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Medien

YouTube sägt am Thron der Fernsehsender

Die Zeiten, in denen YouTube aus schlecht gemachten Katzenvideos und verwackelten Aufnahmen von mehr oder minder lustigen Hoppalas bestand, sind vorbei. Heute gibt es auf der Plattform zuhauf professionell produzierte Inhalte - oft in Full-HD-Auflösung - zu sehen, von Filmen und Serien über Videos mit Schminktipps bis zu Nachrichtenformaten. Neben traditionellen Medienhäusern, die versuchen ihre Produktionen über Googles Online-Videoplattform zweitzuverwerten, ist mittlerweile eine Industrie entstanden, die ihre Inhalte primär für YouTube produziert und zwar mit professionellem Personal und Produktionsmitteln.

Sogenannte YouTube-Netzwerke nehmen aussichtsreiche Video-Produzenten, die ihre Inhalte in YouTube-Kanälen bündeln, unter Vertrag und unterstützen diese mit professionellem Marketing, Equipment und Produktions-Profis, die helfen, die Qualität der Videos auf einem ansprechenden Niveau zu halten. Dafür werden die Netzwerke an den Werbeeinnahmen beteiligt, die von Googles YouTube - das ebenfalls ein Stück vom Kuchen bekommt - entsprechend den Aufrufen verteilt werden. Entstanden sind die ersten Netzwerke aus der YouTube-Community. Ausgestattet mit Venture-Kapital haben sie in den vergangenen vier bis fünf Jahren auch im deutschsprachigen Raum einen beachtlichen Teil des YouTube-Marktes erobert.

Schlachtfeld Web

Im Internet, wo die Werbung günstig, die Zuseher jung und die Nutzerinteressen exakt ausgewertet sind, entsteht so ernsthafte Konkurrenz für traditionelle Bewegtbild-Anbieter. Für die Produzenten kommerziell orientierter YouTube-Videos sind die Netzwerke interessant, weil sie über die Vermarktung der Inhalte über ihr gesamtes Angebot hinweg die Reichweiten - und damit die Einnahmen - entsprechend erhöhen können. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass ein Kanalbetreiber pro Tausend Klicks ungefähr 1,50 Euro verdient. Die Verträge zwischen Video-Produzenten und Netzwerken laufen normalerweise zwei Jahre. Die exklusiven Vereinbarungen erinnern ein wenig an das System im Hollywood der 20er-Jahre, als die Schauspieler praktisch ihren jeweiligen Studios gehörten.

Im Netz stehen TV-Sender und YouTube-Netzwerke, die Inhalte verbreiten, im Wettbewerb. In einer nicht allzufernen Zukunft werden alle Bewegtbild-Inhalte über IP übertragen, dann gibt es nur noch einen Markt und für den sind die YouTube-Netzwerke derzeit wahrscheinlich besser gerüstet”, sagt Bertram Gugel, unabhängiger Berater für Firmen im Bereich Online-Video. Auf YouTube sind die Angebote angestammter TV-Sender bei weitem nicht so beliebt wie die Kanäle der neuen YouTube-Stars.

Der Kanal der deutschen ARD hat rund 120.000 Abonnenten, SkySportHD schafft mit Highlight-Clips von Sportereignissen immerhin 237.000. In Österreich ist ServusTV YouTube-Marktführer. 2.267 YouTube-User haben ein Abo für den Kanal des Mateschitz-Senders. Allein YTITTY, einer der beliebtesten deutschsprachigen YouTubeKanäle, hat über zweieinhalb Millionen Abonnenten. Das Angebot bietet Commedy-Clips und gehört als eines von vielen zu Mediakraft, dem stärksten YouTube-Netzwerk im deutschsprachigen Raum. Die Zielgruppe der neuen Generation von Bewegtbild-Angeboten ist, genau wie ihre Stars, sehr jung.

