© Jakob Steinschaden

Interview

VZ-Netzwerke: "Facebook ist genau andersrum"

Die „Blauen“ sind für ihn ein rotes Tuch: Seit der Wiener Clemens Riedl (40) seinen Job als Chef der deutschen VZ-Netzwerke (www.studivz.net, www.schuelervz.net, www.meinvz.net) im Februar 2010 angetreten hat, muss er gegen das stetig wachsende Online-Netzwerk Facebook ankämpfen. Laut einer neuen Studie des deutschen IT-Verbands BITKOM ist bereits jeder zweite deutsche Internet-Nutzer bei Facebook angemeldet, während die VZ-Netzwerke (zuvor Nummer Eins) nur mehr 27 Prozent zu sich locken können.

Im Berliner Büro des VZ-Imperiums sprach Riedl über die Überlebenschancen seiner VZ-Netzwerke und kündigte neue Funktionen für die Nutzer an.

Die neue BITKOM-Studie bescheinigt Facebook die Marktführerschaft in Deutschland, wo die VZ-Netzwerke lange die Nase vorn hatten. Ihr Kommentar?
Wer die Kommunikation beherrscht, beherrscht alles. Wenn die wertvollste Firma im Internet bei dieser Studie einen prozentualen Anteil von 50 Prozent hat, finde ich das wunderbar. Wenn wir als deutscher Betreiber auf 27 Prozent kommen, ist das aber auch sehr schön. Man muss realistisch bleiben. Unser Ziel ist nicht die Weltherrschaft im Internet, insofern halte ich es für ein Privileg, dass wir mit einem kleineren Marktanteil in diesem Geschäft dabei sein können.

In Österreich fand der Schwenk von den VZ-Netzwerken hin zu Facebook fast ein Jahr früher statt als in Deutschland.
Wir haben unseren Anspruch, real existierende Communities im Internet abzubilden. Das haben wir von Anfang an in Deutschland viel besser umgesetzt. Wir hatten z.B. nicht einmal alle österreichische Schulen in unserer Datenbank. Wir haben in Österreich nie wirklich Fuß gefasst, weil wir ausländische Märkte nie wirklich fokussiert haben, sondern uns vor allem auf Deutschland konzentrieren.

Was sind die VZ-Netzwerke 2011 noch?
Wir stehen derzeit im dritten Stadium. Zuerst ging es darum, das Wachstum zu managen und den Anfangsschmerz eines Start-Ups zu bewältigen, was nur die wenigsten schaffen. In der zweiten Phase etablierten wir unser Geschäftsmodell und haben nach wie vor Wachstumsraten beim Umsatz von 30, 40 Prozent. In der dritten Stufe geht jetzt es darum, die Positionierung der VZ-Netzwerke in einer Welt, die vorwiegend blau ist, zu schärfen.

Macht die Trennung der Plattform auf StudiVZ, SchülerVZ und MeinVZ eigentlich noch Sinn?
Absolut, und wir wollen die Trennung noch weiter schärfen. „Alt und jung gesellt sich gern“ stimmt in Online-Netzwerken für die junge Zielgruppe nicht. Die Jugend will immer einen eigenen Raum und findet es nicht gut, wenn Eltern und Lehrer überall dabei sind. Wir haben aber als Aufgabe erkannt, meinVZ nachzujustieren. Der Name allein passt nicht ideal zum Community-Gedanken, weswegen wir die Plattform in den nächsten Monaten repositionieren werden.

Die VZ-Netzwerke bieten immer wieder neue Funktionen wie den Buschfunk, Check-ins, Handy-Gutscheine oder Social Games. Das alles kennt man aber schon von der Konkurrenz. Wo bleiben die eigenen Ideen?
Meiner Meinung nach geht es im Internet nicht darum, wer der Erste ist, sondern vielmehr darum, wer diese Funktionen für ein Milionenpublikum gut umsetzt. Daran ist auch nichts verwerflich. Facebook ist hier übrigens ein gutes Beispiel: Das beginnt bei Status-Meldungen von Twitter, geht über Fotos bei Flickr und endet bei „Places“, das von Foursquare abgeschaut wurde. Aber Sie haben Recht, wir haben hierzu in der Vergangenheit noch zu wenig gemacht. Da sind wir gerade dabei.

