Rabattschlacht um die eCommerce-Zukunft
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1995 war ein bahnbrechendes Jahr für den Online-Handel: In Seattle startete Jeff Bezos Amazon.com, im kalifornischen San José launchte Pierre Omidyar eBay.com. Heute, 16 Jahre später, sind die beiden Shopping-Portale milliardenschwere Unternehmen, an der Börse notiert - und wirken beizeiten etwas schwerfällig, wenn es um die Adaption neuer Trends geht. Wird heute über eCommerce gesprochen, dann nicht über die schier unendliche Warenvielfalt der beiden Giganten, sondern über Couponing-Dienste, die genau das Gegenteil dessen anbieten: Jeden Tag einen Deal, mindestens 50 Prozent Rabatt sind garantiert. Während man bei Amazon und eBay übervolle Cyber-Regale mit diversen Produkten vorfindet, geht es beim Online-Couponing - vorläufig - um Dienstleistungen.
In Mitteleuropa wird sich die Rabattschlacht in Berlin entscheiden. In der deutschen Hauptstadt ist zum einen die europäische Zentrale von US-Vorreiter Groupon beheimatet, der jüngst mit sehr offensiven Super-Bowl-Werbungen schockierte. Zum anderen sitzt hier DailyDeal, jener lokale Konkurrent, der in Österreich gar die Marktführerschaft für sich beansprucht.
Hordentrieb plus Warenknappheit
Couponing-Dienste, ob Groupon oder DailyDeal, funktionieren alle nach dem selben Schema: Eine künstlich erzeugte Warenknappheit wird mit einer künstlichen Verknappung der Zeit und einem Gruppeneffekt kombiniert. Vereinfacht gesagt: Ein täglicher Deal kommt nur zustande, wenn sich genügend Leute finden, die ihn kaufen würden. Gelockt werden Konsumenten mit Preisnachlässen zwischen 50 und 90 Prozent, wichtige Zielgruppe sind Frauen (ca. 60 Prozent), die etwa mit Kosmetik-Deals geködert werden. Verbreitung finden die Deals neben eMails - nach wie vor der wichtigste Vertriebsweg - über die neuen Kommunikationskanäle Facebook und Twitter.
Von der Sammlerwut über den Hordentrieb bis zur Komplexitätsreduktion: Psychologen erkennen in den Couponing-Diensten viele Kaufmechanismen, die zu greifen beginnen. "Es gibt diese Effekte definitiv", sagt etwa Max Scheichenost von DailyDeal Österreich im Gespräch mit der FUTUREZONE. "Interessant ist, dass der Gruppeneffekt erst wirklich einsetzt, wenn die Hürde der Mindestteilnehmer überschritten ist." DailyDeal experimentiert regelmäßig mit neuen Mechanismen, etwa so genannten "Speed Deals": Dabei kommt zu der Warenverknappung auch eine noch knappere Zeitbegrenzung dazu, was allerdings nur bei wenigen Angeboten funktioniert.
Weitere Kaufreize werden Groupon wie DailyDeal wohl bald mit personalisierten Angeboten zu setzen versuchen - etwa Schönheitssalons für die Frauen und Lamborghini-Ausflüge für die Männer.
Milliardenmarkt per Zufall
Der erfolgreiche Mix aus Gruppendynamik und künstlicher Warenverknappung ist indes kein Geniestreich, sondern eher ein glücklicher Zufall. Groupon-Chef Andrew Mason aus Chicago betrieb mit ThePoint.com ursprünglich einen Web-Dienst, über den sich Nutzer zum guten Zweck vernetzen konnten - etwa um Spenden zu sammeln. Groupon war zuerst nur ein Abfallprodukt von ThePoint, das die Gruppenaktionen mit täglich einmaligen Angeboten verband. Der überraschende Andrang war bald so groß, dass sich Mason vom altruistischen Fundraisung aufs eCommercen verlegte.
Die Geschichte des deutschen Konkurrenten DailyDeal beginnt in Stanford: Dort wird der Berliner Fabian Heilemann während eines Auslandssemesters an der kalifornischen Universität auf Groupon aufmerksam und überzeugt, zurück in Deutschland, seinen Bruder Ferry von der Idee. Kurz steht im Raum, DailyDeal mit Geldern der Samwer-Brüder ("European Founders" u.a. Facebook, LinkedIn) aufzubauen. Die Heilemann-Brüder bleiben aber lieber unabhängig und wollen ihr Baby als gründergeführtes Unternehmen selbst aufziehen. Die Gebrüder Samwer haben aber selbst schon Lunte gerochen und finanzieren CityDeal, das kurze Zeit in Deutschland und Österreich aktiv ist. Ihr Plan geht auf: Groupon kauft im Sommer 2010 CityDeal und kann damit quasi über Nacht den lokalen Kampf mit den 700 europäischen mit übernommenen Mitarbeitern gegen DailyDeal aufnehmen.
