Nachweis von resistenten Bakterien auf einer Kulturplatte.
Nachweis von resistenten Bakterien auf einer Kulturplatte.
© APA/dpa/Daniel Karmann

Interview

"Wir treten in eine Post-Antibiotika-Ära ein"

Durch die Verbesserung der hygienischen Bedingungen und die Erfindung der Antibiotika konnte die Zahl der Menschen, die an Infektionen sterben, drastisch gesenkt werden. Aber die Bakterien schlagen zurück. Weltweit treten vermehrt resistente Keime auf, die drohen, verschiedene Ökosysteme zu übernehmen. Die Entwicklung neuer Medikamente wurde lange Zeit vernachlässigt. Dadurch droht uns ein medizinischer Rückfall in Prä Penicillin-Zeiten, in denen jede Schnittwunde, kleine Operation oder Krebsbehandlung zu tödlichen Infektionen führen können.

Otto Cars, Spezialist für Infektionskrankheiten an der Universität Uppsala, versucht seit Jahren, das Bewusstsein für das Problem zu stärken und für politische Lösungen zu werben. Die futurezone hat den Mediziner interviewt.

Otto Cars
futurezone: Das Problem zunehmend resistenter Bakterien wurde teilweise schon als “antibiotische Apokalyse” bezeichnet. Ist das übertrieben?
Otto Cars:Wir treten in eine Post-Antibiotika-Ära ein, das ist wahr. Einige resistente Bakterien sind bereits nicht mehr behandelbar und das kostet vielen Menschen das Leben. Die verfügbaren Medikamente allein werden uns nicht helfen. Wir brauchen eine beispiellose Reaktion auf globaler Ebene, um die Situation in den Griff zu bekommen.

Gibt es ein Bewusstsein dafür?
In Fachkreisen schon lange. In der Politik setzt sich die Einsicht, dass es sich um ein globales Problem handelt, erst seit fünf bis sechs Jahren durch, auch weil es jetzt in den reichen Ländern Probleme gibt. Das könnte die Reaktion beschleunigen. Das ist auch wichtig, weil es in den Entwicklungsländern kein Geld für aktuelle Medikamente und keine medizinische Infrastruktur gibt. Der fehlende Zugang zu grundlegenden Medikamenten wie Penicillin muss als globales Entwicklungsproblem begriffen werden, sonst werden die Spannungen zwischen arm und reich wachsen. Seit eineinhalb Jahren gibt es aber deutliche Verbesserungen.

Wie groß ist das Problem in Europa?
Bakterien reisen heute um die ganze Welt, auch in EU-Länder. Dort gibt es bislang noch kaum absolut resistenten Keime, aber durchaus solche, die schwer zu behandeln sind.

Warum wurden die Resistenzen so lange ignoriert?
Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus Ignoranz und Naivität. Zwischen Wissenschaft und Politik gibt es ein Kommunikationsproblem. Aktivisten versuchen schon lange, Politiker zum Handel zu bewegen. Der Glaube, dass die Pharmaindustrie schon rechtzeitig neue Medikamente liefern wird, ist aber immer noch weit verbreitet. Das ist leider eine Selbsttäuschung. Die Medien berichten auch kaum, weil es sich nicht um schnelle Ausbrüche handelt, wie bei Ebola, Vogelgrippe oder SARS, sondern um eine Komplikation bei der Behandlung verschiedener bakterieller Infekltionen.

Wissen wir überhaupt, wie sich die Lage entwickelt?
Es gibt wenig Daten zu Sterblichkeitsraten, Ausbreitungsgeschwindigkeit und ökonomischen Konsequenzen. Das European Centre for Disease Prevention and Control sammelt seit 2009 Informationen. Wir wissen jetzt, dass in der EU mindestens 25.000 Menschen pro Jahr an Infektionen mit resistenten Bakterien sterben - und das sind konservative Zahlen. Weltweit sterben mindestens 500.000 Menschen pro Jahr, das sind ähnliche Opferzahlen wie im Straßenverkehr und die Tendenz steigt. Es ist ein langsamer Tsunami, der sehr konstant voranschreitet.

Welche Keime bereiten die größten Schwierigkeiten?
Resistenzen entwickeln sich in allen Bakterien. Bei einigen Arten ist die Entwicklung auffälliger. Staphylokokken etwa sind ein bedeutendes Pathogen und für viele Infektionen nach Operationen verantwortlich. Wir sehen eine Häufung resistenter Formen in Krankenhäusern. Enterobakterien, die in der normalen Darmflora von Mensch und Tier vorkommen, entwickeln ebenfalls Resistenzen. Durch die Nahrungskette, industrielle Tierhaltung und Reisen wird das beschleunigt. Einige Stämme sind mittlerweile sogar gegen Colistin resistent, das bisher als letzte Verteidigungslinie galt. Auch bei Infektionskrankheiten wie Tuberkulose entwickeln Erreger Resistenzen, was besonders in Entweicklungsländern große Probleme bringt.

Worin besteht die größte Gefahr?
Diese Bakterien lösen selten direkt Krankheiten aus. Stattdessen verändern sie die Mikrobenpopulation in Mensch und Tier sowie in der Umwelt. Wird dann eine Operation oder eine Krebsbehandlung nötig, sind die Bakterien da und verursachen Infektionen, die nicht in den Griff zu bekommen sind. Das ist ein ökologisches Problem, das unsere eigene Darmflora miteinschließt. Wenn resistente Bakterien in den Därmen blieben, hätten wir kein Problem. Sobald sie in Blut oder Urin vorkommen, kann es zu Infektionen kommen. Wir benötigen ein Konzept, das Menschen, Abwässer und die Umwelt berücksichtigt.

