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Mobilfunk

Huawei: „Noch kennt uns niemand“

Es ist eine asiatische Geschichte, die in den vergangenen zwanzig Jahren schon öfters geschrieben wurde. Ein Geschäftsmann gründet eine kleine Hightech-Firma und beginnt für westliche Unternehmen Auftragsarbeiten zu absolvieren. Nach einem stetigen Aufstieg im Hintergrund hat man die Anonymität satt und will Ruhm, Rampenlicht und Rendite. Die eigene Marke wird aufgebaut, um mit traditionellen Namen aus dem Westen zu konkurrieren.

Alles aus einer Hand
In Taiwan gehen Asus und Acer diesen Weg seit Jahren und berufen sich dabei auf die „Smile Curve" des Acer-Gründers Stan Shih: Wer von Herstellung, über Forschung bis hin zu Marketing alles selbst kontrolliert, hat entscheidende Wettbewerbsvorteile. Das beste Beispiel für die Transformation vom Billig-Schrauber zur geschätzten Weltmarke war im vergangenen Jahrzehnt jedoch Samsung. Wie kein anderer Konzern hat es die südkoreanische Firma verstanden, seinen Geräten ein positives Image zu verleihen.

Nummer Zwei mit Ambitionen
Dieses Erfolgsrezept kopiert nun abermals eine asiatische Firma, um zu einer begehrenswerten Brand aufzusteigen: Huawei, dessen Namen auch als „China ist fähig" übersetzt werden kann. Die Chancen, dass die hochgesteckten Ziele erreicht werden, stehen nicht schlecht, da der Konzern bereits eine fixe Größe im Telekom-Bereich ist. 45 der 50 größten Netzwerkbetreiber arbeiten mit Anlagen von Huawei. 2011 wurde ein Umsatz von 32 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Im Mobilfunk-Sektor nimmt Huawei nach Ericsson und vor Nokia Siemens Networks dank extrem günstiger Preise – die EU-Wettbewerbsbehörde ermittelt wegen Finanzspritzen durch die chinesische Regierung – und viel Marketing international bereits den zweiten Platz ein.

Die Erfolge aus dem Telekom-Sektor, wo vom Handy-Masten über Hochleistungsrouter bis zu Unterseekabel alles angeboten wird, sollen nun auf den Gerätebereich umgemünzt werden. „Noch kennt uns niemand", sagt Roland Sladek, Unternehmenssprecher, zur futurezone. Der gebürtige Deutsche ist einer von 120 Ausländern in Huaweis Firmenhauptsitz in Shenzhen, China, und mitverantwortlich für die Charmeoffensive der Firma. Durch das Engagement im Endgerätebereich soll dem Durchschnittsbürger im Westen die Marke näher gebracht werden. Denn immerhin stammen 65 Prozent des Umsatzes aus dem Ausland.

60 Millionen Smartphones
Das vom 67-jährigen Firmengründer Ren Zhengfei ausgegebene Ziel ist, heuer 60 Millionen Smartphones zu verkaufen und bis 2015 hinter Samsung und HTC die Nummer Drei im Handy-Sektor zu werden. Damit dies funktioniert, setzt Huawei auf eine Taktik, die bereits im Netzwerk-Sektor funktioniert hat. „Wer ein gutes Smartphone zu einem vernünftigem Preis will, wird zu Huawei greifen", erklärt Sladek beim Besuch der futurezone im Hauptquartier in Shenzhen. Nächstes Jahr will die Firma etwa mit einem günstigen LTE-Smartphone punkten. Der Konzern bemüht hier den Vergleich zu Samsung und argumentiert, dass man vieles innerhalb des Konzerns erledigen kann und schneller mit Innovationen am Markt ist. So hat man mit HiSilicon eine eigene Chip-Schmiede, die auch den Quadcore-Chip im neuen Android-Handy „Acend D Quad" verantwortet.

Holpriger Weg
So recht will es mit der vertikalen Integration jedoch noch nicht klappen. Die zu Jahresbeginn angekündigten Handys sowie ein 10-Zoll-Tablet wurden mehrmals verschoben. Im Gegensatz zu Apple und Samsung wird zudem nur in Chips investiert. Laut Sladek sind Investitionen in Speicher, Displays oder Gehäusematerialien nicht geplant. Auch eine Content-Strategie, wie etwa bei Apples iTunes oder Amazons Kindle, sei aktuell kein Thema.