Facebook, Amazon und Google im Nacken
"An sich ist dieses Konzept für Dienstleistungen gemacht", sagt Ferry Heilemann, Mitgründer von DailyDeal, zur FUTUREZONE. Allerdings gebe es sehr viel Spielraum, von Hotellerie bis zu Flugreisen sei alles möglich. "Es gibt viele Branchen, in die wir noch hineinwachsen können", sagt auch der Österreicher Daniel Glasner, DACH-Chef bei Groupon. So könne man etwa auch Möbel über das System verkaufen oder Angebote bezogen auf Events (z.B. Rockfestivals) oder bestimmte Regionen (z.B. Urlaubsdestinationen) schalten.
Beim Ringen zwischen Groupon und DailyDeal wird es aber nicht bleiben. Die neue Bewegung im eCommerce-Sektor - Groupons Wert soll bereits jenseits der 15 Milliarden Dollar liegen - hat den alten Riesen Amazon bereits wachgerüttelt. Im Dezember 2010 investierte der Online-Händler 175 Millionen US-Dollar in den US-Couponing-Dienst LivingSocial, der seither mehr als eine Million Amazon-Gutscheine vertickte. Weitere Bedrohungen für die jungen Firmen sind Facebook ("Facebook Deals" sind via Handy in fünf EU-Ländern abrufbar) und Google, das demnächst seine "Offers" launchen soll.
An einen Verkauf aber denken sowohl Groupon - Gründer Mason lehnte eine Fünf-Milliarden-Dollar-Übernahme durch Google ab - als auch DailyDeal nicht. "Uns ist sehr viel daran gelegen, unabhängig zu bleiben", sagt Ferry Heilemann, Mitgründer von DailyDeal zur FUTUREZONE. "Auch weil wir dieses Versprechen unseren Mitarbeitern gegeben haben." Sie sehen ihren Vorteil in ihren Sales-Teams, die von Geschäft zu Geschäft ziehen und quasi auf der Straße Verträge mit Friseuren, Restaurants und Freizeitveranstaltern schließen. Diese Komponente fehlt Facebook und Google noch komplett, da sie auf so genanntes "Self Service" setzen: Geschäftsinhaber sollen ihre Angebote selbst online stellen - für den Greißler von nebenan wahrscheinlich eine zu große Hürde.
Überschätzte Möglichkeiten
Indes tun sich einige Lücken in den durchdachten Argumentationslinien der jungen Firmen auf. Ihren als transparent propagierten Business-Modellen ist nicht abzulesen, wie erfolgreich sie wirklich sind. Groupon wie DailyDeal machen ein großes Geheimnis daraus, wie oft und ob ihre Kunden wiederkommen und einen zweiten Gutschein kaufen. Auch gibt es keine Belege, dass ihre Partner - die kleinen Shops - von der Marketing-Maßnahme (sie kaufen sich die Startseite für 24 Stunden, um sich zu bewerben) profitieren und Neukunden in Bestandskunden verwandeln können. Und ob die User selbst zufrieden mit den Angeboten sind, darf ebenfalls angezweifelt werden: 20 bis 30 Prozent der Gutscheine werden gar nicht eingelöst.
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(Jakob Steinschaden)
Groupon startete im November 2008 und ist heute in mehr als 35 Ländern vertreten. Die Firma aus Chicago hat 4300 Mitarbeiter und eigenen Angaben zufolge etwa 28 Millionen Deals verkauft. In Österreich ist Groupon in 28 Städten verfügbar, etwa 500.000 Österreicher erhalten täglich per eMail ein neues Angebot. Handy-Apps sollen in den nächsten Wochen gelauncht werden.
DailyDeal startete im September 2009, ist heute in den Deutschland, Österreich und der Schweiz verfügbar und hat bis dato 50.000 Gutscheine verkauft In Österreich sieht sich DailyDeal mit einer hohen sechsstelligen Abonnentenzahl als Marktführer. Außerdem sei man mit einer iPhone- und einer Android-App auch Technologieführer, heißt es. DailyDeal hat 180 Mitarbeiter und ist in Österreich in 23 Städten verfügbar.
Facebook Deals sind derzeit in den USA, Kanada, Italien, Spanien, Deutschland, Großbritannien und Frankreich verfügbar. Gruppenrabatte sind nur eine Version verschiedener Angebote: Neben "Freundschaftsangeboten" (Gruppe) gibt es "Individuelle Angebote" (einmaliger Deal), "Treueangebote" (Serien-Deal) und "Wohltätigkeitsangebote" (Charity).
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