© Gerald Reischl

Reportage

Yoga, französisches Catering und Leiterplatten

Das Werk im Shanghaier Industriepark Xin Zhuang könnte genauso gut in Österreich stehen. Fast nichts unterscheidet es von einem österreichischen. Man erkennt den Unterschied daran, dass die Arbeiter mehrheitlich Chinesen sind, nur etwa zwei dutzend der 4800 Mitarbeiter sind „Gastarbeiter" aus dem Westen – die meisten von ihnen aus Österreich. Das Durchschnittsalter im AT&S-Werk in Shanghai liegt bei 27 Jahren, der Frauenanteil beträgt 40 Prozent. Fließbänder gibt es hier nicht, Kinderarbeit ebenfalls nicht und Luft, Areal und das Werk selbst sind so sauber, dass dies bereits den chinesischen Behörden vor Jahren aufgefallen ist. Alle sechs Minuten wird die Luft in den Produktionshallen komplett umgewälzt.

Benchmark in China
Das Werk ist das Musterbeispiel einer Industrieanlage, wie sie sein soll, eine „Benchmark" für andere. Das hat der chinesische Leiterplatten-Hersteller-Verband CPCA (Chinese Printed Circuit Association) festgestellt. Am AT&S-Werk werden andere gemessen. „Wir haben vor Jahren schon in den Managementrichtlinien festgelegt, dass alle Mitarbeiter an allen Standorten weltweit hinsichtlich Geschlecht, Religion und Hautfarbe gleich behandelt werden müssen und dass es keine Abstriche in den Bereichen Umweltschutz und Gesundheit bzw. Sicherheit am Arbeitsplatz geben darf", sagt der Chief Operating Officer, Peter Griehsnig. Und genau das macht AT&S zur Benchmark.

Ein Hauch von Google
Es ist fast ein Hauch von Google – reduziert auf chinesischen Standard – zu spüren. So wie der US-Konzern weiß auch AT&S in Shanghai, dass das Kapital des Unternehmens die Mitarbeiter sind. Denn auch wenn es immer wieder heißt, dass es in China genug Mitarbeiter gibt, die Fluktuationsrate ist mit 30 Prozent so niedrig wie in keinem anderen Werk in China. „Auch wenn hier fast 5000 Menschen beschäftigt sind, hier ist es wie in einer großen Familie", sagt Tina Ma, selbst dreifache Mutter und mit elf Jahren „Dienstzeit" eine Mitarbeiterin der ersten Stunde. „Nr 60009" steht auf ihrer ID-Card. Sie war praktisch die neunte AT&S-Mitarbeiterin in Shanghai. Einer der Gründe, warum sie voll hinter dem Unternehmen und dem Management steht, ist das, was man als Corporate Social Responsibility (CSR), also  Unternehmerische Sozialverantwortung bezeichnet. „Ich habe früher in einer Bleistift-Fabrik gearbeitet", erzählt Tina Ma. „Wenn ich mir überlege, wie viele Bäume gefällt worden sind." Die Umwelt liegt er am Herzen, vor allem auch ihrer Kinder wegen. Apropos Gesundheit: Anders als bei den Konkurrenten bietet AT&S regelmäßig kostenlose Vorsorgeuntersuchungen an.

„Wir stehen voll und ganz hinter den Entscheidungen des Managements", ergänzt Hunter Ma. Er ist vor drei Jahren erst von einem anderen Leiterplatten-Hersteller zu AT&S gekommen. „Die Arbeitsbedingungen sind kein Vergleich", sagt er. Über die „Zustände" bei seinem anderen Arbeitgeber will er gar nicht reden, „das hier ist eine völlig andere Welt, hier lebt man eine ganz andere Firmenkultur".

Mitarbeiter sind das Kapital
Tina Ma und Hunter Ma schwärmen auch vom Mitarbeiterclub. Für Geburtstagsgeschenke, Ausflüge erhält jeder 1000 RMB pro Jahr, und es gibt ein firmeneigenes Basketball-Team, eine Yoga-Gruppe. Der Yoga-Raum im „Social Building" wird derzeit zwar auch als Schulungsraum genutzt, aber kann rasch wieder umgewandelt werden. Praktisch gleich daneben gibt es eine Bibliothek. Fast „typisch österreichisch" ist das Bonus-Programm – Bewährte Mitarbeiter erhalten ein Geschenk. Statt der „goldenen Uhr" eine echt goldene Münze mit dem AT&S-Logo drauf. Tina Ma hat diese goldene Auszeichnung bereits erhalten, so wie Min Shen, der schon 10 Jahre bei AT&S ist. Ein Wechsel zu einem anderen Unternehmen kommt nicht in Frage. In den regelmäßig durchgeführten Mitarbeiterumfragen sind die Zufriedenheitsraten exorbitant hoch.

Französisches Catering
Zur Mitarbeiter-Kultur gehört die Verköstigung, und die ist bei AT&S in Shanghai inkludiert. In der großen Kantine im „Social Building" wird zwischen 11 und 13 Uhr das Mittagessen gereicht – in vier Gruppen kommen die jeweils etwa 1600 Mitarbeiter pro Schicht im 30-Minuten-Takt gestaffelt zum Essen. Die Angestellten können zwischen drei Menüs auswählen - einem westlichen und zwei asiatischen. Diese werden von Sodexho, dem französischen Cateringunternehmen zubereitet. Sollte im Menüangebot nichts dabei sein, gibt es gleich neben der Kantine einen Mini-Supermarkt, in dem es vor allem Knabbergebäck, Kekse – etwa die schwarzen Oreos - und frisch zubereiteten Illy-Espresso zu kaufen gibt. Zum Einkaufspreis. Frequentiert wird der Minimart vor allem von den westlichen Angestellten, denen die Menüauswahl mitunter – auch wenn westlich drauf steht – zu chinesisch ist.

