
Online-Vorlesungen wecken Angst vor Billig-Bildung
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Massive Open Online Courses (MOOCs) sind angetreten, um den Bildungssektor zu revolutionieren. In den USA, deren Elite-Universitäten mit Millioneninvestitionen als erste im großen Stil auf die interaktiven Online-Angebote gesetzt haben, gibt es mittlerweile verschiedene universitätsübergreifende Anbieter, sowohl kommerzielle als auch nicht kommerzielle. Die Zahl der Nutzer, die sich schon einmal für eine Lehrveranstaltung im Netz angemeldet haben, wächst beständig und nähert sich dem zweistelligen Millionen-Bereich. Einzelne MOOCs weisen bereits sechsstellige Teilnehmerzahlen aus. Lagen anfangs vor allem technische Fächer im Trend, gibt es mittlerweile auch ein großes Angebot an geistes- oder sozialwissenschaftlichen Kursen.

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Demokratisierte Bildung?
Die Erwartungen an MOOCs sind groß, sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks. Von einer Demokratisierung der Bildung wird da oft gesprochen. “Ich glaube, dass im Bildungsbereich jetzt das passiert, was der Buchbranche mit dem Markteintritt von Amazon widerfahren ist. Hier geht es um große Veränderungen und das Schlimmste, das die Beteiligten tun können, ist die neuen Möglichkeiten zu ignorieren”, erklärt Riecke. Dabei seien die Motivationen in den USA und in Europa unterschiedlich. “In den USA wird vor allem der freie Bildungszugang hervorgehoben. In Europa ist das Hochschulsystem diesbezüglich offener, hier ist eher die Transparenz der Lehre der springende Punkt.”

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Viele Studienabbrecher
Die hohen Teilnehmerzahlen sind ohnehin irreführend. Der Anteil der Kursteilnehmer, die auch tatsächlich bis zum Ende dranbleiben und die Prüfungen absolvieren, bewegt sich im einstelligen Prozentbereich. Das liegt zum einen daran, dass die Kurse anspruchsvoll und zeitaufwändig sind. Zwei bis drei Stunden Video-Vorlesungen pro Woche, dazu Quizzrunden, Hausübungen und Leseaufgaben. Nach zwölf bis 15 Wochen steht dann auch noch ein Abschlussexamen an. Zum anderen hat ein Großteil der angemeldeten Teilnehmer überhaupt nicht die Absicht, einen Kurs abzuschließen.
Laut der Plattform Coursera beginnt in vielen Fällen nur etwa die Hälfte der Angemeldeten überhaupt damit, sich die Video-Vorlesungen anzusehen. Die schlechten Abschlussquoten sind auch damit erklärbar, dass bis zu 50 Prozent der Teilnehmer bereits Experten in dem jeweiligen Bereich sind, die lediglich ihr Wissen auffrischen wollen. Traditionelle Studenten machen ebenfalls einen großen Teil der MOOC-Klientel aus. Viele melden sich auch einfach nur aus Neugier an. “Mit Online-Angeboten können sich die Menschen die Lehre zusammenstellen, die sie wollen ohne Rücksicht auf die Angebote einzelner Hochschulen. Ein Abschluss muss nicht unbedingt das Ziel sein”, so Riecke. Die fehlenden Zugangsschranken erlauben es eben jedem, Kurse, die von Interesse sind, zu besuchen.
Universitäten in Bedrängnis

