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Internet

future.talk: "Wann beginnt virtuelle Realität?"

Im Rahmen der Diskussion sorgte vor allem Slavoj Žižek mit seinen Ausführungen nicht nur mehrmals für Gelächter, sondern auch für nachdenkliche Gesichter. Auch wenn die drei namhaften Befürworter eines freien Internets in ihren Keynotes nur in wenigen Punkten einer Meinung waren, kamen sie doch alle darüber überein, dass das virtuelle Ich deutlich von der Realität abweicht.

Google Ideas Director Jared Cohen teilte seine vor allem seine Bedenken über den Paradigmenwechsel mit. "Früher wussten wir genau, worüber wir die Kontrolle haben. Mittlerweile ist unser Leben digital." Die digitale Bevölkerung überschreite bereits jetzt die tatsächliche Zahl der Weltbevölkerung: "Jeder hat mehrere E-Mail-Accounts, mehrere Social-Media-Accounts - mittlerweile hat sich die Gesellschaft von einigen wenigen Personen in der Öffentlichkeit zu einer gewaltigen Öffentlichkeit gewandelt, in der sich nahezu jeder befindet."

Doch der Wandel habe auch sein Gutes. Er glaube im Gegensatz zu Pariser an eine wachsende Meinungsvielfalt durch das Internet, auch trotz der Algorithmen, die aufgrund der schieren Datenflut notwendig sind. Das erfordere allerdings auch eine Anpassung an die neuen Verhältnisse: "Eltern werden sich zukünftig mit ihren Eltern früher über Datensicherheit im Internet unterhalten müssen als Aufklärungsgespräche zu führen." Er befürwortet auch, dass Eltern in Zukunft für das Handeln ihrer Kinder im Internet haftbar gemacht werden können.

So optimistisch Cohens Ansichten sind, umso pessimistischer gab sich Žižek. "Wir geben deutlich mehr über uns preis, als wir eigentlich bereit sind." Viele Personen wähnen sich laut Žižek in einem privaten Raum, obwohl sie sich tatsächlich der Allgemeinheit öffnen würden. Als Beispiele führte er relativ drastische Beispiele an. So kam es vor einigen Jahren in China zu einem Vorfall, bei dem ein Gericht einen jungen Mann verurteilte, der einer alten Frau half, die gestürzt war. Das Gericht sah die Schuld des Mannes durch seine Hilfe als erwiesen, denn "wieso sollte er sonst einer alten Frau in einer Notsituation helfen?"

Durch diesen Vorfall kam es zu einem radikalen Umdenken in China, mehr als 87 Prozent gaben an, Menschen in Notsituationen nicht mehr helfen zu wollen, wenn keine Überwachungskamera ihr Handeln filmen würde. "Wir brauchen bereits Öffentlichkeit, um uns sicher zu fühlen. Wir haben uns in eine Gesellschaft von narzisstischen Individuen verwandelt, die lediglich das Handeln anderer imitieren." Dennoch könne das Internet seiner Meinung nach sowohl diesen Effekt verstärken, als auch entgegenwirken. "Das Internet muss das `Fallen` wieder erlauben. Sei es nun auf die Nase zu fallen oder sich zu verlieben (Anm.: fall in love)."

"Das wertvollste Gut des 21ten Jahrhunderts ist Aufmerksamkeit. Es gab geradezu einen Goldrausch um dieses wertvolle Gut." Eli Pariser sieht weniger in den Algorithmen, die laut seinem Konzept der "Filter Bubble" die Sicht auf die Dinge einschränken, ein Problem als in der Ursache dessen. "Algorithmen sind wichtig. Von Anbeginn der Zeit bis zum Jahr 2003 hat die Menschheit fünf Exabyte an Daten geschaffen. Mittlerweile kommt alle zwei Tage die selbe Menge hinzu. Diese Daten müssen sinnvoll analysiert werden."

Dennoch ruft er die Unternehmen, die auf Algorithmen setzen, zur Verantwortlichkeit. "Viele treffen ihre Entscheidungen auf der selben Basis wie Gatekeeper im 20ten Jahrhundert. Doch Unternehmen wie Facebook sagen ohne Weiteres: `Wichtige` Informationen anzuzeigen ist nicht unser Job." Pariser zufolge nehmen Unternehmen wie Facebook den Like-Button zu wichtig, könnten so aber am Ende einen "endlosen Strom von Katzenvideos und Prominachrichten erzeugen." Er hofft, dass das Internet zu dem "verbindenden Medium wird, das es sein könnte."

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Jared Cohen wurde vor allem als Politaktivist und Buchautor bekannt. Während der Unruhen im Iran drängte er beispielsweise Twitter-Gründer Jack Dorsey dazu, Wartungsarbeiten zu verschieben, um der iranischen Bevölkerung weiterhin das Versenden von Tweets zu ermöglichen. Im Alter von 24 Jahren wurde Cohen zum jüngsten Mitglied aller Zeiten des Beraterstabes des US-Außenministeriums. 2011 wurde er zum Leiter des Google-Thinktanks Ideas berufen.

Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek gilt als eine der kontroversesten Figuren der zeitgenössischen Philosophie und Psychoanalyse. Bekannt wurde er durch seine Übertragung des Denkens Jacques Lacans und des Marxismus in die Populärkultur und die Gesellschaftskritik zum Beispiel anhand des Begriffes "Common Sense". Žižek wurde von Medien wie The Chronicle als der „Elvis of cultural theory" bezeichnet. Das Magazin In These Times nannte ihn sogar „einen akademischen Rockstar".

Eli Pariser

(zum futurezone-Interview)
wurde vor allem durch sein Filter Bubble-Konzept. Darin beschreibt er, wie personalisierte Online-Dienste die Meinungsvielfalt einschränken und durch das Weglassen von Informationen das Weltbild der Nutzer schmälern können. Pariser ist Gründungsmitglied und Board President von MoveOn.org, einer politischen Interessensgruppe. Er ist außerdem der Mitbegründer von Avaaz.org, einer politischen Plattform mit mehr als 16 Millionen Mitgliedern.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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