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Rückblick 2010: Jarvis, Flattr, Netzneutralität

Auf der Internet-Konferenz Re:publica 2010 in Berlin hielt der Internet-Vordenker und Buchautor Jeff Jarvis (Was würde Google tun?") ein engagiertes Plädoyer für mehr Offenheit im Internet. Die Blogger und Netz-Enthusiasten applaudierten kräftig - auch wenn einige Fragen offen blieben.
Wenn es um die Vorteile von Transparenz geht, nimmt der 56-Jährige seine eigene Krankheitsgeschichte als Beispiel. Im vergangenen Jahr stellten Ärzte bei ihm Prostatakrebs fest. „Männer sprechen nicht gern über ihren Penis, vor allem wenn er nicht richtig funktioniert“, schrieb Jarvis. In seinem Blog „Buzzmachine“ machte er die Diagnose trotzdem öffentlich - und gibt sich heute froh. Er habe nicht nur zahllose gute Wünsche erhalten, sondern auch manchen nützlichen Tipp. Außerdem habe er andere Männer dazu motiviert, zum Arzt zu gehen.

Privatsphäre-Paradox
Nackte Tatsachen sorgen immer für Aufmerksamkeit - das weiß der ehemalige Journalist. Garniert mit Fotos entblößter schwitzender Leiber sagt er: „In Deutschland gehen die Menschen in die gemischte Sauna und lassen zu, dass ihre intimsten Körperteile von wildfremden Menschen gesehen werden - aber beim Internet hört der Spaß auf.“ Für viele im prüden Amerika ist so ein gemeinsamer Sauna-Gang undenkbar - daher spricht Jarvis vom „deutschen Privatsphären-Paradox“.

Jarvis wirbt für die Vorteile der Offenheit: Für Privatpersonen, die dank Google und Facebook alte Schulkameraden wiederfinden, aber auch für die Öffentlichkeit, die so die Regierung kontrollieren kann. Das Problem sei nicht ein Mangel an Privatsphäre, sondern ein Mangel an Kontrolle. „Mit der Privatsphäre ist es wie mit einem Videorekorder: Weil er schwierig zu programmieren ist, nutzen die meisten die Standardeinstellungen.“

„In der Gesellschaft von Nackten ist niemand nackt“, spitzt Jarvis seine These zu. Er selbst lebe das vor: „Mein Schatten bei Google ist so groß wie Utah, mein Ego ist genauso groß“, sagt er augenzwinkernd. Viel detaillierter werden seine Thesen allerdings nicht, die Probleme der völligen Offenheit wischt er weg. Aber was passiert, wenn die Berufsunfähigkeitsversicherung einem kranken Blogger keine Police mehr gibt?
Jarvis hat es dieses Mal leicht. Auf die Frage, wer blogge, hebt fast die Hälfte der Zuhörer im großen Saal die Hand; auch das „Cluetrain Manifest“ - das den Einfluss digitaler Technologie auf Unternehmen beschreibt - wollen etliche gelesen haben. Der Applaus der digitalen Avantgarde ist warm, die meisten Twitter-Kommentare sind wohlwollend bis enthusiastisch.

Netzneutralität?
In der Frage um die sogenannte Netzneutralität herrschte auf der re:publica 2010 keine Einigkeit. Während Verbraucherschützer und der Hackerverein Chaos Computer Club (CCC) genaue gesetzliche Regeln forderten, betonte eine Vertreterin der Bundesnetzagentur, dass Wettbewerb zwischen den Netzbetreibern oft schon ausreiche.

Cara Schwarz-Schilling von der Bundesnetzagentur hieltt diesen Rahmen für „nützlich“. „Wettbewerb dient der Netzneutralität“, sagte sie.
CCC-Sprecherin Constanze Kurz forderte dagegen eine weitergehende Regulierung. Der „vielgepriesene Markt“ funktioniere zum Beispiel auf dem Land kaum, da die Kunden oft nur einen Telefonanbieter zur Auswahl hätten und dessen Geschäftsbedingungen hinnehmen müssten. Zudem sei der Wechsel zu einem Konkurrenten in Deutschland „ein ziemlicher Alptraum“.

Von Pirate Bay zu Flattr
Der ehemalige Pira-Bay-Gründer Peter Sunde zeigte auf der re:publica 2010 den neuen Bezahl-Dienst Flattr.com, der in Zukunft die Möglichkeit geben soll, Geld mit Web-Inhalten zu machen. Besucher einer Webseite können über einen Flattr-Button bei Gefallen eines Inhalts (Foto, Video, Text, etc.) einen kleinen Betrag an den Urheber spenden. Am Monatsende werden die gesammelten Klicks in Euro umgerechnet und an die Content-Produzenten ausgeschüttet.

 

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