© AT&S

Interview

AT&S: "Wachstum über neue Technologien"

futurezone: Als einer der führenden Leiterplattenhersteller arbeiten Sie mit den wichtigsten Konzernen der Welt zusammen. Wissen Sie früher als alle anderen Branchenexperten, welche neuen und innovativen Produkte kommen werden?
Willi Dörflinger: So ist es nicht, wir bekommen das Design einer Leiterplatte und wissen nicht einmal, welche Bauteile der Hersteller darauf platziert. Oft wissen wir nicht einmal, um welches Gerät es sich handelt, aber von der Form her kann man ein paar Rückschlüsse ziehen. Oft hat die Leiterplatte nicht mehr die Form eines Telefons, sie kann eine L- oder U-Form haben, damit man mehr Platz für den Akku hat.

Andreas Gerstenmayer: Hinzu kommt, dass wir auf der Leiterplatte nur den Footprint des Chip sehen, und das kann ein WLAN-, ein NFC- oder Bluetooth-Chip sein. Außerdem sieht der neue Trend so aus, dass nicht mehr einzelne Chips verbaut werden, sondern  ein Connectivity-Modul, in dem verschiedenste Funktechnologien integriert sind – von Bluetooth bis WLAN. Früher war es üblich, Einzelbauelemente zu verbauen, heute ist die Modularbauweise gebräuchlich. Damit hat die Automobilbranche  schon vor eineinhalb Jahrzehnten begonnen. Der Vorteil ist: Man kann ein neues Gerät bauen, kann aber das Innenleben belassen, weil man an den Schnittstellen etwa nichts ändern will.

In Österreich wird ja mitunter Kritik an Unternehmen laut, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.
Dörflinger: Das ist Unsinn. Es ist wichtig vor Ort zu sein, denn gäbe es die Standorte in China und Indien nicht, gäbe es auch die Standorte in Österreich nicht. Die Kombination ist wichtig. Es ist kein Verschieben von Arbeitsplätzen. Die Industriellenvereinigung hat in einer Studie nachgewiesen, dass drei Arbeitsplätze im Ausland einen im Inland bringen. Nehmen Sie als Beispiel die Autoindustrie – alle, die nicht neben Europa andere Standorte entwickelt haben, befinden sich in der Krise. Die Franzosen, die Italiener und Opel. Alle anderen leben von Amerika und Asien, etwa BMW, Porsche, Audi, VW, Mercedes. Wären wir nicht in Indien oder China, gäbe es die AT&S nicht. Damals gab es in Europa weit über 400 Leiterplatten-Hersteller, jetzt haben wir etwa 150.

China ist für viele immer noch ein profitables Geschäft, auch AT&S ist in China äußerst erfolgreich.
Dörflinger: Ja, aber wir stehen auch in der höchsten Technologieklasse, die wir dort produzieren, unter einem unglaublichen Preisdruck. Die goldenen Zeiten wie vor vier, fünf Jahren sind vorbei, aber wir verdienen nach wie vor ansprechendes Geld. 55 bis 60 Prozent des Gesamtumsatzes machen wir in Shanghai und 90 Prozent des Ergebnisses kommt von dort. China wird uns auch in der nächsten Zukunft noch viel Freude machen.

Welche Technologie werden sie im neuen Werk in Chongquing produzieren?
Gerstenmayer: Das werden wir erst in den kommenden Wochen entscheiden. Ob wir jetzt 14 Tage vorher oder ein Monat später eine Entscheidung treffen, ist nicht entscheidend für die Zukunft. Die Technologie, die wir dort produzieren, wird aber zukunftsentscheidend sein.

Sie sind in Indien präsent, in China, in Taiwan – gäbe es noch andere interessante Länder?
Dörflinger: Ja, wenn es politisch sicherer wäre, wäre die Ukraine ein spannender Ort, der zudem nur zwei Flugstunden von Österreich entfernt wäre. Wir haben die Ukraine schon evaluiert, wollen derzeit aber nicht. Man könnte nach Vietnam gehen, oder Indonesien. Aber für unsere Industrie benötigt man immer eine entsprechende Infrastruktur und das muss man berücksichtigen.

