© By Heinrich-Böll-Stiftung (Flickr: Hakon Wium Lie") [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

Interview

Opera: “Google muss seine Lektion noch lernen”

Fast jeder dürfte schon einmal folgenden “Geheimtipp” von einem Freund, Verwandten oder Bekannten bekommen haben: Ich habe kürzlich einen neuen Browser entdeckt - kennst du Opera? In einem Markt, der sich in den vergangenen drei Jahrzehnten stark verändert hat, war Opera stets eine einsame Konstante. Der Browser wird bereits seit 22 Jahren in Norwegen entwickelt und kam trotz zahlreicher Fans und moderner Ideen nie über einen Marktanteil von rund fünf Prozent hinaus.

Doch obwohl Opera den Ruf als “Browser für die Nische” nie abschütteln konnte, sind die Verdienste des Unternehmens unbestritten: Features wie Tabs (auch wenn man diese nicht erfunden hat), Speed Dial, Pop-up-Blocker, Maus-Gesten oder das Löschen von persönlichen Daten und Cookies wurden erst über Opera populär. Zudem konnte man übereine Beschwerde bei der EU-Kommission Microsoft zur Browser-Wahl bei Windows zwingen - eine von vielen Maßnahmen, die die Marktmacht des Internet Explorers gebrochen haben.
Hakon Wium Lie war mittendrin statt nur dabei. Liewar mehr als 17 Jahre lang als Opera-CTOfür die technische Weiterentwicklung des Browsers verantwortlich. Dabeilegte er sich mehrmals mit Microsoft an, weil der Internet Explorersich gegen die durch das W3C definierten Standards des Webs stellte. Eine persönliche Angelegenheit für Lie, denn er gilt als der Schöpfer von CSS (Cascading Style Sheets), neben HTML einer der wichtigsten Standards des World Wide Web.

Mittlerweile ist er neben seiner Tätigkeit bei Opera als Politiker bei der norwegischen Piratenpartei sowie als CTO des ehrgeizigen “Kon-Tiki 2”-Projekts aktiv. Letzteres wollte 2015 von Peru zu den Osterinseln mit einem Floß reisen, scheiterte aber auf der Rückreise. Am 12. Mai tritt Lie bei der Wiener Entwicklerkonferenz WeAreDevelopers als Keynote-Speaker auf, die futurezone hat ihn im Vorfeld gesprochen.

Vor einem Jahr wurde der Verkauf von Opera bekannt gegeben. Was hat sich seitdem für sie geändert?
Das chinesische Konsortium wollte ursprünglich das ganze Unternehmen kaufen, das scheiterte aber an den Behörden. Wir haben dann aber den Browser verkauft, der doch die letzten 18 Jahre meines Lebens bestimmt hat. Ich musste mir dann selbst die Frage stellen: Will ich meine Arbeit unter der chinesischen Leitung fortführen oder beim “alten” Opera bleiben. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Mein Leben hat sich dementsprechend stark verändert, da ich nicht mehr der CTO eines Browser-Entwicklers bin. Aber nachdem ich 18 Jahre lang diese Aufgabe hatte, sollte es vermutlich mal jemand anders machen.

Setzt auf Vielnutzer: Vivaldi

Einige ihrer Ex-Kollegen haben mit Vivaldi selbst einen Browser entwickelt. Was halten sie vom Konkurrenten?
Ich habe Vivaldi ausprobiert. Ich finde es gut, dass es mehr Browser-Hersteller gibt, wir brauchen hier mehr Wettbewerb. Opera ist ein Anbieter, aber die Großen heißen Microsoft, Google und Apple. Diese Firmen brauchen starke Konkurrenz und ich finde es großartig, dass Jon [Stephenson von Tetzchner; Anm. der Redaktion: Gründer von Opera und Vivaldi] ein neues Browser-Unternehmen gegründet hat.

Sie haben Microsoft heftig kritisiert, als der Internet Explorer den Markt dominiert hat. Heute kontrolliert Googles Chrome den Markt - sind die beiden Situationen miteinander vergleichbar?
Die Situation ist etwas anders. Microsofts Internet Explorer hatte damals weit über 90 Prozent Marktanteil und hat den Markt stärker kontrolliert als Chrome heute. Chrome ist vor allem besser, wenn es um Standards geht. Der wohl wichtigste Unterschied aber ist, dass Chrome mit dem Chromium-Projekt, Blink und WebKit auf Open Source aufbaut. Auch Opera nutzt Blink. Wir haben uns damals dafür entschieden, unsere eigene Rendering-Engine, auf die wir sehr stolz waren, nicht weiterzuentwickeln. Sie hat eine wichtige Rolle im Web gespielt, weil sie sehr kompakt und leistungsfähig war und so auch auf kleinen Geräten, wie Handys und Smartphones, zum Einsatz kam.

