„Man braucht in Europa mehr Demokratie bei der Schaffung und Beteiligung am neuen Reichtum“, sagt Stanford-Professor Burton Lee.
„Man braucht in Europa mehr Demokratie bei der Schaffung und Beteiligung am neuen Reichtum“, sagt Stanford-Professor Burton Lee.
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Burton Lee: Europa hat ein Software-Problem

Burton Lee: Europa hat ein Software-Problem

futurezone: Das Silicon Valley gilt als Zentrum der Innovation, die meisten Produkte, Services, Portale etc. werden im Valley, in dem sich die Hauptniederlassungen von Google, Facebook, Tesla etc. befinden, erfunden. Europa spielt derzeit eine untergeordnete Rolle. Warum ist das so und können wir den Rückstand aufholen?Burton Lee: In Europa gibt es viel aufzuholen, entweder weil Grundsätzliches gar nicht oder zu wenig beachtet wird. So ist etwa Venture Capital ein großes Thema, aber darüber wird ohnehin schon diskutiert. Ich konzentriere mich lieber auf die Themen, auf die in Europa völlig vernachlässigt werden.

Und die sind? Europa nimmt das Thema Software als strategisches Instrument nicht ernst genug, weder im akademischen Bereich, noch bei Unternehmen und schon gar nicht auf Regierungsebene. Ich will damit nicht behaupten, dass Österreicher nicht programmieren können (Österreichische Softwareingenieure sind sehr gut), sondern, dass im Allgemeinen bei Geschaftsführern und Politikern völlig vergessen wird, wie strategisch wichtig Software ist, um auf Betriebs- und Nationalebene wettbewerbsfähig zu sein. Finnland und Großbritannien verstehen das, EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes kapiert es auch.

Steve Jobs hat gesagt, "Software is supreme", Software muss höchste Priorität haben. Genau, die meisten europäischen Regierungen und Firmen sehen die Bedeutung von Software nicht, welche Vorteile ein Unternehmen und die Wirtschaft eines Staates hat, wenn es auf starke Consumer- und Enterprise- Softwareinnovation setzt. Die Wirtschaft Europas bleibt heutzutage hauptsächlich eine "Hardware Economy", die auf der Hardware-orientierten Wachstums-, Steuer- und Industriepolitik vom 19. und frühen 20. Jahrhundert beruht.

Was soll Österreich tun? Viele österreichische Firmen haben keinen CIO, also „Chief Information Officer“. Die Geschaftsführungen von manchen Unternehmen glauben, dass ein IT-Manager ausreicht, der die IT administriert. Aber IT muss in der Führungsebene angesiedelt sein und mit der Geschäftsführung an einem Tisch sitzen.

Welches Unternehmen sollte einen CIO haben bzw. ab welcher Größe braucht ein Unternehmen einen CIO? Da gibt es keine Musterlösung, das hängt von der Industrie ab, aber IT-Strategie sollte von Anfang an in der Führungsetage der meisten Unternehmen fix verankert sein. Bei größeren Firmen sollte neben dem CIO gleichzeitig auch ein Enterprise-Architekt tätig sein, eine Person, die für die gesamte Software- Architektur und für die Integration von Enterprise-Software im Unternehmen verantwortlich ist. Und übrigens geht es nicht nur um Unternehmen im IT-Sektor, sondern um jedes Unternehmen, weil ja jedes mit Software und IT zu tun hat. Auch Regierungen und Universitäten brauchen CIOs.

Der CIO ist also der zweitwichtigste Manager neben dem CEO? Das hängt auch vom Sektor ab, aber der CIO sollte neben dem CEO (Chief executive officer), CFO (Chief financial officer) , CTO (Chief technology officer) und CMO (Chief marketing officer) auf dem Entscheidungstisch sitzen. Entscheidungen werden dann schneller und besser gefällt und das Unternehmen hat die Kostenstruktur ebenfalls besser im Griff.

Aber dass Software als zu wenig wichtig angesehen wird, ist ja nicht nur ein österreichisches, sondern auch ein europäisches Problem? Ja, es ist ein europäisches Problem, obwohl es einige Länder gibt, die es besser verstehen, wie etwa Großbritannien oder Deutschland, wo es eine große CIO-Community gibt, Spanien, Frankreich, Italien wiederum sind da ein wenig schwächer.

Warum ist Software so wichtig? Europa ist ein sehr Hardware-getriebener Kontinent. Die starke europäische Maschinenbautradition und Mentalität stehen für das Bauen, das Machen und Handarbeit sowie das Produzieren von Geräten. Virtuelles bzw. Digitales wie Software zu entwickeln, ist historisch keine europäische Domäne. Und da Österreich keine Tradition darin hat, hat es auch ein verhaltnismäßig niedriges soziales Ansehen.

