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Massive Kritik an "Tatort Internet"

Vergangene Woche wurde die zweite Folge des umstrittenen RTL2 Formats "Tatort Internet" ausgestrahlt und wieder wurde ein vermeintlich pädophiler Mann von den TV-Produzenten ausgeforscht und mit den Anschuldigungen konfrontiert. Kurz nach Ausstrahlung kursierten auf verschiedenen Plattformen wie Twitter oder auch in diversen Foren Hinweise auf die wahre Identität des Beschuldigten, trotz verpixeltem Gesicht und verzerrter Stimme. Es stellte sich heraus, dass es sich um den Leiter eines Caritas Kinderdorfs im Würzburger Stadtteil Keesburg (Bayern) handelte. Diese Tatsache ging auch nicht an anderen Mitarbeitern des Caritsverbandes Würzburg vorbei.

Die Verantwortlichen sprachen den Mann auf die Anschuldigungen an, er bestritt nichts und wurde aufgrund der Vorwürfe sofort entlassen. Seit diesem Vorfall ist der Mann verschwunden, von Seiten seiner Familie wird spekuliert, er habe sich etwas angetan, wie die //Sueddeutsche// berichtet.

Der Mann wurde aller Wahrscheinlichkeit nach selber durch die Ausstrahlung überrascht. Im Rahmen der Aufzeichnung wurde ihm der Eindruck vermittelt, er habe es nur mit dem Opfer, einem 13-jährigen Mädchen, sowie deren Mutter zu tun. Ob es in dem Kinderdorf bereits zu Übergriffen gekommen ist, ist nicht bekannt, gegen den Mann wird nun polizeichlich wegen Verdacht auf sexuellen Missbrauch ermittelt.

Caritas nicht informiert
Große Kritik kommt vom Würzburger Caritas-Chef Clemens Bieber, der sich gegenüber der //Sueddeutschen// "empört" zeigte, dass die Caritas von dem Privatsender RTL2 nicht früher über das Fehlverhalten des Mannes informiert worden sei. Die Aufzeichnungen zur besagten Folge sind bereits im Mai diesen Jahres entstanden. Bieber sagte, RTL2 habe somit "in Kauf genommen, dass in dieser Zeit etwas Unlauteres passiert".

Gleichzeitig zeigte sich Bieber auch besorgt über den Verbleib des ehemaligen Mitarbeiters und fordert, dass die Sendung abgesetzt werden müsse.

Selbstmord in den USA
Das Format von Tatort Internet ist nicht neu, bereits im Jahr 2006 strahlte NBC in den USA //To Catch a Predator// aus, eine Sendung mit sehr ähnlichem Prinzip. Diese Serie erlangte tragische Popularität, als ein ausgeforschter Beschuldigter kurz vor der Konfrontation zur Waffe griff und sich erschoss.

Dieser Fall zog auch juristische Konsequenzen nach sich, als die Schwester des Beschuldigten den TV-Sender und Produzenten der Sendung auf 100 Millionen US-Dollar Schmerzensgeld verklagte. Der Streit wurde außergerichtlich beigelegt.

Guttenberg versteht die Kritik nicht
Stephanie zu Guttenberg, die Moderatorin von Tatort Internet kann die Kritik nicht nachvollziehen. Die Frau des deutschen Verteidigungsministers zeigte sich gegenüber der //Bild// "//empört, wie sich Medienexperten, Juristen und Journalisten so offensichtlich auf die Seite von Tätern stellen//".

Währenddessen wurde auch schon von juristischer Seite Klage gegen das Format laut, die deutsche Medienaufsicht prüft derzeit die Einhaltung des Jugendschutzes und der Persönlichkeitsrechte bei Tatort Internet.

Morddrohung gegen Produzenten
Auch die Produzenten leiden durch das neue Format, so wurden im Internet zunehmend Morddrohungen gegenüber der Modaratorin Guttenberg, sowie der Produzentin Danuta Harrich-Zandberg ausgesprochen. Laut Harrich-Zandberg waren auch andere Mitarbeiter der Produktion betroffen.

Hinter der Produktion steht Harrich-Zandbergs Firma //diwa-Film GmbH//, die sich im Normalfall in erster Linie auf Dokumentionen spezialisiert hat und für die Produktionen einer Dokumentation über den Contagan Skandal 2004 sogar mit dem bayrischen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde. Aktuell ist Harrich-Zandberg mit einer Dokumentation sogar eine mögliche Anwärterin für den europäischen Fernsehpreis.

Im Umfeld solcher, in erster Linie für das öffentlich-rechtliche Fernsehen produzierten, Inhalte, scheint das reißerische Format auf dem Privatsender RTL2 unpassend.
Darauf angesproch, sagte Harrich-Zandberg in einem Interwiev mit //W&V//, dass sie mit Tatort Internet "//wachrütteln//" will und das Format gerade für RTL2 produziere, um damit möglichst viele Menschen zu erreichen.

RTL2 unbeeindruckt - will damit an Schulen
RTL2 zeigte sich von all den Konflikten um das Format unbeeindruckt und gab Montags in einer Presseaussendung bekannt, das Format auch an Schulen bringen zu wollen. Laut dem Sender sind seit Ausstrahlungsstart "//zahlreiche Anfragen von Zuschauern und Funktionsträgern in Institutionen bei RTL II eingegangen, die das Format [...] zu Aufklärungs- und Schulungszwecken verwenden möchten.//"

Unterstützung kommt vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, die verlautbaren lassen: //"Die Sendung ist zunächst einmal wichtig für den Bürger. Eltern erkennen endlich, dass Kinder und Jugendliche im Netz nicht ohne Hilfestellung unterwegs sein sollen"//.

Mit diesem Hintergrund hat RTL2 nun mit der Produktion sogenannter //Aufklärungs-DVDs// gestartet, die von Schulen und Bildungsinstitutionen kostenfrei geordert werden können.

Quoten passabel
Trotz der vielen Aufschreie rund um das Format, spiegelt sich die Aufregung nicht in den Quoten wider. Nachdem der Marktanteil von der ersten zur zweiten Episode noch von 4,3 Prozent auf 7,7 Prozent wachsen konnte, lag die jüngste Ausstrahlung mit 6 Prozent Zuseher in der Zielgruppe wieder unter dem Senderschnitt. Jener Rückgang kann allerdings dadurch erklärt werden, dass der vergangene Montag generell ein schwacher Tag für RTL2 war.

Angesichts der massiven Kritik und der passablen Quoten wird sich zeigen, wie lange das Format im deutschen Fernsehen überleben kann. Das amerikanische Vorbild brachte es von November 2004 bis Dezember 2007 auf 12 Folgen, Fortsetzung geplant.

(Thomas Prenner)

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Thomas Prenner

ThPrenner

Beschäftigt sich mit Dingen, die man täglich nutzt. Möchte Altes mit Neuem verbinden. Mag Streaming genauso gern wie seine Schallplatten. Fotografiert am liebsten auf Film, meistens aber mit dem Smartphone.

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