Keine Dormitorien
AT&S-Mitarbeiter schlafen daheim, denn Schlafstätten, so genannte Dormitories, wie sie Foxconn auf den Firmenarealen errichtet hat, gibt es bei AT&S nicht. „Die meisten unserer Mitarbeiter kommen aus bzw aus dem Umfeld von Shanghai, wir brauchen solche Schlafstätten gar nicht", sagt Griehsnig. „Wir unterstützen unsere Mitarbeiter mit Wohnungszuschüssen, denn wir wollen, dass sie ein ganz normales Leben führen, mit ihren Familien." Zudem liegt die Entlohnung deutlich über dem Mindesttarif. Ins Werk werden die Arbeiter mit einem der 23 Shuttle-Busse gebracht, die die 18 Bezirke in und um Shanghai anfahren. Die Firmenshuttles sind kostenlos.

Vorzeigeunternehmen
30 Millionen Euro wurden in Umweltschutzmaßnahmen investiert, ein Team aus 100 Ingenieuren überwacht die Umwelttechnik-Anlagen. Wasser, das in der Produktion verwendet wird, wird danach gereinigt, wiederaufbereitet und wieder ins öffentliche Netz gespeist. „Das Wasser ist", so erzählt ein Mitarbeiter, „danach reiner als vorher". Überhaupt brauche man um 30 Prozent weniger Wasser als der vorgeschriebene Standard. Mehr als 40 Projekte für Energiesparmaßnahmen wurden seit 2005 in China eingereicht und eingerichtet. Wodurch nicht nur 1,5 Millionen Kilowattstunden Strom, sondern auch fast eine Million Kubikmeter Gas eingespart worden sind.

Die Umwelt-Projekte der AT&S sind in den „Umweltschutzleitfaden für Chinas Leiterplattenindustrie" aufgenommen worden. „Wir sind als AT&S Gruppe sehr stolz darauf, dass wir schon sehr früh erkannt haben, dass der effiziente Umgang mit Ressourcen und das Wohl der Arbeiter entscheidend für den zukünftigen Erfolg der Gruppe sein wird", sagt AT&S-CEO Andreas Gerstenmayer. „Shanghai ist da nur ein Beispiel, dass Investitionen in Umwelt und Mitarbeiter mit wirtschaftlichem Erfolg nicht in Widerspruch stehen müssen."

Präsidentenbesuche
Die Aufmerksamkeit erlangte AT&S 2001, als zur Grundsteinlegung des Werks in Shanghai der damalige Bundespräsident Thomas Klestil höchstpersönlich anreiste. „Davon war und ist man hier in China sehr beeindruckt, denn es kommt ganz selten vor, dass ein Präsident zu einer Werkseröffnung oder Grundsteinlegung kommt", sagt Peter Griehsnig. Neun Jahre später schaute auch – den Kontakten von AT&S-Aufsichtsratsvorsitzenden Hannes Androsch sei Dank – Heinz Fischer vorbei.

700 Millionen Dollar hat AT&S mittlerweile in den Standort Shanghai investiert und stellt hier HDI-Leiterplatten her, die technologisch komplexesten am Markt, die vor allem in Smartphones, Notebooks, mobilen Geräten und auch in der Medizintechnik eingesetzt werden. Auf dem Areal in Shanghai stehen vier Werke, die von 2003 bis 2011 in vier Bauabschnitten errichtet wurden.

Unter ständiger Kontrolle
Regelmäßig lassen AT&S-Kunden Audits durchführen, lassen checken, ob die verschiedenen Auflagen wirklich eingehalten werden. Zu den Kunden zählen Motorola – das US-Unternehmen lies während des futurezone-Besuchs ein Audit durchführen – genauso wie RiM, Sony, Toshiba, Flextronics oder Continental. Beanstandet wird nur ganz selten etwas und wenn, so schwört die Personalchefin Lizza Zhang, nur Kleinigkeiten. Wenn der eine oder andere Mitarbeiter vergisst, die Schutzbrille aufzusetzen oder Handschuhe anzuziehen. Im Werk wird übrigens 360 Tage im Jahr gearbeitet, rund um die Uhr. Nur zum Chinesischen Neujahr stehen die Maschinen still, dann wird mit einer Gruppe von etwa hundert Mitarbeitern – sie bekommen einen Bonus – notwendige Service-Arbeiten durchgeführt.

HDI: Die AT&S-Spezialität sind so genannte HDI PCBs, was für „High Density Interconnect Printed Circuit Board" steht, die dafür verwendet werden, elektronische Komponenten elektrisch zu verbinden. Eine HDI-Leiterplatte besteht aus vielen Schichten, die untereinander mit leitenden Kupferschichten verbunden sind. Die Schichten werden wo notwendig angebohrt und mit Kupfer gefüllt, damit sie leitend werden. In den vier Werken in Shanghai kann man die einzelnen Arbeitsschritte, wie die komplexen Leiterplatten produziert werden, beobachten. Unter anderem auch, wie Laser- oder 0,2 Millimeter dicke Minibohrer, pro Stunde mehr als 400 Millionen Löcher in die Platten bohren.

 

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