Sprechen wir über den Mobilfunkmarkt. Wie beurteilen Sie die Situation um Nokia?
Dörflinger: Als Europäer tut mir das Herz weh, dass es Nokia nicht mehr gut geht, aber es gibt ohnehin keinen europäischen Handy-Hersteller mehr. Wer produziert noch in Europa? Das Problem Nokias war, dass sie  zu schnell gewachsen sind. Führungspositionen waren immer in finnischer Hand, doch die eigenen Führungskräfte sind ihnen ausgegangen, Positionen wurden mit Nicht-Finnen besetzt und damit war auch die ganze Nokia-Kultur plötzlich weg. Das gleiche war bei Blackberry der Fall. Vor fünf Jahren hätte ich auch für Blackberry die Hände ins Feuer gelegt.

Wie sieht die Zukunft von RiM aus?
Dörflinger: Sie haben Vorteile gegenüber den Konkurrenten, die etwa das Thema der Administrierbarkeit der Geräte noch nicht gelöst haben. Wenn ich weltweit unterwegs bin, kann ich einen Blackberry – egal wo auf der Welt ich mich befinde – zurücksetzen lassen. Und auch beim Thema Daten haben sie Vorteile: Die Konkurrenz hat keine Push-Funktion, wenn Sie sich im Ausland befinden, zahlen Sie fürs Downloaden der Mails ein Vermögen.

Was halten Sie heute von Motorola? Hat der US-Hersteller noch eine Chance?
Dörflinger: Ich glaube schon, die sind – auch mit Google im Rücken – technisch im Aufwind. Wir produzieren für Motorola in Shanghai und sie halten die  Planungszahlen nicht nur gut ein, sie überschreiten sie sogar. Ich wünsche Motorola, dass das Revival funktioniert.

Gerstenmayer: Man wird sehen, was Google mit ihnen wirklich vor hat. Es gibt ja zwei Familien, die Motorola und die Google-Familie. Interessant wird sein, warum Google Motorola wirklich gekauft hat und wie viel man von Motorola übrig lässt. Bleibt irgendwann einmal nur die Marke Google übrig?

In den Unternehmen steht derzeit „Bring Your Own Device" hoch im Kurs.
Gerstenmayer: Wenn jeder Mitarbeiter 200 Euro bekommt und sich sein eigenes Gerät kaufen kann, klingt das zwar cool, aber im Unternehmen entsteht ein Chaos. Was passiert am Ende des Tages? Der Mitarbeiter ruft doch wieder bei der IT an, wenn er Probleme hat. Und die kann das aus den vorher genannten Gründen zentral administrieren. Als Unternehmen bleibt mir dann nichts anderes übrig als Systemadministratoren aufzunehmen, die alle Plattformen servicieren können, was zu erhöhten Kosten führt.

Touchscreens sind der große Renner, wie lange gibt es noch Tasten-Smartphones?
Gerstenmayer: Diejenigen, die E-Mails professionell mit dem Smartphone schreiben, wollen keinen Touchscreen, die wollen Tasten. Daher könnte RiM, wenn sie das Marketing wieder auf die Beine bringen, durchaus wieder einen Erfolg einfahren können. SMS ja, Mail nein.

AT&S ist ja auf der Börse in Wien notiert – glücklich sind Sie damit aber nicht.
Gerstenmayer. Stimmt. Wir waren kürzlich mit der Wiener Börse in Hongkong, denn die Liquidität auf der Wiener Börse ist katastrophal. Wenn man mehr Umsätze in Deutschland macht als auf der Heimatbörse muss man sich etwas überlegen.

Welche Optionen haben Sie?
Gerstenmayer: Wenn man schon in Wien keine Liquidität hat, wird man wohl auf einem zweiten Marktplatz auch keine schaffen. Dazu sind wir zu klein. Ein Dual-Listing funktioniert nicht. Der sinnvolle Weg ist, gemeinsam mit der Wiener Börse etwas zu unternehmen. Wir müssen asiatische Investoren für die AT&S gewinnen. Technisch ist es äußerst schwierig unsere Aktie in Hongkong, Singapur zu kaufen. In Hongkong etwa will man die Aktien physisch auch haben, damit man seine Bestände kontrollieren kann. Wenn es einen Investor gäbe, kommt er nicht auf unsere Aktien, weil sie physisch nicht vorhanden sind und bei uns in Sammelbriefen liegen.