Junge Augen

Die Sehgewohnheiten dieser jungen Seher verändern sich zunehmend. In Deutschland ist die durchschnittliche tägliche Fernsehdauer 2012 erstmals gesunken. Bei jungen Menschen zwischen 14 und 19 Jahren ist der TV-Konsum im Vergleich zu 2011 um zehn Prozent zurückgegangen, wie die Zeit kürzlich berichtet hat. In Österreich sehen Jugendliche ebenfalls vergleichsweise wenig fern. Auch in Österreich verbringen junge Menschen immer mehr Zeit im Internet, wo Video-Inhalte zu den beliebtesten Angeboten gehören. Internetnutzer unter 19 Jahren haben im Vorjahr laut Integral bereits 15 Stunden pro Woche im Netz verbracht, während der wöchentliche TV-Konsum der unter 29-Jährigen laut ORF bei knapp elf Stunden liegt. “Vor allem junge Leute sehen schon in der Früh kurze Videos und teilen diese mit ihren Freunden – so entsteht Kommunikation und Interaktion zwischen Publikum und den Videomachern. Dieses Nutzerverhalten wird sich nicht mehr ändern”, so Christoph Poropatits, Exucutive Vice Presidents Broadcast & Operations bei Mediakraft.

Die von Netzwerken produzierten Inhalte unterscheiden sich von den Sendungen, die traditionelle Medienhäuser im TV und auf YouTube präsentieren. Die Schnitte sind schnell, der Ton ungezwungen und die Themen auf eine junge Zielgruppe zugeschnitten. Zu den beliebtesten Inhalten zählen Beauty- und Lifestyle-Sendungen und Mitschnitte von Computerspielen. Qualität und Quantität dieser Sendungen sind in den vergangenen Jahren gestiegen, was auch auf die Investitionen der Netzwerke zurückzuführen ist. "Die Erwartungshaltung der Community steigt mit jedem Video. Würde ein Kanal heute ein Video auf dem Stand von vor vier Jahren online stellen, wären die Fans sicher nicht zufrieden. Wir stellen den Betreibern unserer Kanäle teilweise Profis an die Seite. Das wird im Einzelfall entschieden, die Refinanzierung spielt dabei auch eine Rolle", sagt Poropatits. Die Mediakraft unterhält derzeit Studios in Köln, Hamburg, Berlin und Amsterdam.

Beeindruckende Zahlen

Finanziert wird das Wachstum der YouTube-Netzwerke derzeit durch Venture-Kapital. Die Kosten für die Erstellung der Inhalte steigen zwar durch die Professionalisierung, von den Beträgen, die im TV-Geschäft bezahlt werden, ist man aber noch weit entfernt. "Bei den Kanälen, die wir aufnehmen, gibt es viele junge Talente, auch in Bereichen wie Videoschnitt oder Kamera. Diese haben oft freie Kapazitäten und können - wenn sie wollen - dann auch bei anderen Kanälen mitarbeiten. Wir fischen also nicht unbedingt im selben Talentepool wie Fernsehanstalten", so Poropatits.

"YouTube erhält proportional den größten Anteil an den Einnahmen, den Rest teilen sich Netzwerke und ihre Partner. Die Aufteilung ist von Kanal zu Kanal unterschiedlich, je nach Erfolg des Kanals und Ressourcen, die wir zur Verfügung stellen. Wir stellen vor allem sehr kleinen Kanälen die kompletten Einnahmen nach Abzug des YouTube Anteils zur Verfügung", so Mediakraft-Manager Poropatits. Bewerben kann sich bei den meisten Netzwerken jeder, eine Aufnahme in deren Angebot ist aber keineswegs gewiss.

Die Mediakraft kommt mit all ihren Kanälen im Monat auf rund 200 Millionen Klicks, mit hunderten von Kanälen und Millionen von Abonnenten. Dass andere auf YouTube mittlerweile Geld verdienen, hat sich auch in der Medienbranche herumgesprochen. Im ersten Halbjahr 2013 haben Konzerne wie Bertelsmann, Comcast oder Time Warner etwa 110 Millionen US-Dollar in YouTube-Kanäle und - Netzwerke investiert, wie Berater Bertram Gugel auf seinem Blog beschreibt. “Lange Zeit galt YouTube als Amateur-Plattform, weshalb die etablierten Medienhäuser die Möglichkeiten unterschätzt haben. Das ändert sich jetzt langsam. Große deutsche Unternehmen wie die Pro7Sat1-Gruppe oder RTL haben zuletzt größere Investitionen getätigt. Pro7 baut derzeit eigene Angebote auf, RTL kauft eher zu”, so Gugel.

