© Jakob Steinschaden

Interview

„Ganz Israel lebt Hightech“

Das Chat-Programm ICQ, USB-Sticks, WLAN-Technologien, Doppelkernprozessoren, die Firewall - so unterschiedlich diese Technologien auch sind, sie alle haben ein gemeinsame Herkunft: Israel. Nach den USA gilt das Land als jenes, das die meisten Hightech-Innovationen hervorgebracht hat. Weltmarktführer wie IBM, Intel, Google oder Microsoft sind längst auf den Geschmack gekommen, haben israelische Hightech-Firmen aufgekauft, Firmensitze eröffnet und Entwicklung und Produktion in das Land ausgelagert. Zuletzt wurde gar der Hightech-Riese Apple in Israel tätig und kaufte das auf Flash-Speicher spezialisierte Start-up Anobit Technologies um kolportierte 450 Millionen Dollar. Demnächst will der iPhone-Hersteller sogar seine erste Forschungseinrichtung außerhalb des Hauptfirmensitzes in Cupertino, Kalifornien, aufmachen.

Journalist und Autor Saul Singer hat sich gemeinsam mit Co-Autor Dan Senor dem Phänomen des “Silicon Wadi“ in dem Buch  “Startup Nation Israel“ gewidmet. Im Interview mit der futurezone spricht er über die Erfolgsfaktoren des kleinen Staates, warum es ein hervorragendes “Beta-Land“ abgibt, und über die Chancen Österreichs am Technologie-Markt.

Sie bezeichnen Israel als das innovativste Hightech-Land der Welt. Was macht es innovativer als die USA?
Das Silicon Valley ist immer noch der führende Ort für Start-ups und bietet das ausgereifteste und beste Ökosystem für Technikfirmen weltweit. Das Interessante an Israel aber ist, dass das ganze Land Hightech lebt und nicht nur eine einzelne Region. So etwas gibt es nirgendwo sonst. Im Land gibt es 4000 Start-ups, und jedes Jahr kommen 500 neue dazu.

Was ist das Besondere an israelischen Start-ups? Warum werden sie so gerne aufgekauft?
Wenn in anderen Ländern kleine Firmen übernommen werden, werden deren Mitarbeiter oft hinausgeworfen. Israelische Start-ups aber werden nicht nur wegen ihrer Technologie gekauft, sondern auch wegen der Ingenieure. IBM etwa hat neun Firmen gekauft, und einige davon wurden zu ihren Forschungsstätten. Wenn die Gründer nach der Übernahme gehen, starten sie sehr schnell eine neue Firma. Das hält den Motor der Hightech-Branche und damit der gesamten Wirtschaft am Laufen.

Das Militär hat ihrem Buch zufolge großen Einfluss auf die technologische Entwicklung.
Viele glauben, dass es die militärische Forschung ist, aber das ist nur die halbe Geschichte. Denn es gibt auch einen gesellschaftlichen Einfluss: Das Militär ist der dritte Lebensabschnitt im Leben fast jedes Israelis, zwischen der Schule und der Arbeit. Und in diesem Lebensabschnitt lernen Israelis viel über Führerschaft, Teamwork und, am wichtigsten, Missionserfüllung. Das verlangt Erfolgsstreben, Einfallsreichtum und Mut zum Risiko, und genau das braucht es auch bei der Gründung eines Technologie-Start-ups.

Hat auch die jüdische Diaspora Einfluss auf den Hightech-Sektor?
Es hilft natürlich, wenn ein Land eine starke Diaspora hat. So gibt es etwa starke ökonomische Verbindungen zwischen Israel, den USA und dem Silicon Valley. Aber die US-Firmen kommen nicht ins Land, nur weil sie einen jüdischen Chef haben. Das Ironische ist, dass erfolgreiche jüdische Unternehmer Israel lange Zeit ignoriert haben, weil sie einen eher negativen Eindruck vom Land hatten. Immigranten sind ebenfalls ein wichtiger Faktor, denn sie sind Auswanderer, die das Risiko auf sich nehmen, sich eine neue Heimat zu suchen. Das Besondere an Israel ist, das beide Seiten – die, die schon da sind, und die die kommen – einander absorbieren wollen. Dadurch entsteht viel unternehmerische Energie, und genau das fehlt Europa.

