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Crowdfunding

Indiegogo: "Es geht nicht um den großen Fang"

Die Crowdfunding-Plattform Indiegogo hat seit ihrer Gründung mehr als 100.000 Projekte finanziert. Noch bevor der Hype rund um das Finanzierungsmodell mit der US-Seite Kickstarter so richtig los ging, bot Indiegogo bereits weltweit die Möglichkeit, seine Projekte via Crowdfunding unterstützen zu lassen. Ab 2013 wird die Plattform auch lokalisierte Seiten starten, die User automatisch auf die Landessprache umleiten. Die futurezone hat sich mit Indiegogo-Mitbegründerin Danae Ringelmann zum Interview getroffen. Auch wenn es immer wieder Kritik am Konzept des Crowdfunding (siehe futurezone-Bericht hier) gibt und sich Stimmen mehren, es sei extrem schwierig tatsächlich respektable Summen einzusammeln, zeigt sich Ringelmann von dem Finanzierungsmodell überzeugt und verfolgt mit ihrer Plattform die Vision eines demokratischen Fundraising.

futurezone: Indiegogo wurde im Jahr 2008 gegründet. Damals war von Crowdfunding eigentlich noch nirgendwo die Rede. Wie ist die Idee zur Plattform eigentlich entstanden?
Danae Ringelmann: Das Wort Crowdfunding hat damals nicht existiert, wir haben da Pionierarbeit geleistet. Die Idee entstand aus einer gemeinsamen Frustration von mir und den anderen Mitgründern von Indiegogo heraus, bei unseren eigenen Versuchen Geld auf altmodische Weise aufzustellen. Für mich persönlich begann die Geschichte eigentlich schon im Jahr 2002, als ich noch im Finanzsektor tätig war. Ich habe eine Gruppe von Leuten bei der Aufführung eines Stücks unterstützt. Und obwohl es sehr gut ankam - das Publikum liebte es, die Schauspieler liebten es, die Investoren liebten es - wollte niemand Geld darin investieren. Ich hab also kurz darauf meinen Finanz-Job aufgegeben, bin zurück zur Business School, um eine demokratische Fundraising-Firma zu gründen. Dort habe ich dann auch meine Mitbegründer kennengelernt. Meine ursprüngliche Idee war eigentlich eine Offline-Idee, die beiden hatten ähnliche Bestrebungen und Erfahrung mit Technologie und so konnten wir unsere Ideen zusammenführen.

Wie erklären Sie sich, dass Kickstarter heute eigentlich um einiges populärer und bekannter ist, obwohl Indiegogo schon vorher da war?
Also, wir sind wirklich ganz anders als Kickstarter, wir konzentrieren uns darauf, komplett offen zu sein. Wir sind global vertreten, jeder Mensch auf der Welt kann unsere Plattform nutzen. Und wir sind leistungsorientiert. Das bedeutet: Alle Kampagnen, die auf unserer Homepage auftauchen, wo sie auftauchen, usw. basieren auf einem Algorithmus, der die Aktivität der Kampagne und die Interaktion der Community mit der Kampagne misst und berücksichtigt - wir nennen das den Gogo-Faktor. Wir glauben ganz fest an die Demokratisierung von Fundraising. Dazu braucht man eine skalierbare Infrastruktur, die auf der ganzen Welt funktioniert. Es geht uns nicht um den großen Fang oder die aufsehenerregendste Kampagne. Uns geht es in erster Linie darum, der ganzen Welt zu nützlich zu sein.

Sieht sich Indiegogo also gar nicht als direkte Konkurrenz zu Kickstarter?
Ihr Modell ist komplett anders, es gibt auch andere Mitbewerber und wir mögen den Wettbewerb. Aber wie gesagt, wir sind ganz offen, Kickstarter ist eher ein geschlossenes System. Wir sind weltweit aktiv, sie nicht. Außerdem ist es nicht ganz nachvollziehbar, wie sie ihre Kampagnen auswählen.

