© Technisches Museum Wien

Technisches Museum Wien

Datenbank für arisierte Fahrzeuge präsentiert

Was geschah mit dem Auto von Sigmund Freud? 1938 besaß der prominente Psychoanalytiker einen Steyr 50 - eines der modernsten Fahrzeuge dieser Jahre. Wenig später wurde es von der Gestapo beschlagnahmt und vermutlich als Dienstwagen eingesetzt. Der endgültige Verbleib ist allerdings unklar. Diese und andere Geschichten von enteigneten und arisierten Fahrzeugen können nun einfach mittels Mausklick nachverfolgt werden. Heute, Donnerstag, präsentierte das Technische Museum Wien zwei Datenbanken, die den österreichischen KFZ-Bestand vor 1938 sowie jüdische Fahrzeugbesitzer und Entzugsvorgänge greifbar macht.

KFZ-Projekt in zwei Teilen
"Wenn man über Provenienzforschung spricht, denkt man an die Goldene Adele und eher selten an Fahrräder, Durchlauferhitzer oder Autos", meinte Gabriele Zuna-Kratky, Direktorin des Technischen Museums Wien bei der Präsentation. "Wir beschäftigen uns aber genau mit diesen Objekten." Das KFZ-Projekt gliedert sich in zwei Teile. Eine Datenbank versucht den Gesamtbestand der österreichischen Kraftfahrzeuge vor 1938 zu erfassen, die zweite konzentriert sich auf jüdische Besitzer und Entzugsvorgänge. Für die allgemeine Datenbank wurden vor allem Zulassungsregister und Autoverzeichnisse ausgewertet. Fahrzeugbesitzer, ihre Adresse, das Kennzeichen sowie die Autotype können hier abgerufen werden, ergänzt wird der Datensatz mit Symbolfotos der Autos oder Motorräder.

Im Jahr 1937 hat es laut Projektleiter Christian Klösch in Österreich insgesamt 33.625 Pkw und 15.365 Lkw gegeben. Derzeit beträgt der österreichweite Abdeckungsgrad der in der Datenbank erfassten Fahrzeuge bei Pkw 75 Prozent, bei Motorrädern sind es 45 Prozent. Als problematisch hätten sich vor allem fehlende Register oder Datensätze in Frakturschrift erwiesen, die eine automatische Digitalisierung erschweren, erklärte Projektmitarbeiterin Verena Pawlowsky. "Zum Vergleich: Heute werden alle Zulassungsdaten elektronisch erfasst und nach elf Jahren automatisch gelöscht. Ein Projekt wie dieses wäre also in 50 Jahren kaum möglich", so Pawlowsky.

"Größter Autoraub in der Geschichte"
Auch wenn die Datenbank erst im Laufe der Zeit durch Originalfotos und Dokumente zur Online-Ausstellung werden wird, gibt es doch ein wenig im Technischen Museum Wien zu sehen. Etwa den Fiat 522 der Familie Glückselig. Am 16. März 1938 wurde das Fahrzeug von der SA beschlagnahmt, 1939 an die Österreichischen Bundesgärten weiterverkauft. 1950 übergaben diese den Fiat an das Technische Museum, das sich mithilfe der Unterlagen auf die Suche nach den ursprünglichen Besitzern machte. Die Familie Glückselig war nach Argentinien geflohen, die Nachkommen konnten ausgeforscht werden - nach einem Besuch in Wien einigte man sich auf einen Ankauf des Objekts durch das Museum. Der Fiat 522 befindet sich heute in der Schausammlung, wie Klösch schilderte.

Etwa die Hälfte der 1937 in Österreich zugelassenen Fahrzeuge war in Wien angemeldet, die höchste Autodichte gab es in der Inneren Stadt. "Ein Fünftel der Wiener Pkw waren in jüdischem Besitz", sagte Klösch. "Wir gehen von mindestens 3.000 Arisierungen aus - das ist der größte Autoraub in der Geschichte Österreichs." Mit diesen Vorgängen beschäftigt sich die zweite Datenbank - die Quellen sind etwa Gestapo-Verzeichnisse oder Vermögensanmeldungen, zu denen Juden noch im April 1938 verpflichtet wurden. Hier sind nicht nur Besitzer, Adresse und Type erfasst, sondern auch Fahrgestellnummer und Motornummer.

Aufruf zum Einschicken persönlicher Fotos
"Das bedeutet sowohl einen Mehrwert für private Nutzer und ihre Familiengeschichte, aber etwa auch für den Oldtimerhandel", so Klösch. Mithilfe der Datenbank könne in wenigen Momenten ein möglicher Restitutionsfall ausgemacht werden. In Zukunft soll die Datenbank auch mehr zur Online-Ausstellung werden. Daher hat das Museum einen Aufruf gestartet, persönliche Fotos und Dokumente einzureichen. "Wir wollen Mobilitätsgeschichten erzählen", erklärte der Projektleiter. Auch eine Erweiterung auf andere Gebiete des Deutschen Reichs ist geplant.

Die Datenbank wurde im Zuge eines vom Wissenschaftsministerium finanzierten "forMuse"-Projekts durchgeführt, Partner sind die Israelitische Kultusgemeinde und das Deutsche Museum München. "Hier zeigt sich sehr gut, dass die ganze Lebenswelt der Menschen betroffen war, nicht nur einzelne Kunstwerke", so Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (V). Auch Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie für Bildende Künste und Mitglied der österreichischen Kommission für Provenienzforschung, betonte: "Für uns sind alle Objekte - unabhängig von ihrem materiellen Wert - gleich bedeutend, sei es nun ein Auto, Bücher oder auch eine Knopfsammlung."

Derzeit analysiert das Technische Museum Wien seinen Gesamtbestand: Mit dem Jahr 2012 wurde die Untersuchung der Leihgaben von der Gründung des Museums bis ins Jahr 1933 abgeschlossen. "Insgesamt wurden hier 22.442 Erwerbungen von Leihgaben untersucht", so Zuna-Kratky. "Das ist aber nur ein Etappenziel."

Mehr zum Thema

  • Spannendes Finale beim Leonardino-Contest
  • Botball: Schüler-Wettkampf mit Marsrobotern
  • Technisches Museum bringt Roboter-App

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Kommentare