Will Europa auch künftig mit dem Bau von Hardware, also von Autos etwa, erfolgreich sein, muss also unsere Software-Kompetenz steigen? Ja, ganz bestimmt. Das wird besonders mit dem Internet-of-Things, das derzeit ja gerade im Entstehen ist, wichtig werden. Wir kommen in eine neue Ära, in der die Integration von Hard- und Software auf ein neues Level kommt.

Sie haben vorhin die Universitäten angesprochen, mit der TU Wien, der Montanistik in Leoben, FH Hagenberg, dem FH Technikum Wien etc. haben wir sehr gute Universitäten im technologischen Bereich. Was sollte dort anders gemacht werden? Viele Professoren glauben, dass sich Universitäten nur auf Wissenschaft konzentrieren sollten, viele wehren sich sehr stark dagegen, dass die Unis auch eine wirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen haben. Universitäten müssen noch intensiver mit Industrien zusammenarbeiten, müssen neue Erfindungen und Technologien kommerzialisieren, und müssen die Zahl von Firmen stärken - Spinouts, die aus der Uni entstehen. Denn damit wird der gesamte einheimische Markt und das österreichische Innovations-Ecosystem befruchtet.

Das ist im Silicon Valley mit den Universitäten Stanford und Berkeley auf der einen und den großen Konzernen wie Google oder Facebook auf der anderen Seite leichter zu realisieren, dort besteht ja schon der Markt. Die amerikanischen Consumer und Unternehmen sind Early Adopter, die Europäer Late Adopter, also Spätanwender. Man braucht einen lokalen Markt, wo neue Entwicklungen von Benutzern schnell und weitgehend getestet werden, und da es diesen in Europa im Allgemeinem nicht gibt, werden Innovationen hier nicht früh angenommen. Da neue Produkte und Dienstleistungen eines kleinen europäischen Start-ups in Europa kaum getestet werden und es kein Kunden-Feedback darauf gibt, wandern Innovationen und innovative Start-ups ab, von Europa in die USA.

Weil Sie Start-ups ansprechen – die werden in den USA ja auch besser behandelt. Weil Start-ups für die Schaffung des neuen Reichtums, für eine gesunde, diversifizierte und widerstandsfähige Wirtschaft heutzutage hauptsächlich verantwortlich sind. Den kulturellen Unterschied Europa/USA sieht man etwa bei den Stock-Options, beim Aktienbezugsrecht. In Europa werden Stock-Options nur an die führenden Manager etablierter Firmen vergeben, in den USA werden Stock-Options dazu genutzt, nicht nur die Gründer eines Start-ups, sondern auch alle Mitarbeiter zu motivieren und zu belohnen. Als Twitter im November 2013 an die Börse ging, gab es mit einem Schlag 1.600 neue Millionäre im Silicon Valley. Und diese jungen Ingenieure häufen nicht Geld an, sondern gründen neue Start-ups oder beteiligen sich bei neuen Technologie-Unternehmen.

Europa und Österreich schaffen definitiv zu wenige Start-up-Millionäre. Weil es keine gesunden umfassenden Stock-Options-Richtlinien oder -politik für Start-ups gibt. Abgesehen davon, dass es in Österreich die befremdende Situation gibt, dass Stock-Options jährlich versteuert werden müssen, was einer Steuerstrafe gleichkommt, sind Stock-Options in Europa insgesamt nicht sehr verbreitet.

Wer eine Stock-Option hat, ist motivierter, zumindest weiß man das aus US-Beispielen. Er ist motivierter und hat mehr Interesse am Unternehmenserfolg und -Wachstum und an dem, was es entwickelt. Man ist mit dem Unternehmen mehr verbunden. Ohne Stock-Option bekommt man nur ein Gehalt, und das bindet Mitarbeiter nicht eng an eine Firma oder an neue Produkte. Die europäische Sichtweise ist auch, dass man Mitarbeitern zwar Stock-Options gibt, ihnen dafür aber weniger zahlt, was auch abstrus ist. In Europa werden nur die ursprünglichen Gründer und Investoren und Co-Finanziers reicher und reicher, und nicht die Mitarbeiter. Das ist der falsche Ansatz - man braucht mehr Demokratie bei der Schaffung und bei der Beteiligung des neuen Reichtums.

Dr. Burton H. Lee, PhD MBA, gilt als einer der Innovationsexperten im Silicon Valley. Er ist Managing Director von Innovarium Ventures, mit dem er Unternehmen, Regierungen, Universitäten, Start-ups, Angel Investors in Europa, in den USA und Lateinamerika berät. Lee ist Dozent für European Entrepreneurship and Innovation an der Stanford School of Engineering. 1975 hat Burton Lee in Wien gelebt und während seines Studiums ein Praktikum beim Eich- und Vermessungsamt absolviert. Lee war Anfang Februar in Wien und sprach im Rahmen des Bank Austria „Neujahrsgesprächs“ über Innovation und die Krise Europas.

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