Es macht aber so viel mehr Sinn, auf eine Engine zu setzen, zu der jeder beiträgt und die von jedem genutzt werden kann. Diese offene Plattform ermöglicht es erst, dass es mehr Wettbewerb geben kann. Es gibt aber auch einige Dinge, die den Wettbewerb bedrohen, allen voran die “Lock in”-Versuche durch integrierte Cloud-Dienste und Suchmaschinen. Hier muss Google noch seine Lektion lernen. Wenn sie verhindern wollen, dass sie von den Wettbewerbshütern eingeschränkt werden, müssen sie etwas vorsichtiger vorgehen.

Dennoch könnte man den Eindruck bekommen, dass einige Internet-Konzerne das Web frei nach ihrem Willen gestalten können - sind Konzerne wie Google zu mächtig?
Ich glaube, diese Konzerne sind zu mächtig, weil sie einzelne Märkte dominieren. Google dominiert den Suchmaschinen-Markt in den meisten Ländern. Es gibt zwar einige Ausnahmen, wie Yandex in Russland, aber ich würde mir wünschen, dass es mehr Suchmaschinen geben würde. Es ist sehr schwer, eine eigene Suchmaschine auf dem Markt zu etablieren, insbesondere da “Googeln” schon ein normales Wort ist. Ich bin ein Browser-Mensch, aber ich hoffe, es gibt ein paar schlaue Leute da draußen, die sagen “Wir können Google auf diesem Markt schlagen”. Bei Social Media gibt es ein ähnliches Problem, die letzten Facebook-Herausforderer sind in den vergangenen Jahren vom Markt verschwunden.

Brauchen Organisationen wie das W3C mehr Macht, um sich gegen Anbieter wie Google und Netflix wehren zu können?
Es wäre verlockend Ja zu sagen, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob das W3C immer die richtigen Entscheidungen treffen kann. Sie haben auch oft unter Druck nachgegeben, wie jetzt im Fall von DRM. Es gibt keine einfache Lösung für dieses Problem.

Es gab kürzlich Gerüchte, dass Opera den Werbeblocker standardmäßig aktivieren könnte. Ist das nicht etwas gewagt?
Ich war nie derjenige, der diese Entscheidungen getroffen hat. Die erforderliche Technologie gibt es und das ist eine gute Sache. Opera hat ein Tool, das gut zeigt, welchen Einfluss Werbung auf die Ladezeit hat. Es wird viel zu viel Bandbreite für Werbung verschwendet. Mit Adblockern versuchen wir, die Balance wiederherzustellen, genauso wie einst mit Bittorrent und Pirate Bay im Streit mit den Rechteinhabern.

Läuft man da nicht Gefahr, Partner wie Google (Anm. d. Red.: Google bezahlt dafür, um als Standard-Suchmaschine in Opera integriert zu sein) zu verärgern, deren Geschäftsmodelle auf Werbung basieren?
Es ist schwierig, wir sind in einer zwiespältigen Situation. Opera ist selbst im Werbegeschäft tätig, wir entwickeln Systeme, mit denen man bessere Kampagnen und Werbung entwickeln kann. Dieser Teil wurde nicht an die chinesischen Investoren verkauft. Man muss versuchen, das beste Ergebnis für Unternehmen und Konsumenten zu erzielen und das ist manchmal etwas merkwürdig. Trotz Fokus auf den Nutzer darf man nicht vergessen, dass man ein Unternehmen betreibt und Werbung ist nun mal ein Teil des Web.

Wie könnte man da gewisse Unternehmen zum Umdenken zwingen?
Norwegen ist recht einzigartig, weil es neben der .no-Domain zwei weitere Top-Level-Domains für Inseln gibt, Svalbard, Jan Mayen und der Bouvetinsel. Diese historischen Artefakte lagen fast unbenutzt herum und als ich sie entdeckt habe, war das so, als hätte ich Gold entdeckt. Ich würde die Domains zu einer Datenschutz-Zone erklären und beispielsweise den Einsatz von Drittanbieter-Cookies verbieten. Damit würde man das Geschäftsmodell von YouTube, Facebook und vielen anderen Seiten beeinträchtigen. Ich will sie nicht zerstören, aber ich will zeigen, dass es andere Wege gibt, Geld im Internet zu verdienen. Wenn man heute online ein Abo abschließt, gibt man dem Unternehmen nicht nur Geld, sondern auch persönliche Daten und Kreditkartennummer und hilft dabei, ein noch besseres Werbeprofil zu erstellen. Ich will den Content-Anbietern mit dieser Zone zeigen, dass sie ohne Werbung und dem Sammeln von Daten ihre Inhalte anbieten und dennoch Geld verdienen können. Und auch Social-Media-Dienste, die auf Drittanbieter-Cookies verzichten, könnten von dort aus Facebook Konkurrenz machen.

