Satelliten decken Menschenrechtsverstöße auf
Satelliten decken Menschenrechtsverstöße auf
© Amnesty International

Satelliten decken Menschenrechtsverstöße auf

Satelliten decken Menschenrechtsverstöße auf

Schauplatz: Bodo, Nigeria, im Sommer 2008. Innerhalb weniger Monate sprudeln aus zwei defekten Pipelines des Ölmultis Shell hundertausende Liter Öl ins Niger-Delta. Bis heute stinkt der Schlick im wahrsten Sinn des Wortes zum Himmel. Wasser und Fische, die Hauptnahrung der rund 70.000 Einwohner, sind auch drei Jahre später noch kontaminiert. Die versprochene Sanierung hat bis heute nicht stattgefunden.

„Sauberes Wasser und eine saubere Umwelt, - das sind Menschenrechte“, erklärt der Oberösterreicher Christoph Köttl, der sich bei Amnesty International Washington im Rahmen des Projektes, Science for Human Rights, mit Crisis Mapping befasst. Ein heute veröffentlichter neuer Amnesty-Bericht mit eindrucksvollen Satellitenbildern und einer detaillierten Bestandsaufnahme dokumentiert Bodos Tragödie eindringlich.

Am Anfang war Porta FarmDie Umwelt- sowie auch die politische Situation in Nigeria ist schon seit einiger Zeit in Form von Eyes on Nigeria auf Amnestys Radar. Verstöße werden durch Fotos, Augenzeugenberichte sowie Satellitenbilder dokumentiert. Dass Satellitenaufnahmen sich zur Dokumentation von Menschenrechtsverstößen eignen, war eine Zufallsentdeckung. Amnesty verfolgte die Lage in Simbabwe und stieß auf zwei Satellitenbilder der Siedlung Porta Farm: 2002 florierte die Gemeinde mit ihren rund 10.000 Einwohnern; vier Jahre später war sie wie ausradiert.

„Das war das erste Mal, dass wir Menschenrechtsverletzungen auf diese Weise schwarz auf weiß nachweisen konnten“, erzählt Christoph Köttl.  Und es war auch ein Glücksfall, dass von einem an sich strategisch unwichtigen Ort zwei Bilder in zeitlich passendem Abstand existierten. Die anschließende Medienreaktion auf die Vorher-Nachher-Aufnahmen zeigte ganz klar: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“.

Mit „Eyes on Darfur“ ging die Menschenrechtsorganisation 2007 noch einen Schritt weiter. Die sudanesische Regierung führte damals einen systematischen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung der Region.

Amnesty stellt die Satellitenbilder von 12 intakten Dörfern ins Internet und signalisierte damit: „Wir sind wachsam“. Dem Anschein nach dürfte die Beobachtung durch den Satelliten diese Dörfer tatsächlich vor der Zerstörung bewahrt haben.

Schwierige BildbeschaffungVon Nigeria bis Syrien, von Nordkorea bis Darfur und Sri Lanka  - objektive Satellitenaufnahmen untermauern nun zunehmend Beobachtungen und Interviews mit Augenzeugen. Kürzlich wies Amnesty International etwa nach, dass die berühmt berüchtigten Gefangenenlager in Nordkorea immer größer geworden sind. An die 200.000 Männer, Frauen und Kinder – sehr viel mehr als noch vor zehn Jahren - hausen dort unter unmenschlichen Bedingungen.

Die Aufnahmen stammen alle von Betreibern kommerzieller Satelliten und haben idealerweise eine Auflösung von 50 Zentimetern. Das bedeutet: Das kleinste Objekt, das man ausnehmen kann, misst 50 Zentimeter. Gut genug also, um Panzer oder die Zerstörung von Siedlungen zu dokumentieren. Bilder mit höherer Auflösung bleiben den Geheimdiensten vorbehalten.

Menschenrechtsorganisationen stießen mit Crisis Mapping bisher an zwei Grenzen: Kosten und Personal. Zu den Kosten: Archivbilder (zum Zweck von Vergleichen mit der Gegenwart) kosten zwar nur zehn Dollar pro Quadratkilometer, kaufen muss man jedoch mindestens 25 Quadratkilometer, - macht also insgesamt 250 Dollar. Doch aktuelle, eigens bestellte Aufnahmen sind nicht unter 2000 Dollar zu haben.  „Da muss man sich schon gut überlegen, was man bestellt“, meint Lars Bromley vom Menschenrechtsprojekt der American Association for the Advancement of Science (AAAS). „Wir haben einmal ausgerechnet, wenn man Darfur – immerhin so groß wie Frankreich – flächendeckend in bester Auflösung abbilden will, kostet das sieben Millionen Dollar.“ Und es würde Wochen dauern, all diese Bilder zu analysieren

Crowdsourcing SatellitenbilderDoch die Zeiten ändern sich: Patrick Meyer, einer der Gründer des internationalen Netzwerks  Crisis Mappers, hatte die Idee, Satellitenbilder durch Crowdsourcing lesen zu lassen. „Es gibt noch keine befriedigenden Software-Algorithmen, die verlässlich Objekte identifizieren.“

Meyer gründete die Standby Task Force, 700 Leute in mehr als 70 Ländern, die im Lesen der Bilder geschult werden. Die Idee gefiel dem Satellitenbetreiber Digital Globe so gut, dass er - zumindest bisher - Bilder für Menschenrechtsanliegen gratis zur Verfügung stellte.

Die Standby Task Force analysiert Bilder nachweislich schneller und verlässlicher als alle bisherigen Methoden. Das internationale Heer der Freilwilligen wertete Bilder von somalischen Flüchtlingslagern in nur  72 Stunden aus, wobei jeweils drei bis vier Leute bei verschiedenen Zielobjekten einer Meinung sein mussten. Zum Vergleich: Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR brauchte für eine ähnliche Analyse drei Monate. Die Standby Task Force untermauerte auch Informationen von Amnestys Eyes on Syria. „Es steigt die Glaubwürdigkeit, wenn man einen Bericht von Artilleriefeuer mit Aufnahmen von Panzern in der Gegend zu gerade diesem Zeitpunkt erhärten kann,“ meint Patrick Meyer.

Die Standby Task Force kann weitere Mitarbeiter (join@standbytaskforce.com) gut gebrauchen. Denn je mehr Leute mitmachen, desto mehr Konflikte kann man gleichzeitig verfolgen. „Freilich ist es wichtig, wenn sechs Monate nach Gräueltaten ein Bericht vorliegt. Doch wenn man es innerhalb von sechs Stunden schafft, ist das doch viel besser.“

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