Was genau entwickeln Sie gerade?
Uns interessiert die Frage, wie intensive Kommunikation im engsten Kreis zu viert oder zu fünft – mit seinen Freunden oder auch neuen Leuten mit gleichen Interessen– idealerweise stattfindet. Der Arbeitstitel lautet „Social Topics“. Wenn man so will, haben Social Networks die E-Mail abgelöst. Wir arbeiten an etwas, das den E-Mail-Verteiler ablösen wird.

Wäre es für die VZ-Netzwerke auch vorstellbar, ein Facebook-Login anzubieten?
Absolut! Wir sind in einer Welt, die vorwiegend blau ist, und dazu gehört es auch, Facebook-Dienste zu integrieren. Man sollte es aber erst dann tun, wenn der letzte Nutzer verstanden hat, wo der Unterschied ist. MySpace hat das beispielswiese eindeutig zu früh gemacht.

Stichwort MySpace: Sie haben vor kurzem deren Werbegeschäft in Deutschland übernommen. Wird die Kooperation auf andere Bereiche ausgeweitet?
Wir würden mit MySpace im deutschsprachigen Raum sehr gerne tiefer kooperieren. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass MySpace ein sehr hierarchisch strukturiertes Unternehmen ist, mit dem Kommunikation oft lange dauert. Österreich war übrigens immer das Juwel im MySpace-Portfolio, weil es das profitabelste Land auf der ganzen Welt war.

Der Eigentümer News Corporation sucht derzeit einen Abnehmer für MySpace. Interessiert?
Da müssen Sie am besten unseren Gesellschafter fragen. Unabhängig davon glaube ich, dass MySpace absolut seine Berechtigung hat, aber man müsste strategisch noch einmal nachjustieren.

Warum machen Online-Netzwerke einmal abgesehen von MySpace einen so großen Bogen um das Thema Musik und Streaming?
Wir würden das sehr gerne verstärkt machen. Das Problem in Deutschland sind aber die GEMA-Gebühren, und die Refinanzierung dieser Gebühren ist eine sehr große Herausforderung.

Was halten Sie von den derzeit kursierenden Milliardenbewertungen von Facebook, Twitter und Groupon?
Auf der einen Seite ist das Internet erwachsen und ein Milliardenmarkt geworden. Auf der anderen Seite haben wir bei der Finanz- und der Hypothekenkrise in den USA gesehen, wie die Notenpressen ohne Ende angeworfen wurden. Geld ist zu billig geworden, und das wird über auch die Internetwirtschaft in den Realmarkt gestreut. Das ist besorgniserregend, weil hier gerade die nächste Blase entsteht.

Auf der Konferenz re:publica in Berlin wurden die so genannten „Social Media“-Revolutionen intensiv diskutiert. Ihre Sicht der Geschehnisse?
Social Networks erlauben es lediglich, einen Trend, den es in der Bevölkerung bereits gibt, aufzugreifen. Sie ermöglichen technisch eine Organisation von sozialem Leben, das heißt aber nicht, dass sie Revolutionen auslösen. Wenn es Social Media nicht gäbe, würden die Leute eine andere Form der Kommunikation finden, und sei es, heimlich Zettel auf der Straße zu verteilen oder eine Botschaft über Telefonketten zu verbreiten.

Was halten Sie in dem Zusammenhang davon, dass Politiker und Unternehmen so stark bei Facebook aktiv sind?
Ich halte von den Social-Media-Aktivitäten, die sich auf einfache Fan-Pages bei Facebook konzentrieren, wenig. Die meisten werden nur durch den medialen Hype hineingezogen. Die positiven Ergebnisse sind, wenn man sie nüchtern betrachtet, allerdings spärlich gesät. Deshalb bieten wir unsere Partnern und Kunden ein ganz anderes Modell an, in dem es eben nicht nur um Profilseiten, sondern um integrierte Kampagnen geht, die bei den Nutzern Interesse wecken. Aber das sind die Irrungen und Wirrungen, die der deutsche Internetmarkt braucht, um zu begreifen, was Facebook wirklich tut. Bei Google hat man zehn Jahre zum Verstehen gebraucht, Facebook ist bereits einen Tick über dem Hype. Hier werden wir noch große Ernüchterung erleben, die großen Facebook-Jünger werden wieder leiser werden.

