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Flash Crash: Wenn Roboter mit Billionen jonglieren

Vor dem Richter erschien er in Jogginghose, statt der branchenüblichen Glastempel diente ein schnödes Reihenhaus als Firmensitz. Doch an den Finanzmärkten soll Navinder Singh Sarao eine große Nummer gewesen sein. Wenn stimmt, was US-Ermittler dem 36-Jährigen vorwerfen, dann hat er mit Tricksereien durch ein manipuliertes Computerprogramm Millionen ergaunert und einen historischen Kurssturz am Aktienmarkt ausgelöst. Tatsächlich zeigt die Geschichte aber vor allem die Abgründe einer High-Tech-Finanzwelt auf, in der sich der Roboter-Handel immer stärker ausbreitet.

Eine Billion Dollar vernichtet

Viele Händler waren gerade erst aus der Mittagspause zurück, da brach Hektik an der New York Stock Exchange aus: Am 6. Mai 2010 stürzte der Leitindex Dow Jones binnen Minuten um über sechs Prozent ab. Der Vorfall ging als „Flash Crash“ in die Börsengeschichte ein. Am 21. April 2015 ließen die US-Behörden Sarao in London wegen Betrugs und Manipulation festnehmen. Er soll die Börse mit Hilfe einer eigens entwickelten Software mit Scheinaufträgen bombardiert und so den Absturz herbeigeführt haben, der kurzzeitig etwa eine Billion Dollar an Aktienkapital vernichtete.

Experten bezweifeln zwar, dass Saraos Marktmacht wirklich so groß war, wie die Ermittler es darstellen. Michael Lewis, ein ehemaliger Finanzprofi, der im letzten Jahr mit dem Bestseller „Flash Boys“ über die Folgen vollautomatisierter Turbo-Wertpapiergeschäfte für Aufsehen sorgte, bezeichnete die Verhaftung als „Parodie“ auf das, was wirklich an der Wall Street vor sich gehe. Aber auch unabhängig davon, welche Rolle Sarao nun genau spielte, macht der „Flash Crash“ die Risiken des sogenannten Hochfrequenzhandels deutlich.

Andere Algo-Trader schuld

„Sarao hat an dem Tag gar nicht wirklich Aktien verkauft“, erklärt Lewis. Er habe anderen Anlegern - und damit zahllosen computergesteuerten Investmentfonds, die per Autopilot auf Handelsimpulse reagieren - mit seinen Schwindeleien nur simuliert, auf fallende Kurse zu setzen, um später günstig Aktien kaufen zu können. Das werfe vor allem die Frage auf: „Wem konnte er etwas vormachen - wessen Algorithmen waren so einfach auszutricksen, dass sie auf gefälschte Orders ansprangen und einen Crash verursachten?“

Die Kettenreaktion macht klar, dass die im Finanzslang „Algo-Trader“ genannten Börsen-Roboter zum Kontrollverlust mit heftigen Folgen führen können. Das ist auch das Ergebnis einer Untersuchung der Firma Nanex aus Chicago, die Zugriff auf alle Marktdaten hatte. In hunderten Fällen hätten Hochfrequenzhändler mehr als 1000 dubiose Preisangebote für einzelne Aktien abgegeben - pro Sekunde. Der Bericht der US-Börsenaufsicht lässt ebenfalls keinen Zweifel - ein einzelner Akteur kann den Auslöser liefern, das eigentliche Risiko jedoch besteht aber im automatisierten Multiplikator-Effekt.

Zu schnell

Als Konsequenz aus dem „Flash Crash“ wurden an den US-Börsen sogenannte Circuit Braker eingeführt. Das sind Sicherungen, die ähnlich wie im Stromkreis größere Schäden verhindern sollen. Fällt eine Aktie binnen fünf Minuten um zehn Prozent oder mehr, wird automatisch der Handel ausgesetzt. Michael Lewis beispielsweise hält den gesamten Aktienmarkt für manipuliert von technisch bis an die Zähne hochgerüsteten Turbo-Händlern, die anderen Anlegern immer einen Schritt voraus seien.

Martin Gilbert, Chef des Vermögensverwalters Aberdeen Asset Management, macht ganz generell den Fokus auf schnelle Gewinne in der heutigen Finanzwelt für die Highspeed-Exzesse und damit auch den „Flash Crash“ verantwortlich. „1940 wurde eine Aktie im Schnitt über sieben Jahre gehalten, 2007 waren es nur noch sieben Monate.“ Der US-Starinvestor Warren Buffett habe einst gesagt: „Jemand sitzt heute im Schatten, weil ein anderer vor langer Zeit einen Baum pflanzte.“ Nur ein langfristiger Ansatz könne stabiles Wachstum liefern.

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