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Interview

"Twittern ist nicht der Weisheit letzter Schluss"

futurezone: Sie haben vor zwei Jahren das Bildungsvolksbegehren initiiert. Viel ist im Bildungsbereich jedoch nicht weitergegangen.
Hannes Androsch: Die Aufwendungen für Bildung sind von 6,4 auf 5,5 Prozent des BIP zurückgegangen. Wir haben eine geldverschlingendes Schulorganisationssystem. Der Großteil der Summe fließt in die Bürokratie. Und dazu gibt es eine Lehrergewerkschaft, der alles wurscht ist. Das ist nicht akzeptabel. Unter diesen Bedingungen macht ein Großteil der Lehrer einen tollen Job. Es gibt viele Vorbilder. Aber um das scheren sich weder Stadtschulrat noch die Landesschulräte, noch die politische Landesverwaltung oder das Unterrichtsministerium.

Sie sind also nach wie vor der Meinung, dass das Land eine Bildungsreform benötigt?
Ja, die brauchen wir, sonst hätte ich mir das Volksbegehren nicht angetan. Wir brauchen die besten Lehrer mit der besten Ausbildung, fachlich wie pädagogisch, ein entsprechendes Dienstrecht, Schulzentren, Ganztagskindergärten, Ganztagsschulen. Das haben nicht wir erfunden, das ist anderswo eine Selbstverständlichkeit, die Pisa-Studien belegen das auch.  Man muss seinen eigenen Rohstoff, nämlich die Talente der jungen Leute fördern. Der Bildungsstand der Eltern darf nicht ausschlaggebend sein, welche Bildung die Kinder erleben dürfen.

Die Pisa-Studie belegt auch, dass Computer-Länder weit oben rangieren. Wann soll  der Unterricht mit Computern beginnen?
Im Vorschulalter. Digitale Ausbildung heißt auch, zu lehren und zu lernen, wie man sinnvoll damit umgeht und nicht, wie man computersüchtig wird. Es soll nicht bedeuten, dass während des Unterrichts sinnlos per Smartphone gepostet wird. Wir brauchen eine digitale Alphabetisierung in allen Lebensbereichen. Und wir brauchen bestgebildete Menschen im Arbeitsleben. Nur so ist es möglich, auch in höherem Alter auf geänderte Arbeitsanforderungen reagieren zu können.

Gegen den Einsatz von Computern in der Bildung gibt es skeptische Stimmen. Der deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer sagt: "Computer taugen zum Lernen nicht, denn sie nehmen uns geistige Arbeit ab".
Wir sind durch die digitale Revolution ins Computerzeitalter hineingewachsen. Aber wir müssen aufpassen, dass es uns nicht wie dem Zauberlehrling geht. Wenn Kinder viereinhalb Stunden und mehr vor dem Computer sitzen und nur noch herumtwittern oder über Whatsapp plaudern – das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Natürlich müssen sie mit Informatik-Dingen umgehen können, das ist der moderne Alphabetismus. Aber man kann immer alles übertreiben. Dass das Messer nützlich ist, weiß man. Dass man damit auch jemanden umbringen kann, ist auch bekannt. Dafür kann das Messer nichts. Die Menschen müssen verantwortungsvoll mit dem digitalen Messer umgehen.

Sie haben den Leiterplattenhersteller AT&S und die Salinen AG gekauft. Manche meinen, Sie hätten sie zu günstig erhalten.
Weil andere nicht mehr geboten, das wäre ihnen frei gestanden. Bei AT&S habe ich dem Management geglaubt, dass Potenzial drinnensteckt.  Wir haben AT&S zwar um 90 Mllionen Schilling (6,5 Mio. Euro) gekauft. Das Unternehmen hatte aber 600 Millionen Schilling (43,6 Mio. Euro) Schulden. Das war schon eine Herkulesaufgabe, dass uns die Banken die Kredite stehen gelassen und nicht abberufen haben.

Wie beurteilen Sie die Innovationskraft österreichischer Unternehmen?
Schauen Sie sich unsere Export-Performance an. Im Vorjahr hatten wir 123,4 Milliarden Euro, vor der Krise 117 Milliarden Euro. Das hatte niemand erwartet. Es gibt fleißige und kreative Manager und innovative Unternehmen in Österreich. Vorarlberg hat sich positiv gewandelt, die Obersteiermark war schon fast ein Industriefriedhof und blüht heute wieder auf. Im öffentlichen Sektor hingegen sind wir weit von diesen Erfolgen entfernt. Das Public Management ist höchst unbefriedigend und wir haben ein riesiges Government-Gap, das zeigen Kärnten, Niederösterreich, das zeigt Salzburg in geradezu erschreckender Weise.