Viele moderne Features, wie Browser-Tabs, wurden durch Opera bekannt. Stört es Sie, dass andere Hersteller Erfolg mit ihren Ideen haben?
Opera ist sehr erfolgreich und wir haben vielen Menschen dabei geholfen, Zugriff auf das Web zu bekommen, wo es bisher nicht möglich war. Ich finde, wir hätten etwas mehr Nutzer in den USA verdient und bin da hin und wieder auf andere Hersteller neidisch. Ich finde aber nicht, dass Ideen einzigartig sind. Da kommen wir wieder zum Urheberrechts- und Patent-Problem. Ich glaube nicht wirklich an diese Systeme. Tabbed Browsing haben wir meiner Meinung nach hervorragend implementiert, unsere Entwickler sind sehr stolz darauf. Wenn andere das gleiche machen, profitieren alle davon.

Gibt es eine Funktion, von der sie sagen, dass sie das Surfen im Web nachhaltig verändern wird?
Es ist schwer, vorherzusagen, was das “nächste große Ding” wird, aber mit “Opera Neon” haben wir Tabs einen Schritt weiter gedacht. Ein automatischer Papierkorb sammelt all jene Tabs ein, die nicht mehr gebraucht werden. In Opera haben wir auch VPN integriert, denn der Nutzer sollte verbergen können, was er im Web tut. Wir versuchen außerdem den Energiebedarf zu optimieren. Das ist vielleicht nicht die wichtigste Funktion, aber wenn ich in der Wüste ohne Strom unterwegs bin, ist mir gerade das am Wichtigsten.

Wie glauben Sie wird das Web in fünf Jahren aussehen?
Man kann das recht gut anhand von CSS beobachten. Als wir angefangen haben, war es noch eine Stylesheet-Sprache für Dokumente, in der wir Absätze und Titel beschrieben haben. Das gibt es heute noch, aber zusätzlich dazu gibt es viel mehr interaktive Dokumente, die auf HTML, CSS und JavaScript oder anderes setzen. CSS hat sich deswegen auch stark verändert und viele Funktionen, beispielsweise für Animationen, bekommen. Ich finde das großartig, denn wir müssen den Designern jene Tools zur Verfügung stellen, die sie benötigen, sonst greifen sie zu etwas anderem.

Ich glaube, dass sich das Web heute in einem guten Zustand befindet. Es gehört niemanden, setzt auf offene Standards und ist weit verbreitet. HTML, CSS und JavaScript wird es noch für lange Zeit geben. Auch in 100 oder gar 500 Jahren werden Computer noch heutige Webseiten anzeigen können. Unsere Zivilisation baut auf Dokumenten auf und das wird sich nicht ändern. Wir haben alle Apps und andere Dinge, die uns letzten Endes aber nur unterhalten. Das ist auch eine gute Sache.

Warum haben Sie eigentlich beim Kontiki-2-Projekt mitgemacht? Es hat den Anschein, dass es relativ wenig mit ihrem Tagesgeschäft zu tun hat.
Ich habe viele Interessen und auf dem Ozean unterwegs zu sein ist eine davon. Die Zeit bleibt dort auf eine gewisse Art und Weise stehen. Das “Kon-tiki”-Projekt hatte auch einige für mich als Ingenieur interessante Herausforderungen. Wir haben ja nicht einfach gesegelt, sondern wollten beweisen, dass es möglich ist, mit der Strömung über den Ozean zu reisen.

Ich war dafür verantwortlich, dass es ausreichend Energie und eine Satellitenverbindung gab, sodass wir im Notfall jemanden erreichen und um Hilfe rufen konnten. Da kommt der Hacker in mir heraus und das Planen, Basteln und über die 23 Tage auf dem offenen Meer zu bloggen hat mir viel Spaß gemacht. Operas Komprimierungs-Technologie war bei der schwachen Satellitenverbindung besonders hilfreich, sodass wir nicht unser ganzes Budget für das Internet verschwenden mussten.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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