Wie sieht der AT&S-Plan aus?
Dörflinger: Wir haben ja eine Vision, und die lautet eine Milliarde Umsatz und eine andere Positionierung in den von uns bedienten Märkten. Das bedeutet, wir brauchen neue Technologien und auch neue Märkte und das kann möglicherweise ein Technologie-Sprung sein, so wie wir von der Standard-Leiterplatte auf die HDI-Leiterplatte umgestiegen sind.

Gerstenmayer: Wachstum bedeutet für uns nicht, mehr vom Gleichen zu produzieren. Dann kommt man in die Falle, die viele Asiaten bedienen, nämlich riesige Fabriken bauen und Kapazitäten produzieren zu müssen, wodurch wiederum der Preisdruck steigt. Wachstum über neue Technologien lautet unsere Devise.

Dörflinger: Wir brauchen wieder USP. 1994 hat es uns zerrissen, weil sich der Mobilmarkt entwickelt hat und wir in Europa der einzige waren, der die Technologie und die Kapazität liefern konnte. Heute haben wir nicht einen Mitbewerber, sondern fünf, sechs, die die Technologie Apple und wer immer sie braucht, anbieten.

Kann man heute noch eine Technologie aufbauen, damit man einige Jahre ein Alleinstellungsmerkmal hat?
Gerstenmayer: Nein, so etwas wird man nicht mehr haben, weil die Kunden eine Second Source fordern. Außer mit der Auflage, dass du die Technologie in Lizenz einen zweiten produzieren lässt. Kein Hersteller will sich in eine Abhängigkeit begeben.

Wo stehen sie im weltweiten Ranking?
Dörflinger: Umsatzmäßig weltweit an 23. Stelle, technologisch stehen wir meiner Meinung nach unter den Top 3, neben Ibiden und Unimicron.

Gerstenmayer: Ich trau mir zu, dass Ibiden und wir uns bei der Leiterplatte an die Spitze treiben. Punkto Strategie unterscheiden wir uns: Ibiden ist der, der Richtung Halbleiter unterwegs ist. Unimicron ist im Volumensgeschäft, der hat eine reine Wachstumsstrategie. Wir konzentrieren uns auf das Nischengeschäft. Wir bedienen nur die Felder, die zu uns passen und die für uns technologisch sinnvoll sind. Darum interessiert es uns eigentlich nicht, wo wir positioniert sind. Wir sind Nummer 1 in Indien, Nummer 1 in Europa und unter den zwei, drei besten weltweit. Ibiden und wir sind Nummer 1 was Qualität, Innovation und Technologie betrifft.

Apropos Innovation, wie sehen die Geschäftsfelder neben dem Mobilen Bereich aus?
Gerstenmayer: Bei Automotive und Industrie sind wir sicher ganz vorne dabei, auch bei Flugzeugen oder in der Medizinindustrie. Wir können nämlich etwa der Automobil-Industrie jene Technologie anbieten, die wir im Kommunikationsbereich, also Smartphones, entwickelt haben. Die Miniaturisierung von Leiterplatten ist bei unserer Technologie über die Mobile Devices gelaufen, nun entdecken der Automotive- und Industrie-Bereich ebenfalls die Miniaturisierung und die Kommunikationsverknüpfungen.

Aber Automotive, Industrie und Medizintechnik werden allerdings andere Stückzahlen benötigen.
Gerstenmayer: Genau, bei der Auto-Zulieferindustrie erhält man einen 150.000-Stück-Auftrag, bei einem Smartphone-Hersteller sind 1-2 Millionen Leiterplatten eine Bestell-Serie. Wenn man in den medizinischen Bereich kommt, liegt man bei den Aufträgen bei hunderten Stück. Und dann gibt`s noch das Geschäft mit Einzelstücken, wo wir für ein einzelnes Gerät oder Prototypen nur eine einzige oder ganz wenige Leiterplatten erzeugen.

Aber gerade mit der Nische, bzw. Special-Interest-Gruppe lässt sich auch Geld verdienen.
Dörflinger: Definitiv. Die Nische ist das Interessante, wie etwa die Luftfahrt. Dort braucht man zwar weniger Stück, aber hohe Technologie, hohe Zuverlässigkeit und hohe Qualität. Da macht man auch noch Profit.

Mehr zum Thema

  • Indien ist nicht das neue China
  • So entstand der futurezone-Award
  • AT&S zeigt Kalender mit Größen der IT-Branche
  • AT&S: Mehr Halbjahresumsatz, weniger Gewinn

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare