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MUSIKMESSE MIDEM

"Wir sind wieder an einem Napster-Moment"

Der französische Kulturminister Frederic Mitterrand eröffnete am Sonntag das Branchentreffen von Künstlern, Managern und Produzenten. "Musik ist einer der schönsten kulturellen Werte", sagte der Minister bei der Eröffnung. Zugleich sprach Mitterrand das unkontrollierte und unbezahlte Herunterladen von Musik aus dem Netz an.

"Die neuen Ideen für kostenpflichtige Musik aus dem Internet sind sehr vielversprechend", sagte Mitterrand. "Aber die Musikbranche ist noch nicht gerettet." Wesentlich dafür sei, die Werte der Musik und die Rechte der Autoren zu bewahren. "Kultur hat ihren Preis", sagte Mitterrand.


Kritik an rechtlichen Rahmenbedingungen

Die Branche muss sich neu erfinden. In den vergangenen zehn Jahren hat die Tonträgerindustrie nach Angaben des Weltverbandes der Phonoindustrie (IFPI) mehr als 40 Prozent ihres Umsatzes mit CDs eingebüßt. Die Umsätze im Digitalgeschäft können die Verluste nicht wettmachen.

Branchenriesen geißeln häufig die schlechten Rahmenbedingungen - so auch Jean-Bernard Lévy, Chef des Universal-Music-Mutterkonzerns Vivendi, der vor allem in Deutschland ein schärferes Vorgehen gegen nicht autorisierte Downloads anmahnte.

Raum für neue Ideen

Der Abstieg der traditionellen Tonträgerindustrie lässt aber auch Raum für neue Ideen und Start-ups. Mehr als ein Drittel der Aussteller in Cannes besucht zum ersten Mal die Messe.

Kleinere, jüngere Unternehmen sehen häufiger die Vorteile der neuen Ära: "Eine innige Verbindung zu den Fans kann für eine Band das Fundament einer lebenslangen Karriere sein", meinte Emily White von der US-Firma Whitesmith Entertainment. Vor allem Musiker der jüngeren Generation nutzen das Internet als Spielwiese für Experimente und den direkten Fan-Kontakt.

Zusammenarbeit mit den Fans

"Ich arbeite mit meinen Fans zusammen. Sie schicken mir selbst gedrehte Filme, Fotos, Texte, Ideen und ich mache daraus Songs und Videoclips", sagte die britische Sängerin Imogen Heap am Wochenende zum Start des Kongresses Midemnet, der mit der Midem verbunden ist. Auf diese Art wolle sie vier Lieder pro Jahr schreiben. "Ich bin viel auf Tour und komme kaum zum Songschreiben. Mit der Unterstützung der Fans kann ich mir die regelmäßige Auszeit viel besser nehmen."

Auch ein Chartstürmer wie der französische Star-DJ David Guetta kann sich ein Musikerleben ohne Soziale Netzwerke nicht vorstellen. Bei Facebook hat er mittlerweile rund 15 Millionen Fans - der Grund? Er gebe viel von sich und seiner Musik über das Netzwerk an die Fans, das verbinde. Und: "Ich twittere selbst, das macht kein anderer für mich", erklärte er. So bleibe er in direktem Kontakt zu den Fans, die meist erheblich jünger seien - ein weiterer Vorteil: "Inspiration kommt immer von der jüngeren Generation. Ich lerne viel von denen."

"Das Album ist tot"

"Manchmal ist es sinnvoll, Musik umsonst abzugeben, um eine Fan- Basis aufzubauen, die sich später auszahlt", ergänzte Mathieu Drouin von Chrystal Math Management in Kanada. So habe die Indierockband Metric ein Album für 99 Cent beim Service Spotify angeboten - "die Ticketverkäufe schnellten in die Höhe und mittlerweile machen sie Millionen", unter anderem mit dem Song "Eclipse" vom "Twilight"- Soundtrack.

Die US-Gruppe Ok Go ist selbst ist ein echtes Internet-Phänomen: Ihre Clips werden im Netz millionenfach angeklickt und waren die Basis für ihre weltweite Bekanntheit. Die meisten Künstler müssten heutzutage eben viele verschiedene Wege gehen, um von ihrer Musik leben zu können: "Das Album als Kern der Musikindustrie ist tot", sagte Sänger Damian Kulash. Wichtig: Die Vernetzung mit den Fans. Ok Go bieten Remix-Wettbewerbe, rufen Fans zum Videodreh auf oder veröffentlichen deren Grafikentwürfe für das Plattencover.

Im April will die Band ein Video veröffentlichen, das im neuen Internetstandard HTML5 gedreht ist - damit haben bereits Arcade Fire und die Gorillaz experimentiert. Das Video lässt sich mit Web-Inhalten wie Google Maps verbinden und kann interaktiv vom Fan beeinflusst und verändert werden. "Wir haben nicht das Gefühl, dass wir die neuen digitalen Techniken nutzen müssen, um daraus ein Geschäft zu machen, sondern wir tun das wegen der kreativen Möglichkeiten."

"Napster-Moment"

"Wir sind wieder an einem Napster-Moment", sagte Mark Mulligan vom internationalen Marktforschungsinstitut Forrester Research bereits am Samstag auf der begleitenden Messe MidemNet. 1999 hatte es die Webseite Napster ermöglicht, im Internet Musik zu tauschen und herunterzuladen und damit ein Jahrzehnt des Abstiegs für die Tonträgerindustrie eingeleitet.

Nach Ansicht Mulligans steckt die gesamte Branche noch in den Kinderschuhen. "Nach den Pferdekutschen sahen die ersten Autos auch noch aus wie Kutschen", sagt Mulligan. "Täuschen wir uns nicht - wir sind ganz am Anfang der Entwicklung." Erst jetzt wachse die erste digitale Generation heran, die ihr Leben selbstverständlich online organisiert und natürlich auch von digitaler Musik begleitet werden möchte.

Musik sei schon immer gemeinschaftlich genutzt worden, in der Familie, mit Freunden auf Konzerten oder in der Diskothek. "Aber jetzt kommt etwas ganz Neues: Wir tauschen und hören Musik mit Nutzern auf der ganzen Welt." Die große Frage der Branche wird es sein, wie diese Online-Musik langfristig finanziert werden kann. Noch bis Mittwoch wird sich die Branche in Cannes über ihre Zukunftsvisionen austauschen.

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(APA/dpa/dapd)

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