienz einer bestimmten Lösung hängt jedoch von der Beeinträchtigung des Nutzers ab. “Eine Bedienung über Augenblinzeln dauert länger, ist aber machbar. Der Cursor fährt dann selbständig über eine On-Screen-Tastatur und der User ändert den Lauf mit Blinzeln zum gewünschten Buchstaben. Intelligente Vorhersage-Software kann hier einen enormen Geschwindigkeitszuwachs bewirken”, sagt Balog.

Nutzer, die im Rahmen des AsTeRICS-Projekts mit einer neuen Benutzerschnittstelle ausgestattet werden, stehen gerade in der Anfangsphase in engem Kontakt mit den ForscherInnen der FH Technikum Wien. “Wir und Kollegen aus Linz sind für die Einrichtung der Systeme verantwortlich. Auch viele unserer Absolventen sind in diese Projekte eingebunden. Wir richten das System je nach den Bedürfnissen der Nutzer ein. Mit der Zusammenarbeit mit den Patientinnen und Patienten haben wir bisher sehr gute Erfahrungen gemacht”, so Balog.

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und der Fachhochschule Technikum Wien.

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Markus Keßler

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