Sind neue, wirksame Antibiotika in Sicht?
Die Welt hat sich selber belogen, weil alle dachten, die Pipeline würde wiederaufgefüllt. Dabei ist seit 30 Jahren nichts mehr passiert. Die Medikamente, die wir bräuchten, sind nicht in Sicht. Es werden derzeit bekannte Medikamente mit Enzymhemmern kombiniert, um die Resistenzen kurzfristig auszuhebeln. Das hilft nur für begrenzte Zeit. Wir brauchen eine neue Klasse von Wirksubstanzen, wenn wir längerfristige Erfolge wollen.

Warum wurde nichts entwickelt?
Die Entwicklung dauert lange, weil die Zulassungsverfahren Zeit brauchen und es einige Flaschenhälse gibt. Antibiotika sind kaum attraktiv für die Pharmaindustrie, weil der Markt klein und die Entwicklung teuer ist. Zudem sollten wir die Verwendung von Antibiotika in Zukunft noch weiter einschränken, um die Entwicklung von Resistenzen nicht noch zu befeuern. Hinzu kommt, dass es derzeit erhebliche wissenschaftliche Hürden zu überwinden gilt, wenn es um die Identifikation neuer Antibiotika-Klassen geht. Um diese zu lösen bedarf es Grundlagenforschung die zeitaufwändig - und deren Erfolg ungewiss ist.

Was fehlt in der Forschung?
Es wird oft vergessen, dass Antibiotika auch in die Bakterien eindringen müssen, um ihre Wirkung zu entfalten. Das heißt, sie müssen auch vor den Abwehrmechanismen der Bakterien geschützt werden. Wir brauchen vollständige Zellen für solche Versuche. Es werden jetzt neue Modelle der Zusammenarbeit vorgeschlagen, die auch die Biologie umfassen, nicht nur die Chemie. Es gibt weltweit weniger als 500 Experten für die Entwicklung neuer Antibiotika und die sind in erster Linie nicht in den großen Pharmakonzernen zu finden, sondern an Universitäten und in kleinen Unternehmen.

Gibt es eine Reaktion?
Es fließt zwar neues Geld, aber noch nicht genug. Zudem werden die alten Fehler wiederholt. Wir brauchen weltweite Zusammenarbeit und einen offenen Wissenstransfer. Ein mangelnder Austausch an Informationen führt dazu, dass ohnehin knappe Mittel oft ineffektiv verwendet werden oder Studien und Projekte bereits Erforschtes duplizieren. Wir haben keine Zeit mehr für Fehler. Wir brauchen schnelle Entwicklungsprozesse und öffentliche Gelder. Ich bin nicht grundsätzlich pessimistisch. Wir können das schaffen. Dafür müssen wir aber globale Forschungszentren und neue Innovationsmechanismen aufbauen. Die Verbesserung der Hygiene - vor allem in einigen Entwicklungsländern - und der vernünftigere Umgang mit Antibiotika sind ebenfalls essenziell.

Werden die Pharmafirmen das zahlen wollen?
Wir brauchen einen Mechanismus, der die Kapitalrendite vom Verkauf großer Mengen von Antibiotika entkoppelt. Die Forschung sollte durch die öffentliche Hand mitgetragen werden und Medikamente nicht durch exzessives Marketing in das System gepresst werden. Die Besteuerung von Antibiotika für den Einsatz in der Tierhaltung sollte das auf jeden Fall diskutiert werden. In der Humanmedizin macht das nur in reichen Ländern Sinn. Entwickelte Volkswirtschaften müssen den Löwenanteil der Kosten für die Entwicklung übernehmen. NGOs und Philanthropen können ebenfalls einen Teil beitragen.

Gibt es den politischen Willen dazu?
Am 21. September wird das Thema in der UN-Generalversammlung diskutiert. Wir werden sehen, welche Mechanismen vorgeschlagen werden und wozu sich die Länder zu verpflichten bereit sind. Wir brauchen einen ausreichenden und beständigen Fluss an neuen Antibiotika sowie eine Institution, die den Bedarf analysiert und die Pläne an die Resistenzen anpasst. Das kann nicht der Pharmaindustrie überlassen werden. Öffentliche Kontrolle ist wichtig.

Sehen Sie eine Chance, die Resistenzen endgültig zu besiegen?
Es gibt keine permanente Lösung für das Problem, solange wir auf Antibiotika angewiesen sind - und das wird noch viele Jahre der Fall sein. Nanotechnologie und Genmanipulation sind in diesem Bereich noch Zukunftsmusik. Oft ist auch ein glücklicher Zufall notwendig, um einen neuen Durchbruch zu schaffen. Wir stehen vor fünf bis zehn entscheidenden Jahren. Es wird schlimmer werden, bevor Besserung in Sicht kommt.

Wie schätzen Sie das Risiko für Europa ein?
Menschen mit einem schwachen Immunsystem - Kinder, Alte und Leute, die operiert werden - sind am ehesten gefährdet. Es ist ein großes ethisches Problem, wenn das Risiko einer Infektion zu groß ist, um Behandlungsmethoden oder Operationen zu rechtfertigen. Das sehen wir schon in einigen Fällen. Wir sind unter Zeitdruck. Die EU muss sich zusammenreißen und die Aktivitäte in Mitgliedsstaaten besser koordinieren. Das Gesundheitswesen ist in der EU zwar eine nationale Angelegenheit. Wenn jedes Land nach Gutdünken Antibiotika verkauft, ist das Problem nur schwierig in den Griff zu bekommen.

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Markus Keßler

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