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Interview

Raspberry Pi: “Open Hardware macht für uns keinen Sinn”

Der Raspberry Pi, der 25 Dollar-Computer im Scheckkarten-Format, hat sich zu einem unvorstellbaren Erfolg entwickelt. Ursprünglich war geplant, nur rund 1000 Stück zu produzieren. Den Erfindern wurde unter anderem gesagt, der Pi sei unmöglich zu verkaufen. Doch das schien sie nicht davon abzuhalten, dennoch in die Produktion zu gehen. Kurz darauf explodierte die Nachfrage, Anfang Oktober wurde verkündet, dass man nach knapp zwei Jahren rund 1,75 Millionen Stück verkauft hatte. Der Erfolg kam auch für Eben Upton, dem Leiter der Raspberry-Stiftung und dem Gründer des Projekts, überraschend. Der in Wales geborene Ingenieur ist bereits seit mehreren Jahren beim britischen Chip-Hersteller Broadcom und am St. John’s College in Cambridge tätig und besuchte im Rahmen des Pioneers-Festivals Wien.

Millionen-Umsätze mit Zubehör

Am St. John’s College wurde Upton auch zur Entwicklung des Raspberry Pi inspiriert. Er hatte, wie auch viele andere britische Universitäten, mit sinkenden Studenten-Zahlen am Informatik-Institut zu kämpfen. Inspiriert vom BBC Micro, einem Computer, der für Computer-Kurse des britischen Senders vermarktet wurde, rief er die Raspberry-Stiftung ins Leben und entwickelte gemeinsam mit einigen Universitäts-Mitarbeitern und Experten den Pi. Dieser sollte möglichst günstig sein, um auch für Schulen leistbar zu sein.

So sollte jeder Schüler in Großbritannien mit dem Pi die Möglichkeit bekommen, Programmieren und den Umgang mit Computern zu lernen. Das Projekt wurde allerdings mehr als nur das, Entwickler aus aller Welt haben Projekte mit dem Pi umgesetzt. Sei es ein Satellit, Roboter, ein Google Glass-Klon oder ein Bierbrau-Automat. Auch zahlreiche Start-Ups haben sich um das lukrative Geschäft für Raspberry Pi-Zubehör gebildet. Der 23-jährige Student Jacob Marsh hat mit ModMyPi beispielsweise in wenigen Monaten ein Unternehmen aus dem Boden gestampft, das mit Pi-Gehäusen rund eine Million Euro im ersten Jahr umsetzen konnte.

Ausblick auf Nachfolger

Upton zeigte sich im Zuge des Pioneers-Festivals begeistert über diese Aktivitäten, die weit über das hinausgehen, was er sich ursprünglich erhofft hatte. Er gab auch einen kleinen Ausblick auf ein neues Modell: “Wir haben zwei verschiedene Versionen des Raspberry Pi entwickelt und dabei immer wieder kleinere Macken ausgebessert, aber wirklich große Veränderungen für den Nachfolger sind nicht geplant. Wir wollen allerdings den Stromverbrauch senken. Zu erwarten ist es aber frühestens irgendwann im nächsten Jahr.” Upton betonte, dass er versuchen möchte, den Pi auch in einigen ärmeren Gebieten wie Afrika und Indien anzubieten. Dort verteuern hohe Zölle oder Versandkosten den Preis des Billig-Computers, sodass er meist keine Alternative darstellt. Aber auch hier werde laut Upton an Lösungen gearbeitet.

Eines ihrer wichtigsten Ziele war, mit Hilfe des Raspberry Pi Kinder von einem Informatik-Studium zu überzeugen und Großbritannien zu 10.000 Studenten mehr zu verhelfen. Sind sie auf dem Weg dahin?
Ich glaube, wir sind auf dem Weg, aber es ist noch ein sehr langer Weg. Es geht darum, zehnjährige Kinder von diesem Thema zu begeistern. Die Früchte wird man erst ernten können, wenn diese Kinder 20 Jahre sind. Ich glaube, dass wir mittlerweile ausreichend Interesse aus Großbritannien, Europa und den USA geweckt haben. Wenn wir dieses Tempo über die nächsten zehn Jahre aufrecht erhalten, können wir das Ziel ohne Probleme erreichen.