Ist Österreich ein attraktiver Standort?
Im Vergleich mit anderen Ländern muss man sagen, uns geht’s gut. Aber morgen?

Um dieses Morgen geht’s ja.
Wenn man die Bildungsreparatur bei jungen Menschen, die nicht lernfähig waren, mit viel Geld nachholt und für 70.000 Leute 2,4 Milliarden ausgibt, aber nicht sehr viel mehr für alle Universitäten oder nicht genug für die Vorschulpädagogik oder Ganztagsschulen, die auf der ganzen entwickelten Welt eine Selbstverständlichkeit sind, so haben wir die falschen Prioritäten gesetzt. Dafür haben wir eine doppelt so hohe Subventionsquote wie der EU-Durchschnitt. Da muss man sich fragen, ob das notwendig ist. Wenn in ein paar Jahren der Aufwand im Budget von vier Milliarden auf acht und bald 13 Milliarden  steigt, dann wird man die Staatsfinanzen kaum in Griff bekommen. Das Triple-A haben wir eh schon verloren.

Man sagt, dass Sie in der Forschungspolitik in vielen Bereichen nach wie vor die Fäden im Hintergrund ziehen.
Die Fäden ziehen, ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber mein Verständnis von Politik ist, die Zukunft zu gestalten. Das braucht Mut und Wille. Man kann eine Gestaltungswirkung auch ohne politisches Amt haben.

Im globalen Arbeitsmarkt ist ein Wettbewerb um Talente voll im Gange. Internationale Firmen suchen weltweit nach den besten Köpfen und werden auch in Österreich fündig.
Stimmt, wir machen das umgekehrt, wir haben einen Brain-Drain. Es treffen sich jedes Jahr österreichische Wissenschafter in den USA und wenn man sie fragt, ob sie nach Österreich zurückkommen wollen, sagen sie nein, weil bei uns die Arbeitsbedingungen nicht passen. Wir bilden Ärzte aus und weil man ihnen zu wenig zahlt, gehen sie in die Schweiz oder nach Deutschland oder in die USA. Deren Ausbildung haben aber wir bezahlt.

Und ausländische Experten nach Wien berufen?
Theoretisch ja, praktisch nein, denn der Professor bekommt die Aufenthaltsgenehmigung, seine Frau aber darf hier nichts arbeiten. Das ist ja absurd.

Befürchten Sie eine Abwanderung des Wissens aus Europa?
Natürlich, und es ist zudem ein schlechtes Geschäft, ökonomisch betrachtet.

Ist es nicht generell eine europäische Krankheit, dass wir das Wissen abwandern lassen?
Dass man den Forschungsrahmenprogramm im EU-Budgetplan von 80 Milliarden auf 63 Milliarden zurückgestutzt hat, war ein schwerer Fehler. Weil 45 Prozent der Budgetmittel in die Landwirtschaft hineingebuttert werden.

Europa als Kornkammer der Welt?
Nein, Schrebergarten der Welt. Es fehlt die Perspektive. Wir hatten um die Jahrhundertwende im 19. Jahrhundert noch einen Weltbevölkerungsanteil von 19 Prozent. Jetzt haben wir sieben Prozent und bald sind es nur noch vier Prozent. Aber wir konsumieren 50 Prozent des globalen Sozialbudgets. Bei uns ist das besonders mit anhand der Frühpensionierungen erkennbar. So etwas sichert uns die Zukunft sicher nicht.

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Industrieller und Ex-Finanzminister
Hannes Androsch, der am Donnerstag 75 Jahre alt wurde, war in der Kreisky-Ära Finanzminister und Vizekanzler. 1981 zog er sich aus der Politik zurück.

Heute ist er Vorsitzender des Universitätsrates der Montanuniversität Leoben, Aufsichtsratsvorsitzender des Austrian Institute of Technology (AIT) und des Leiterplattenherstellers AT&S sowie seit 2010 Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE). Androsch ist an einigen österreichischen Betrieben beteiligt, etwa der Österreichische Salinen AG, Salinen Austria AG, FIMBAG oder HTI High Tech Industries AG.

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