Sie bezeichnen Israel auch als „Beta-Land“. Was bedeutet das?

Israel ist ein hervorragendes Land zum Testen von neuen Ideen. Es gibt viele Early Adopter, es ist geografisch und politisch sehr isoliert. Die Firma Better Place etwa testet in Israel derzeit ein landesweites Versorgungssystem für Elektroautos. Israel könnte so der erste Erdöl-unabhängige Staat der Welt werden.

Israel ist politisch und geografisch sehr isoliert. Wird der technologische Erfolg von den Nachbarländern als Bedrohung wahrgenommen?
In der Arabischen Welt besteht hohes Interesse an Israels Technologien. Das beste Beispiel dafür ist wohl, dass Salam Fayyad, der palästinensische Ministerpräsident, mein Buch am Schreibtisch liegen hat. Er will einen eigenständigen palästinensischen Staat aufbauen, und er sieht Israel in vielerlei Hinsicht als Vorbild an. Und es besteht auch Interesse in die andere Richtung: Es gibt einen israelischen Fund von Risikokapitalgebern, der bereits begonnen hat, Geld zu sammeln, um in Start-ups in Ramallah und der West Bank zu investieren.

Glauben Sie, dass Start-ups helfen können, die politischen Differenzen zu überwinden?
Ich glaube, dass sie Teil des Prozesses sein werden. Auf beiden Seiten warten Start-ups nur darauf, bis die Schranken fallen, um in den jeweils anderen Markt vorzudringen.

Österreich ist in Sachen Bevölkerung größer als Israel, in Sachen Technologie vergleichsweise ein Zwerg. Was würden Sie uns raten?
Kleine Länder haben einen Vorteil: Firmen in großen Ländern fokussieren sich oft auf den nationalen Markt, während sich israelische Firmen vom ersten Tag an auf den globalen Markt konzentrieren, weil es keinen regionalen gibt. Außerdem ist Österreich ein hervorragender Testmarkt: Die Nutzungsraten von Smartphones und Internet sind sehr hoch, Österreich kann auch ein Beta-Land werden.

Es wird schwer sein, Israel zu kopieren.
Das ist das Problem, viele Länder wollen wie Israel sein. Jedes Land hat eine andere Geschichte, Kultur und Kontext, und deswegen kann man das nicht einfach nachmachen. Niemand kann die Probleme nachempfinden, mit denen Israel zu kämpfen hatte. Andere Länder sollten besser darüber nachdenken, wie sie mit Israel zusammenarbeiten könnten, wie sie Kräfte kombinieren könnten, wie sie Synergien nutzen können. Aus der Zusammenarbeit zwischen Israel und Österreich könnten große Unternehmen entstehen.

Europäische Städte wie London, Berlin oder Moskau haben große Ambitionen, das nächste große Start-up-Mekka zu werden. Was muss Israel tun, um nicht überholt zu werden?
Ich glaube, dass Israel anderen Länder helfen sollte, dorthin zu gelangen. Wenn wir in deren Innovations-Systeme integriert werden, ist das das Beste für beide. Es gibt noch viel Luft oben, aber natürlich muss sich Israel eingestehen, dass es nicht immer an der Spitze bleiben kann. Aber bis jetzt sieht es gut aus.

Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Buch?
Mein Co-Autor, Dan Senor, hat eine Gruppe Business-Studenten von Harvard nach Israel gebracht, und die waren verblüfft, was sich alles abspielt. Die wollten ein Buch darüber lesen, aber es gab keines. Deswegen haben wir eines geschrieben.

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Autor Der US-israelische Autor Saul Singer war als Journalist für  das Wall Street Journal, die Washington Post und die Jerusalem Post tätig. Außerdem diente er als Berater des US-Kongresses und dem Banken-Komitee des US-Senats. Nachdem er 1994 nach Israel zog, veröffentlichte er unter anderem das Buch „Confronting Jihad: Israel`s Struggle and the World After 9/11“. Singer lebt heute mit Frau und Kindern in Jerusalem.

Buch „Start-up Nation Israel“, das Saul Singer mit Co-Autor Dan Senor veröffentlicht hat, ist   bis dato in 17 Sprachen übersetzt, kürzlich erschien die deutschsprachige Version im Hanser Verlag. Der Titel verkaufte sich weltweit bereits mehr als 200.000-mal.

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