Nahe am Original
Laut Sladek arbeite man aktuell mit 50 Design-Agenturen zusammen, die Konzepte erstellen. Bis dato kamen dabei aber nur offensichtliche Kopien von Nokia-, Samsung- und Apple-Geräten heraus. Die eigene Linie bei Smartphones und Tablets muss erst gefunden werden. Weiters kommt hinzu, dass Huawei die Geräte nicht selbst produziert, sondern auslagert.  Dabei mag es ohne Zweifel hilfreich sein, dass das Firmengelände an jenes von Apples Haus- und Hofproduzent Foxconn angrenzt.

Wettforschen im Patentkrieg
Auf die Parallelen zu bestehenden Smartphones angesprochen, wiegelt man bei Huawei ab. Ein Handy habe nun mal eine bestimmte Form, man arbeite in den Forschungsabteilungen jedoch an neuartigen Konzepten. Dass es die Firma mit der Eigenständigkeit langfristig ernst meint, zeigt auch, dass man das Patentportfolio nach und nach aufstockt. 2011 wurden 50.000 Patentanträge gestellt, wovon 23.522 stattgegeben wurde. Laut eigenen Angaben hält Huawei mittlerweile 18 Prozent der weltweiten LTE- und 4G-Patente und ist bei LTE Advanced ganz vorne dabei. Umgekehrt respektiert man die Technologien von Dritten und zahlte 2011 1,2 Milliarden US-Dollar an Lizenzgebühren.

Um die Position am Markt auszubauen und die Abhängigkeit von anderen Firmen zu reduzieren, investiert die Firma Sladek zufolge extrem viel in Forschung. 44 Prozent der Belegschaft, also rund 65.000 Angestellte, arbeiten in R&D, in das zehn Prozent des Umsatzes investiert wird. Weltweit gibt es 23 Forschungslabore mit eigenen Schwerpunkten. Im indischen Bangalore etwa wird programmiert, in Schweden wird zu Funk, in Milan zu Mikrowellen geforscht. Zusätzlich gibt es 30 Joint Innovation Centers, die mit Telekom-Firmen, wie beispielsweise Vodafone, betrieben werden.

Beliebt bei chinesischen Studenten
Zuversichtlich stimmt die Firma, dass in China pro Jahr 6,5 Millionen Ingenieure an den Universitäten diplomieren. „Wir wählen die besten und schlauesten aus. Der Andrang ist groß. Im Ranking der besten Arbeitgeber sind wir unter den Top Drei", sagt Sladek. So überrascht es nicht, dass das Durchschnittsalter der 140.000 Mitarbeiter bei 28 Jahren liegt.

Ein Grund für das hohe Ansehen bei Uni-Absolventen sind vor allem die guten Arbeitsbedingungen. Die Firma hat große Büros in allen chinesischen Metropolen. Im Gegensatz zu Arbeitern in Werksanlagen, die durchschnittlich 350 Euro im Monat kassieren, verdient ein Anfänger im Huawei-Büro 1400 Euro. Ein achtstündiger Arbeitstag sei normal, ebenso wie die einstündige Mittagspause.

Der größte Anreiz ist jedoch die Aussicht auf Geld über Firmenbeteiligungen. Im Gegensatz zum nationalen Mitbewerber ZTE ist Huawei nicht börsennotiert, sondern im privaten Streubesitz. 60.000 der 140.000 Mitarbeiter sind an der Firma und deren Gewinn beteiligt. Sie können alle fünf Jahre die Vorstandsmitglieder wählen.

Eine Firma in Mitarbeiter-Besitz
Das Anrecht auf Anteile – niemand darf mehr als zwei Prozent halten – muss man sich verdienen. Kaufberechtigt sind nur Chinesen, die mehr als drei Jahre im Unternehmen sind und gute Leistungen erbringen.  Das System soll dafür sorgen, dass die Arbeiter motiviert sind und sich für ihre Firmen einsetzen. Denn je höher der jährliche Gewinn, desto höher ist auch die Dividende. Mit Wachstumsraten von 20 Prozent sind die Firmenanteile auch eine Anlageform, die Mitarbeiter der ersten Stunde zu Millionären gemacht haben. Die eigenwilligen Besitzverhältnisse werden von einem Rotationsprinzip in der Chef-Etage begleitet. Es gibt drei CEOs, die im Halbjahr wechseln, um eine Balance zwischen kurz- und langfristigen Zielen zu finden. Das Dreigespann setzt sich aktuell aus einem Forscher, einem Auslandschef sowie einem Geschäftsstrategen zusammen.

Vorstoß in den Dienstleistungsbereich
Neben Smartphones und Tablets will das Führungstrio eine dritte Geschäftssäule erschließen.  Der „Enterprise"-Bereich, der Dienstleistungen für Geschäftskunden wie etwa Managed Services, Teleconferencing, Cloud Computing und den Betrieb von grünen Rechenzentren beinhaltet, wird seit September stark forciert. Langfristig will Huawei somit jeden Bereich des mobilen Internet bedienen, angefangen von den Basis-Stationen, über die Endgeräte bis hin zu Dienstleistungen.