Kurz nach der Katastrophe in Japan haben Sie mit dem dortigen führenden Online-Netzwerk Mixi eine Kooperation ins Leben gerufen.
Wir sind mit dem Mixi-Management sehr gut befreundet und haben gemeinsam mit dem japanischen und deutschen Roten Kreuz zu Spenden aufgerufen. Die Spendenfreudigkeit hielt sich trotz hoher Diskussionsbeteiligung aber in Grenzen. Die Nutzer bewegen oft ganz andere Sachen, als in der Öffentlichkeit dargestellt wird, über Google Street View etwa regt sich keine signifikante Anzahl wirklich auf.

Was machen die Leute dann überhaupt in Online-Netzwerken?
Die Nutzer machen zu 80 Prozent drei oder vier Grundhandlungen: Sie verschicken Nachrichten an Freunde, laden Fotos hoch, schauen sich Profile an und bilden Gruppen zu bestimmten Themen. Das Bedürfnis, der eigenen Öffentlichkeit andauernd zu sagen, was sie denken und tun, hält sich zumindest bei uns in Grenzen.

Trotzdem posaunen viele sehr Intimes in die Internet-Öffentlichkeit. Kümmert die Nutzer Ihre Privatsphäre überhaupt?
Genau hier setzen wir an: Weil wir wissen, dass der Prozentsatz, der die Privatsphäre-Einstellungen überhaupt benutzt, sehr gering ist, ist bei uns bei der ersten Registrierung zunächst alles abgedreht. Das gesamte Profil ist unsichtbar, und der Nutzer muss es Schritt für Schritt freischalten. Bei Facebook ist es genau andersherum. Ich halte deren Vorgangsweise vor allem im Jugendbereich für krass unverantwortlich.

Mark Zuckerberg macht allerdings keine Anstalten, wirkliche Änderungen der Funktionen einzuführen. Er findet ja, dass Privatsphäre keine soziale Norm mehr ist.
Facebook allein ist das nicht vorzuwerfen, weil sie von der Bundesregierung nicht dazu verdonnert werden, sich an bestehende Gesetze zu halten. Wenn es in der Welt des Herrn Zuckerberg kein Thema ist, Jugendschutz nach deutschen Gesetzen umzusetzen, dann kann man ihm das nicht vorwerfen. Die Regierung versäumt das, und deswegen gibt es ein Schlaraffenland für amerikanische Internetkonzerne, die sich an den Werbemilliarden des deutschen Markts bereichern.

Punkto Finanzierung: Man kann nicht nur über Werbung Geld machen, sondern die Daten auch der Marktforschung zu Verfügung stellen, wie es etwa der Kurznachrichtendienst Twitter macht (Golem-Bericht).
An diesem Geschäftsmodell werden wir uns sicher nicht beteiligen. Wir haben ein Manifest, dass sagt: „Deine Daten gehören dir“. Davon werden wir nicht abrücken, auch wenn das Goldene Zeitalter in dem Bereich anbrechen sollte. Das brauchen wir auch nicht, wir erwirtschaften bereits heute zweistellige Millionen Umsätze und müssen die Daten unserer Nutzer so nicht ausschlachten.

Sie stammen aus Wien, leben aber schon seit vielen Jahren in Berlin. Jemals eine Rückkehr erwägt?
Wenn man in der Leopoldstadt aufgewachsen ist, wird man immer ein Wiener bleiben. Wenn ich die Möglichkeit habe zurückzukommen, kann ich mir das absolut vorstellen. Voraussetzung wäre allerdings, dass sie wieder das Prater-Tor abreißen.

Die VZ-Netzwerke setzen sich aus  SchuelerVZ.net, StudiVZ.net und MeinVZ.net zusammen, die jeweils andere Altersklassen ansprechen. Insgesamt haben sie 17,4 Mio.
Nutzer in Deutschland (Facebook: 18,2 Mio.). In Österreich gibt es etwa 650.000 VZ-Mitglieder (Facebook: 2,4 Mio.). Nutzer haben im Schnitt 120 Kontakte, vor allem Spiele sind sehr populär. Der gebürtige Wiener Clemens Riedl (40) ist seit Februar 2010 Chef der VZ-Netzwerke. Zuvor war er beim Verlag Holtzbrinck tätig, dem das Online-Netzwerk gehört.

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