Aber wollen Sie mit dem Raspberry Pi nur Kinder erreichen?
Wir erfreuen natürlich auch sehr viele Erwachsene mit dem Raspberry Pi, die Begeisterung für Technik aufbringen können. Das war eine gewisse Überraschung für uns. Davon kommt auch ein Großteil unserer Verkäufe, denn das sind jene Leute, die fünf Stück davon kaufen und sie unter ihren Fernseher stellen.

Wieso waren Sie eigentlich überrascht von der Beliebtheit des Pi bei Erwachsenen? Er ist ja ein Traum für Bastler.
Ich bin Software-Entwickler, Hardware-Hacking war nie wirklich mein Gebiet. Ich habe vor ein paar Jahren damit gespielt, aber es hat mich nie wirklich so sehr begeistert. Als wir mit der Entwicklung des Pi begonnen haben, war die Maker-Szene zudem in keinem Maß so ausgeprägt wie sie es jetzt ist, zumindest in Europa.

Es erscheint etwas ungewöhnlich, dass der Raspberry Pi, obwohl er dermaßen stark auf Open Source-Software setzt und von der Community verwendet wird, selbst nicht Open Hardware ist.
Wir verwenden diese Chips, weil sie zu diesem Zeitpunkt die für diesen Preis besten Chips waren. Es gab schlicht und ergreifend keine vernünftigen Chips zu einem derartigen Preis, die auch in kleinen Stückzahlen für jedermann verfügbar gewesen wären. Es wäre großartig, wenn man den BCM 2835 in kleinen Stückzahlen kaufen könnte, aber es ist derzeit einfach nicht möglich. Ich arbeite nach wie vor für Broadcom und versuche immer wieder, sie dazu zu überreden, aber es ist auch eine große Herausforderung, mit kleinen Unternehmen diesen Chip zu integrieren. Vielleicht eines Tages, aber solange diese Chips noch nicht öffentlich verfügbar sind, macht es auch keinen Sinn, das Leiterplatten-Design zu veröffentlichen. Wenn wir das Design veröffentlichen würden, würde Broadcom unter Druck stehen. Das Unternehmen hat unser Projekt so stark unterstützt, dass ich ihnen nicht mit einer derartigen Situation danken möchte.

Es macht aber dennoch den Eindruck, als würden Sie nicht wollen, dass die Community am Projekt mitarbeitet, wie beispielsweise bei Arduino.
Wir haben ein Geschäftsmodell. Dieses Jahr werden wir Open Source-Projekte mit mehr als 1,5 Millionen US-Dollar unterstützen. Wenn wir anderen Unternehmen erlauben würden, den Raspberry Pi nachzubauen, wären wir dazu nicht mehr in der Lage. Es gibt aber natürlich auch Gründe, die für einen offeneren Ansatz sprechen würden, beispielsweise aus logistischen Gründen. Der Raspberry Pi ist beispielsweise in Brasilien recht teuer, da recht hohe Zölle und Versandkosten von Wales nach Brasilien zu bezahlen sind. Wenn wir eine Open Hardware-Plattform wären, könnten ein Hersteller in Brasilien einfach die Designs herunterladen und selbst dort herstellen, sodass diese Kosten umgangen werden. Diesen Vorteil hat auch Arduino, die in deutlich höheren Stückzahlen verkauft werden als der Raspberry Pi. Es geht jedoch die Möglichkeit verloren, Kapital konzentriert einzusetzen.

