© Philipp Naderer / European Forum Alpbach

Technologiegespräche

"Wir müssen auch gegen extreme Meinungen tolerant sein"

Es heißt oft, das Internet ist ein rechtsfreier Raum – weil man verschiedenen Verbrechen nicht habhaft wird. Ist das Internet ein Menschenrechtsfreier Raum?
Das Internet und die technologische Revolution ist eine unglaubliche Chance für die Menschenrechte. Ohne soziale Medien hätte man Diktaturen nicht stürzen, hätte der Arabische Frühling nicht stattfinden können. Soziale Medien helfen, dass sich Menschen schnell organisieren können. Dort, wo die Meinungsfreiheit herrscht, können Missstände aufgezeigt werden. Das Internet ist eine wichtige Erfindung zur Wahrheitsfindung.

Allerdings gibt es, wenn man sich Facebook-Postings in Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik durchliest, ständig „Verletzungen“. Wie oft würden Sie Verstoße gegen die Artikel der Menschenrechte entdecken?
Wo es Meinungsfreiheit gibt, kann Meinungsfreiheit missbraucht werden, das ist nichts Neues. Das ist in den Printmedien nicht anders. Verhetzung ist in allen möglichen Medien möglich. Die Gefahr der Verhetzung ist größer geworden, das beginnt mit radikalen Inhalten und endet bei Heiliger-Krieg-Aufrufen.

Wie beurteilen Sie das Posting von FP-Chef Strache anlässlich des Amoklaufs in Graz?
Auch das ist Verhetzung, aber für Gerichte ist es schwer, die Grenze zu ziehen. Wir müssen auch gegen extreme Meinungen tolerant sein.

Tolerant? Unterschätzen Sie nicht die Macht der Sozialen Medien? Rassistische Postings, oft auch von Politikern, nähren den Boden, auf dem Radikalismus gedeiht.
Ich unterschätze das nicht. Internet-Kriminalität ist ein reales Problem. Es ist nur durch die klassischen Mittel der Zensur und Bestrafung schwerer in den Griff zu bekommen. Google sperren, Facebook sperren, ist keine Dauerlösung. Das ist ein gewisser Preis, den wir für die Vorteile des freien Zugangs zum Web zahlen müssen. Ein weitaus größeres Problem ist die weltweite Überwachung. Dass wir faktisch alle ständig auf Schritt und Tritt verfolgt werden können. Der klassische Datenschutz funktioniert nicht mehr.

Facebook zensuriert Brüste, zensuriert aber nicht rassistische und gewaltverherrlichende Postings.
Das ist die amerikanische Scheinheiligkeit und Doppelmoral. Das gilt nicht nur für Facebook, sondern auch in den analogen Medien.

Sie müssten als Menschenrechtler und einer der Folter-Experten der Welt ständig überwacht worden sein.
Ich bin von verschiedenen Geheimdiensten dieser Welt überwacht worden. In China haben wir alle zwei Stunden die SIM-Karten ausgetauscht, weil sie unsere Handys geknackt haben. Nordkoreanische Geheimagenten wussten intimste Geheimnisse meiner Kinder, und die CIA, NSA oder russische Geheimdienste sind ebenfalls gut über mich informiert.

Wie geht man mit der Situation um, dass man ständig kontrolliert wird?
Die einen werden paranoid, verlieren ihre Lebensqualität und treffen sich nur noch an geheimen Orten. Die anderen, so wie ich, finden sich mit der Situation ab. Ich habe aber aufgepasst, dass ich Menschen, für die ich mich eingesetzt habe, nicht in Gefahr bringe.

Inwieweit könnte Technologie Kriege verhindern?
Ich sehe derzeit eher die Gefahr, dass Technologie Kriege erleichtern könnte, insbesondere wenn man an die Automatisierung von Waffensystemen denkt. Das ist die künftige Kriegsführung, da muss man gegensteuern bevor es zu spät ist.

Manfred Nowak ist Professor für internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien sowie Gründer und wissenschaftlicher Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte in Wien. Zwischen 1993 und 2006 hatte er verschiedene Funktionen als UNO-Experte für erzwungenes Verschwindenlassen inne; von 1996 bis 2003 war er einer von acht internationalen Richtern an der Menschenrechtskammer für Bosnien und Herzegowina in Sarajevo; und zwischen 2004 und 2010 übte er das Mandat des UNO-Sonderberichterstatters über Folter aus.

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