Indiegogo hat auch einen starken Fokus auf Social Media. Kann man die Plattform umfassend nutzen, auch wenn man sich in keinem der populären Kanäle von Facebook bis Twitter bewegt?
Natürlich, man kann Indiegogo komplett offen nutzen, ohne irgendwo Mitglied zu sein. Was wir allerdings fokussieren, ist das Bewerben von Kampagnen durch Social-Media-Kanäle. Das kann aber auch stattfinden, wenn man selbst nicht auf Twitter oder Facebook ist. Findet jemand Geldgeber und kann sie für sein Projekt begeistern, dann können auch diese für die Kampagne in sozialen Netzwerken die Werbetrommel rühren. Das ist ja auch, warum Crowdfunding so cool ist: Man kann seine Ideen pflanzen, sie jenen Leuten näher bringen, die einem nahe stehen, und die können sie dann unterstützen und das Publikum dafür vergrößern.

Indiegogo hat in diesem Jahr auch für das Projekt "Gründer Garage" (Bericht dazu hier) mit Google zusammengearbeitet. Können Sie ein bisschen Einblick in diese Zusammenarbeit mit dem Internetkonzern geben?
Das war sehr aufregend, denn es war das erste Mal, dass so etwas im deutschsprachigen Raum stattgefunden hat und dass Crowdfunding Teil eines Entrepreneur-Contest war. Es war auch der erste Wettbewerb dieser Art, der ein Lehrprogramm beinhaltete. Und es gab erstmals bei einem solchen Wettbewerb keine Jury und keine Abstimmungen, sondern die Gewinner wurden rein über unseren "Gogo-Faktor" ermittelt. Auf der anderen Seite war das für uns selbst auch deshalb spannend, weil unsere Webseite erstmals auf Deutsch und nicht wie sonst auf Englisch verfügbar war und wir erstmals auch Euro als Währung anbieten konnten.

Wer hatte denn die Idee zu dieser Partnerschaft, ist Google auf Indiegogo zugekommen oder umgekehrt?
So ganz genau weiß ich das eigentlich gar nicht mehr. Wir waren jedenfalls schon sehr lange Zeit zuvor in Gesprächen mit Google, wir wollten mit ihnen zusammen, sie wollten mit uns zusammenarbeiten. Wir beide unterstützen Unternehmertum auf der ganzen Welt. Google versucht Information zu demokratisieren, wir versuchen Crowdfunding zu demokratisieren. Es ist also eine sehr natürliche Zusammenarbeit.

Wird es nach der Gründer Garage weitere Kooperationen mit Google geben?
Wir schauen uns natürlich immer alle Möglichkeiten an. Ich denke jedenfalls, die Gründer Garage war ein sehr großer Erfolg, alle Beteiligten waren ziemlich glücklich damit. Die Entrepreneure haben sehr lehrreiche Erfahrungen gesammelt und sich sehr positiv engagiert. Die Stiftung Entrepreneurship (Partner des Projekts Anm.) hat gute Erfahrungen gesammelt, weil sie Pionierarbeit dabei geleistet haben, Crowdfunding in einen Start-up-Contest einzubinden. Für Google war es gut, weil sie mit Jungunternehmen zusammengekommen sind und deren Projekte unterstützen konnten.

Indiegogo geht es ja offenbar nicht darum, mit möglichst großen Kampagnen für Aufsehen zu sorgen. Können Sie trotzdem ein paar besonders erfolgreiche oder außergewöhnliche Projekte nennen, die über die Plattform finanziert wurden?
Zunächst einmal muss man sagen, dass bei uns jeder - egal aus welchem Bereich - ein Projekt starten kann. Bei uns geht es nicht nur um Gadgets oder Filme oder Charity-Projekte, wir stehen jedem offen. Wir hatten da zum Beispiel diesen Erfinder, der die Idee zu einer Plastik-Pistole hatte, die mit Salz gefüllt wird und mit der man Ungeziefer vernichten kann. Er konnte für sein Projekt fast 600.000 Dollar sammeln. Ein weiteres sehr bekanntes Beispiel ist das Tesla-Museums-Projekt, das von dem Comiczeichner Matthew Inman gestartet wurde, dem Erfinder von The Oatmeal. Er hat über 1,3 Millionen Dollar gesammelt. Dann hatten wir diesen Typen, der Web-Serien auf YouTube gemacht hat, und daraus einen Film machen wollte. Er hat fast 400.000 Dollar für den Film "Angry Video Game Nerd: The Movie" zusammenbekommen.