Werbekuchen-Verteilung

Auf der marktführenden Plattform YouTube holen sich die Netzwerke bereits einen beachtlichen Teil der Werbeausgaben. “Für Neueinsteiger ist es nicht mehr so einfach. Die Hauptzielgruppe wird schon fast zu 100 Prozent bedient, die Netzwerke kommen langsam schon an eine Wachstumsgrenze. Jetzt geht es vor allem darum, Nischen zu besetzen”, erklärt Gugel. Das macht die Situation für Medienunternehmen, die spät auf den Zug aufspringen, nicht einfacher. Bei den Netzwerken selbst wird die Konkurrenzsituation aber gerne heruntergespielt. "Rivalität zu den althergebrachten Medienunternehmen gibt es nicht. Die bemerken zwar, dass hier ein tragfähiges Geschäftsmodell entsteht und investieren teilweise auch in Netzwerke, ihre Gewinne kommen aber immer noch überwiegend aus ihren angestammten Geschäftsfeldern wie Fernsehen oder Verlagswesen", sagt Poropatits.

Dabei ist die Mediakraft in der Online-Welt schon ein großer Fisch. “Die Mediakraft vereint derzeit etwa 50 Prozent der YouTube-Abrufe im deutschen Markt auf sich”, so Gugel. Auch in Österreich sind die deutschen Netzwerke aktiv. Hier gibt es das YouTube-Partner-Programm erst seit kurzem, eigene Netzwerke haben sich nicht gebildet. Dass die Netzwerke inzwischen ein Machtfaktor im Netz sind, stärkt auch ihr Selbstvertrauen. Vor den Ambitionen von Medienhäusern im Netz fürchten sie sich jedenfalls nicht. "Im Vergleich zu TV-Produktionen haben wir den Vorteil, dass wir sehr gut darüber Bescheid wissen, was unsere Zuseher wollen", gibt Poropatits zu bedenken.

Bandagen werden härter

Die Gefahr eines Mediakraft-Monopols sehen Experten trotz der starken Marktposition aber kaum. “Ein Oligopol wäre eher wahrscheinlich, aber neue Angebote werden das verhindern. Es wird immer Möglichkeiten für Quereinsteiger geben. Bekannte Kanalbetreiber sitzen auf einem langen Ast und bekommen heute schon die gewünschten Vertragsbedingungen von den Netzwerken, was deren Einfluss beschränkt”, sagt Gugel. Mediakraft und Co haben zudem das Problem, dass die Nutzer-Verweildauer auf ihren Kanälen derzeit noch relativ gering ist. "Wir versuchen diesen Wert zu steigern, indem wir in bessere Inhalte investieren und genau analysieren, was funktioniert. Außerdem bleiben User durch Crosspromotionen länger auf den Videos in unserem Netzwerk", erklärt Poropatits.

Dass die Inhalte der Netzwerke sich im Zuge der Professionalisierung zu sehr an jene im Fernsehen annähern, ist ebenfalls eine reale Gefahr. Nach der anarchistischen Grundstimmung, die das YouTube der Amateur-Videos gekennzeichnet hat, muss man heute schon suchen. Die Kommerzialisierung des Angebots ist auch für viele YouTuber der ersten Stunde eine Gefahr für den Charme der Plattform, wie Wired kürzlich kundgetan hat.

Solange die Netzwerke von Kapitalgebern abhängig sind, ist es zudem nicht auszuschließen, dass Medienhäuser mit noch einigermaßen gefüllten Kriegskassen die Gelegenheit ergreifen und sich einkaufen. “Jetzt schon von einem K.O. der Medienunternehmen zu sprechen, wäre verfrüht. Derzeit sehen wir die erste Runde im Kampf um den Bewegtbildmarkt. Es ist noch nichts entschieden. Die Netzwerke müssen noch beweisen, dass sie auf eigenen Beinen stehen können”, relativiert Gugel. Dazu werden sie künftig auch versuchen, andere Märkte zu erobern und den Medienhäusern auch dort Konkurrenz zu machen. “Netzwerke werden ihre Inhalte bei Yahoo, AOL, in Flugzeugen oder im klassischen TV - in angepasster Form - anbringen wollen, wenn die Investoren den Druck erhöhen”, so Gugel. Dann wird das Rennen erst richtig interessant.

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Markus Keßler

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