Ein Schwenk erscheint aber möglich?
Im direkten Vergleich mit anderen Projekten, wie beispielsweise Arduino, können wir deutlich mehr Geld an Open Source-Projekte weitergeben. Ich fühle mich nicht gegenüber der Open Hardware-Ideologie verpflichtet und das überrascht Menschen immer wieder. Der Arduino ist ein tolles Beispiel, aber ich will mehr als eine Plattform und einen praktischen Anreiz schaffen. Hauptziel bleibt, viele Raspberry Pi herzustellen und diese zu verkaufen. Ich selbst verdiene kein Geld damit, es ist und wird eine Non-Profit-Organisation bleiben. Mit dem Geld, das wir einnehmen, sollen weiterhin Open Source-Projekte und der Informatik-Unterricht an Schulen gefördert werden. Sollte der Punkt erreicht werden, an dem ich diese Ziele nur mehr mit Open Hardware erreichen kann, werde ich darauf umschwenken, aber nicht aus ideologischen Gründen.

Es scheint die Raspberry-Stiftung aber nicht zu stören, wenn Unternehmen mit Zubehör für den Raspberry Pi Geld verdienen, zum Beispiel ModMyPi.
Ja, es ist großartig, was Jacob Marsh da auf die Beine gestellt hat, er verdient jetzt so unglaublich viel Geld. Er war Student, ist ein Risiko eingegangen und es ist aufgegangen. Es stört uns auch nicht, wenn andere Hersteller Boards herstellen, die dem Raspberry Pi ähneln, insbesondere da niemand bislang unseren Preis oder Qualität erreicht hat. Ebenso stört es uns nicht, wenn Unternehmen mit Zubehör für den Pi Geld verdienen. Das ist eigentlich die großartige Sache am Pi, jedes Unternehmen, das etwas für den Pi produziert, verdient Geld dabei. Das ist auch wichtig, denn wenn sie nichts dabei verdienen würden, hätten sie bereits damit aufgehört. Wir haben unser ganzes Geschäftsmodell um diese Idee aufgebaut, denn wir wussten, dass wir einen Anreiz schaffen müssen.

Wieso haben Sie eigentlich die Produktion von Asien zurück nach Wales verlegt? Viele Unternehmen beklagen, dass sie in Europa nicht unbedingt zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren könnten.
Um Geld zu sparen, denn im Endeffekt war es in Wales günstiger. Es war zwar nur sehr wenig, das eingespart werden konnte, aber sobald man sich einmal im selben Land befindet und die gleiche Sprache spricht, kann man damit beginnen, nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen, um den Preis weiter zu senken. Wenn wir zehn Millionen Stück pro Monat bei Foxconn herstellen würden, wären sie natürlich günstiger. Wenn man aber in einer derart moderaten Stückzahl operiert, wie wir es tun und es noch dazu nur fünf Minuten dauert, um eine Platine zusammenzubauen, kann auch eine Fabrik in Europa mit Asien konkurrieren.

Ein großer Einfluss für den Raspberry Pi war der BBC Micro, ein Computer, der von der BBC in den 80er Jahren im Zuge von Computer-Kursen im Fernsehen vermarktet wurde. Als Sie mit der Entwicklung begonnen haben, haben Sie die BBC gefragt, ob sie diese Marke wiederbeleben können - und bekamen eine Absage. Jetzt hat die BBC eine ähnliche Initiative angekündigt. Glauben Sie, dass man die Ablehnung bereut?
Ich glaube nicht, dass sie es bereuen. Sie sind eine staatlich finanzierte Organisation und dürfen nicht als Mitbewerber auf dem Computer-Markt auftreten. Wir waren naiv, zu glauben, dass sie mit uns zusammenarbeiten würden. Es ist aber gut zu sehen, dass sie endlich etwas tun. In den 80er Jahren gab es zwei Projekte, den BBC Micro und das "Computer Literacy Program". Einen Ersatz für den BBC Micro haben wir mit dem Raspberry Pi geschaffen, jetzt kann die BBC für die Lern-Materialien sorgen.

Wann kommt das Model C?
Sprich nie über unangekündigte Produkte. Es ist merkwürdig, wir werden immer mehr wie ein Technologieunternehmen was das anbelangt. Aber um einen Termin zu nennen: Vor 2020.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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