
Wie sich Fake News in Österreich und Deutschland verbreiten
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2016 ist ohne Zweifel das Jahr der „Fake News“. Dank sozialer Netzwerke wie Facebook verbreiten sich Falschmeldungen und Gerüchte rasant. Das hat mittlerweile weitreichende Konsequenzen: Ein US-Amerikaner schießt um sich, weil er falschen Berichten über einen Kinderpornoring von Hillary Clinton nachgeht, Pakistan droht Israel wegen eines Fake-Artikels mit einem Nuklearschlag und russische Politiker machen mit einer erfundenen Vergewaltigung Stimmung gegen die deutsche Flüchtlingspolitik. Dem stellen sich seit einer Weile die Social-Media-Redakteurin Karolina Schwarz und Programmierer Lutz Helm entgegen. Sie haben im Februar das Projekt Hoaxmap.org gegründet, das unter anderem für den Grimme Online Award nominiert wurde. Darin sammeln sie Gerüchte, die mittlerweile widerlegt werden konnten.
"Spitze des Eisberges"
„Wir wollten eine Art Nachschlagewerk für Menschen schaffen, die mit Gerüchten konfrontiert sind. Gleichzeitig wollten wir eine Debatte über Informations- und Medienkompetenz anregen“, erklärt Schwarz auf dem Hacker-Kongress 33C3, der derzeit in Hamburg stattfindet. Seit der Gründung konnten sie 436 Einträge sammeln, viele davon auch aus Österreich. Das sei aber nur „die Spitze des Eisberges“, wie Schwarz erklärt.
Die Hoaxmap-Gründer haben die Gerüchte auch nach Themen ausgewertet. So hatten besonders viele Fake-News zum Thema Geld- oder Sachleistungen ihren Ursprung in Österreich und im Süden Deutschlands. „Da lässt sich jetzt auch nicht eins zu eins sagen, dass dort der Neid besonders groß ist, aber es fällt doch sehr ins Auge“, sagt Helm.
Welchen Ursprung die Geschichten haben, ist meist unklar. In einem großen Teil der Fälle ließ sich aber nachweisen, dass sich diese wie bei „stiller Post“ über soziale Medien wie Facebook oder WhatsApp weiterverbreitet haben. Ein Beispiel dafür: Tatjana Festerling, eine der führenden Personen der deutschen Pegida, warnte, dass es Fälle von Tuberkulose in einem Dresdner Krankenhaus geben soll. Als Beweis veröffentlichte sie auf Facebook ein Foto von Zelten vor dem Krankenhaus. Diese waren aber für eine Einweihungsfeier eines neuen Gebäudes vorgesehen, die das Krankenhaus wenig später feiern wollte. „Es gibt irgendein Geschehen und es wird dann eine Geschichte daraus gemacht“, so Helm.
Aus dem Netz zusammenkopiert
Ganz nach dem Sprichwort „in jedem Märchen steckt auch ein Körnchen Wahrheit“ gab es bei knapp 50 Fällen ein „ursächliches Geschehen“, das jedoch mit falschen Informationen ausgeschmückt wurde. 50 weitere Fälle sind auf Falschaussagen bei der Polizei zurückzuführen.
Es kommt aber auch vor, dass Geschichten komplett erfunden werden. So konnten die Hoaxmap-Gründer eine Meldung über die angebliche Verhaftung von Terroristen im deutschen Sigmaringen widerlegen. Dort befindet sich unter anderem ein Erstaufnahmelager. Der angebliche Bericht wurde aber offenbar aus alten Meldungen über verhinderte Bombenanschläge aus anderen Regionen zusammenkopiert und angepasst. Eine Verhaftung oder gar Pläne für einen Bombenanschlag gab es nicht.
Beobachten statt sofort reagieren
Um nicht selbst Opfer von falschen Quellen zu werden, setzt Hoaxmap vor allem auf Ruhe und Besonnenheit – etwas, das vielen Online-Redaktionen im Wettrennen um Breaking News oft fehlt. „Wir entschleunigen da im Zweifelsfall einfach und machen nicht tagesaktuell jede Meldung sofort und beobachten, wie sich eine Geschichte entwickelt“, so Schwarz. Dennoch sind sie auch bei Hoaxmap auf die Arbeit von Journalisten angewiesen. So belegen sie die widerlegten Gerüchte mit Recherchen und Gegendarstellungen, die von Journalisten, Faktencheckern und Behörden veröffentlicht werden.
Ein Allheilmittel können die Hoaxmap-Gründer auch nicht bieten. Facebook will in den USA künftig Domains, die besonders häufig Fake-News verbreiten mit einem Warnhinweis versehen. Das würde laut Schwarz im deutschsprachigen Raum nicht funktionieren, da die Gerüchte selten über bestimmte Websites verbreitet werden, sondern eher als Facebook-Posting oder Nachricht. Hier leisten vor allem Faktenchecker wie Mimikama, Kobuk oder der deutsche Bildblog wertvolle Aufklärung.
Auch Innenministerium verbreitete Fake News
Derartige Faktenchecks finden zwar selten ein ähnlich großes Publikum wie die Gerüchte selbst, aber hin und wieder gibt es Ausnahmen. Als positives Beispiel hebt Schwarz den Fall eines deutschen Supermarkt-Inhabers hervor. Er dementierte bereits früh ein Gerücht, Asylwerber würden bei ihm im Supermarkt stehlen. Sein Facebook-Posting ging viral und wurde in ganz Deutschland gelesen. „Wenn man dem sehr schnell einen Riegel vorschiebt, lässt sich da noch was machen“.
Mit „Hoaxsearch“ gibt es seit kurzer Zeit auch eine Suchmaschine, mit der rasch fragwürdige Berichte überprüft werden können. Einem „Fake News“-Abwehrzentrum oder -Verboten, wie sie vom deutschen Innenministerium vorgeschlagen wurden, können die beiden nichts abgewinnen. Sie befürchten, dass das zu einer Einschränkung der Redefreiheit führen könnte und bezeichnen das Abwehrzehntrum, in Anspielung an George Orwells „1984“, abfällig als „Wahrheitsministerium“. Kurioserweise wäre Innenminister Thomas de Maizière selbst ein Fall für das Abwehrzentrum: Er verbreitete unbelegte Statistiken über Flüchtlinge und landete bereits zwei Mal auf der Hoaxmap.
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