Glauben Sie, dass das Konzept des Crowdfunding auf alle Bereiche anwendbar ist und überall erfolgreich sein kann?
Es wäre naiv von mir zu sagen, dass es für irgendetwas nicht brauchbar wäre. Immerhin taucht jeder Tag eine neue Kampagne bei uns auf und oft denke ich: Was, wirklich? Und jedes Mal gelingt es, das Geld aufzutreiben. Wir hatten zum Beispiel tatsächlich ein Baby, das über Crowdfunding finanziert wurde. Die Eltern hatten nicht genug Geld für eine In-vitro-Fertilisation und haben deshalb eine Kampagne auf Indiegogo gestartet. Vor ein paar Monaten wurde das Baby geboren. Worauf es ankommt, ist, dass man einen wirklich guten Pitch hat, dass man sich für sein Projekt einsetzt und dass man sich das nötige Publikum dafür schafft.

Wann war der Moment, an dem Sie zum ersten Mal das Gefühl hatten, ja, dieses Konzept des Crowdfunding funktioniert? Die Leute wollen das wirklich machen.
Es gab viele kleine Momente, ich könnte gar nicht sagen, ob es den einen großen Moment gab. Es hat sich immer an einzelnen Kampagnen gezeigt, die wie aus dem Nichts aufgetaucht sind und einfach total abgehoben sind. Das konnte sich entweder darauf beziehen, wie viel Geld sie gesammelt haben, oder aber auch wie viel Zuspruch sie generell erfahren haben. Für uns war jedes Projekt ein weiterer kleiner Beweis dafür, dass das wirklich funktioniert. Bevor es Plattformen wie Indiegogo gab, sind so viele großartige Ideen einfach nicht realisiert worden. Nicht weil sie nicht außergewöhnlich und toll und innovativ waren, sondern einfach, weil das Geld fehlte.

Wenn Sie in die Zukunft schauen, kann Crowdfunding auch für sogenannte alte Industrien, sagen wir zum Beispiel die Musikindustrie, hilfreich sein und neue Türen öffnen?
Auf jeden Fall. Wir haben sehr sehr viele Musik-Kampagnen laufen. Der bekannte Musiker und Produzent George Clinton zum Beispiel, der in den Siebzigern mit seiner verrückten funky Musik berühmt wurde, hat Geld über unsere Plattform gesammelt, um sein Plattenstudio zu retten. Ich denke, dass Crowdfunding die Art und Weise, wie Marken funktionieren, verändert. Dass es sich ändert, wie große Unternehmen ihre Auswahl treffen und dass eine direkte Verbindung zum Publikum hergestellt wird. Wir beobachten starkes Interesse bei großen Konzernen und großen Ausschreibungen, alle wollen wissen, wie sie das Crowdfunding-Modell auch für sich nutzen und wie sie darüber stärker mit den Konsumenten in Kontakt treten können.

Mit welcher Kampagne könnte man auf Indiegogo kein Geld sammeln, gibt es Beschränkungen, was erlaubt ist?
Was wir natürlich nicht erlauben, sind Dinge wie Schusswaffen. Aber auch alles, was sich im Bereich von Hassbotschaften, Rassismus abspielt, generell Dinge, die illegal sind, werden bei uns selbstverständlich auch nicht akzeptiert. Wir haben auch ein automatisiertes System in Hintergrund laufen, das solche Inhalte innerhalb kürzester Zeit aufspürt und entfernt. Abgesehen davon aber, kann man Geld für alles sammeln, worauf man Lust hat.

Gibt es so etwas wie einen typischen "Funder" auf Indiegogo, welche Leute sind das, die hier Geld für Projekte ausgeben?
Es gibt aus unserer Sicht fünf Gründe, warum Leute überhaupt andere finanziell unterstützen: Leidenschaft, Vergütungen, Teilnahme, Stolz und letztlich auch Profit. Letzteres ist in den USA zurzeit noch illegal, aber hier ändert sich auch einiges, es gibt Entwicklungen in die Richtung, dass hier andere Rahmen geschaffen werden.

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Claudia Zettel

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futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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