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Hype flacht ab
Noch vor nicht allzulanger Zeit haben Verfechter des Online-Unterrichts das Ende vieler traditioneller Universitäten ausgerufen, da sie der Meinung waren, die MOOCs würden mit ihrem Konzept von kostenloser oder zumindest günstiger Bildung für alle vielen Universitäten das Wasser abgraben. Bei einigen Verfechtern der Idee ist in den USA mittlerweile aber Ernüchterung eingekehrt. “Derzeit gibt es dort noch einen Hype, es wird viel investiert. Das wird sich aber mit der Zeit einpendeln. MOOCs werden immer eine Ergänzung bleiben und den Präsenzunterricht nie ersetzen können, das wollen auch die Studenten nicht”, so Martin Polaschek von der UNIKO (Österreichische Universitätenkonferenz). Bei iversity glaubt man ebenfalls an die Zusammenarbeit mit Unis. “Nur wenn Universitäten sich den MOOCs verweigern, wandern Professoren ab. Für Lehrende sind die Online-Kurse unglaublich attraktiv”, so Riecke.
Österreich hinkt nach
In Österreich gibt es bislang keine konzertierten Anstrengungen. “Das Thema ist bekannt und es gibt intensiven Austausch zwischen den UNIS. Die Uniko arbeitet derzeit an einem Positionspapier zum Thema MOOCs. Wir wollen bis zum Ende des Jahres die Rahmenbedingungen klären und für Rechtssicherheit sorgen, bevor wir loslegen. Gute MOOCs kosten leider auch viel Geld”, sagt Polaschek.
Die Kosten für MOOCs sind auch einer der Kritikpunkte in den USA. Ein einziger Kurs kann einen Professor bis zu 100 Stunden Arbeit kosten. Daneben müssen Assistenten und Techniker abgestellt, Equipment gekauft und Server-Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Geld verdienen lässt sich mit MOOCs derzeit dagegen kaum. Es gibt zwar einige Ideen für künftige Geschäftmodelle, von der Lizenzierung der Lehrinhalte bis zu kostenpflichtigen Absschlüssen. Fakt ist aber, dass auch die US-Angebote derzeit nicht profitabel sind. Der Neuling iversity will sich ebenfalls etablieren, bevor Sorgen um Einkünfte akut werden. Derzeit wird das Unternehmen, wie die meisten US-Pendants, mit Venture-Kapital finanziert.
Professoren fürchten um Jobs
Auch das Personal der Universitäten muss umdenken. Angestellte der Uni San Jose haben sich kürzlich in einem offenen Brief gegen die Verwendung des MOOC eines Harvard-Professors an der eigenen Uni ausgesprochen. Die Vortragenden fürchten, dass die Konzentration auf die wenigen MOOC-Anbieter zu einem Einheitsbrei im Bildungswesen führt und folglich Lehrkräfte eingespart werden könnten. Das führe zu Billig-Bildung, die nicht die gewünschte Qualität liefere.
“Gerade im Grundlagen-Bereich, bei Einführungsvorlesungen, stellt sich die Frage, ob die vielen redundanten Angebote, die es an den diversen Universitäten gibt, Sinn machen. Vor allem, da sich nicht alle auf höchstem Niveau bewegen. Durch MOOCs werden sich die Kräfteverhältnisse zwischen Forschung und Lehre an den Bildungseinrichtungen verschieben. Hier wird es neuer Konzepte bedürfen, um die Strukturen entsprechend anzupassen”, hält Riecke entgegen.
Potenzial nicht ausgeschöpft

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Kommerzielle MOOC-Anbieter in den USA erlauben es Unternehmen, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Ausbildungsprogramme zu bestellen. Die Unternehmen erhalten gegen Bezahlung ein Erstzugriffsrecht auf die Absolventen. “Eine Verknüpfung aus Wirtschaft und Bildungsinstitutionen mag einigen nicht gefallen, die existiert aber auch in Europa schon lange. Unternehmen könnten mit ihrem Know-how sogar eigene MOOCs anbieten”, so Riecke.
Keine Diplome
Die Absolventen von MOOCs stehen derzeit vor dem Problem, dass es kaum Möglichkeiten gibt, sich Erfolge anrechnen zu lassen. Erste Ansätze in diese Richtung gibt es zwar, die Zahl derjenigen, die sie in Anspruch nehmen, ist aber gering. Viele Universitäten knüpfen ihre Hoffnungen für eine Finanzierung der MOOCs an ein System, das für Abschlussexamen Geld verrechnet.
Auch iversity bietet zwei MOOCs an, für die ECTS-Credits vergeben werden. Das ist eine Grundvoraussetzung, um Geld zu verdienen. “Es gibt einen Grund, warum die Profit-orientierten US-Eliteunis die Pioniere im MOOC-Bereich sind. Sie hoffen längerfristig damit zu verdienen und wollen ihre Marktführerschaft behalten. Auch iversity strebt Gewinn an und wird natürlich die Universitäten nach einem Schlüssel an selbigen beteiligen”, so Riecke.
Viel Luft nach oben
Dass MOOCs sich als Teil des Hochschulwesens etablieren werden, steht für den iversity-Chef außer Frage. “Das Konzept ist für Unis, Lehrer und Studenten unwiderstehlich. In drei bis fünf Jahren werden MOOCs an Unis normal sein. Bis vollständige Interoperabilität gegeben ist, also MOOCs überall gleichberechtigt angerechnet werden, wird es aber wohl noch länger dauern”, so Riecke.
Das US-Portal Udacity bietet seit kurzem den ersten kompletten MOOC-Masterstudiengang “Computer Science” an. “Das kostet 7.000 Dollar. Ein Schnäppchen im Vergleich zu einem US-Präsenzstudium. MOOCs stehen noch ganz am Anfang, es gibt viele Kritikpunkte. Die Kurse werden sich aber ständig weiterentwickeln”, so Riecke
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