Undurchsichtige Verhältnisse
Dass die Expertise und das Personal für dieses ambitionierte Unterfangen vorhanden sind, ist offensichtlich. Trotzdem könnten die Pläne scheitern. Der Firma wird vorgeworfen, zu wenige Informationen über Strukturen und Geschäftsprozesse zu veröffentlichen. So sei nicht klar, wie viel Einfluss die 65.000 stimmberechtigten Angestellten tatsächlich haben. Auch dauerte es lange, bis der Konzern bestätigte, dass Rens Bruder Shulu und seine Tochter Meng Wanzhou beide hohe Führungspositionen innehatten. Sein Sohn Ren Ping wiederum soll Insidern zufolge als Nachfolger aufgebaut werden.

Diese familiäre Struktur, die man auch von Samsung kennt, gepaart mit der zurückhaltenden Informationspolitik, lassen Außenstehende stutzig zurück. Erst in diesem Jahr zeichnet sich eine Kehrtwende ab. Firmengründer Ren absolvierte erstmals öffentliche Auftritte auf Messen und Konferenzen und betonte, wie wichtig Transparenz sei und versprach tiefere Einblicke in die Firma geben zu wollen.

Vorwürfe der Spionage
Noch schwerwiegender ist jedoch der Vorwurf einer Verbindung mit dem chinesischen Militär. Grund für die Gerüchte ist die Vergangenheit von Gründer Ren Zhengfei: Drei Jahre vor der Gründung der Firma im Jahr 1987 war er Offizier und Ingenieur in der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Seine Verbindung zum Militär hat es ihm ermöglicht, sich überhaupt erst selbstständig zu machen. Zu Beginn importierte er westliche Telekom-Lösungen nach China, begann dann aber schnell eigene Hardware zu produzieren und in China zu vertreiben. Während sich ausländische Firmen nur auf die großen Metropolen konzentrierten, baute Ren seine Firma durch die Erschließung des ländlichen Raums auf und investierte zudem früh in Russland und Afrika.

Verbindungen zu Partei und Militär
Sein Hintergrund sowie der Umstand, dass die Vorstandsvorsitzende Sun Yafang früher für das Ministerium für Staatssicherheit arbeitete, wird von westlichen Politikern, allen voran in den USA, immer ins Treffen geführt, wenn es um die Vergabe von öffentlichen Aufträgen geht. Die Firma stünde in enger Verbindung mit der chinesischen Regierung und baue Hintertüren für deren Geheimdienste ein; wer Huawei-Hardware installiert oder deren Cloud Services nutzt, mache sich anfällig für Spionage oder Sabotage, lauten die gängigen Vorwürfe.

Diese Kritikpunkte sorgten dafür, dass die australische Regierung Huawei heuer aus dem Bieterprozess für das Mobilfunknetz ausschloss. In den USA scheitere 2008 nach Druck der Regierung der Kauf von 3Com, 2011 die Übernahme von 3Leaf Systems sowie ein Auftrag von Mobilfunker Sprint. 2012 wiederum zog sich Symantec aus einer gemeinsamen Firma zurück.

Auf Beweissuche
Beweise für die Vorwürfe gibt es nicht. Im November startete erstmals das „U.S. House Permanent Select Committee on Intelligence" eine Untersuchung, ob Huawei nun tatsächlich eine Gefahr und ein Sicherheitsrisiko darstelle. In Großbritannien, wo Huawei mit der British Telecom kooperiert, wird die Technik von Experten des Government Communications Headquarters auf Schwachstellen untersucht – bis dato wurde nichts gefunden.

„Wir wären ja dumm, wenn wir das machen würden. Heutzutage ist jede Lücke von Hackern binnen weniger Tage aufgedeckt. Solche Hintertüren würden unsere Firma ruinieren", sagt Sladek, der die Intervention der US-Regierung als fragwürdig bezeichnet. „Wir liefern lediglich 0,19 Prozent unserer Produkte an die chinesische Regierung. Und das sind alles zivile Produkte. Wir betreiben keine militärische Entwicklung und haben keinerlei Verbindung mit den Streitkräften", betont der Unternehmenssprecher. Man habe zwar – wie jede Firma mit über sieben Mitarbeitern - einen Parteivertreter im Haus. Dass dieser Einfluss nimmt, wird vehement verneint. „Niemand ist bei uns politisch. Das Geschäft und das Produkt steht immer an erster Stelle", sagt Sladek.

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Benjamin Sterbenz

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