Im KZ Mauthausen haben die Nazis von 1938 bis 1945 mehr als 200.000 Menschen festgehalten.
Im KZ Mauthausen haben die Nazis von 1938 bis 1945 mehr als 200.000 Menschen festgehalten.
© /Harald Schneider

Geschichte

Youtube und Tablets: NS-Gedenkstätten modernisieren sich

Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stehen die deutschen Gedenkstätten vor neuen Herausforderungen: Von den Menschen, die den Nazi-Terror erlebt haben, leben nur noch wenige. Viele Besucher haben heute keinen familiären Bezug mehr zu Krieg und Nazi-Herrschaft und setzen sich deshalb ganz anders damit auseinander. Neue - auch mal unkonventionelle - pädagogische Konzepte sind gefragt: Es geht weniger um Betroffenheit und reines Erinnern. Stattdessen sollen aktuelle Bezüge Interesse wecken.

Die Queen blickt zusammen mit Schülern gebannt auf ein Tablet. Auf dem Bildschirm ist eine dreidimensionale Rekonstruktion des Konzentrationslagers Bergen-Belsen zu sehen: Baracken, Wachtürme, Zäune - Orte, die heute auf dem Gelände nicht mehr existieren. Die Animation faszinierte nicht nur Elisabeth II. bei ihrem Besuch der Gedenkstätte im vergangenen Juni. Seit August können Schüler und andere Gruppen auf diese Weise das Lager erkunden - und die furchtbaren Zustände dort viel eher nacherleben. „Das Thema war früher viel stärker in der Familie beheimatet“, erläutert die pädagogische Leiterin Katrin Unger. Opa kämpfte noch selbst im Krieg, wurde vertrieben oder geriet in Gefangenschaft. „Heute wird es mehr zum Thema aus dem Geschichtsbuch. Es rückt ein Stück weiter weg.“

Technik

Auch in der Gedenkstätte Ravensbrück im brandenburgischen Fürstenberg rücken die Pädagogen von den frontalen Führungen ab. Moderne Technik und direkte Ansprache sollen die Besucher fesseln. „Wir haben keinen standardisierten Führungstext“, sagt der pädagogischer Leiter Matthias Heyl. So lassen er und sein Team Jugendliche eigene Youtube-Videos drehen, in denen sie das ehemalige Frauen-KZ anderen vorstellen. Oder die Besucher führen das pädagogische Personal an Orte in der Gedenkstätte, die sie interessieren. „Es geht darum, Gesprächsanlässe zu kreieren“, erläutert der 50-jährige Heyl.

Was funktioniert und was nicht? Marcus Meyer und sein Team am Bremer U-Boot-Bunker Valentin konnten viel von den Erfahrungen anderer Einrichtungen profitieren. Die Gedenkstätte in dem gigantischen Nazi-Bauwerk besteht seit gut zwei Monaten, die veränderte Besucherstruktur prägte von Anfang an die pädagogische Arbeit. „Es gibt generell die Panik, dass Menschen mit Migrationshintergrund oder aus der vierten Nachkriegsgeneration kein Interesse mehr an dem Thema haben“, sagt Meyer, der wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte ist. „Es ist aber vor allem eine Frage, wie man auf sie zugeht.“

Einzelschicksale

In Bremen setzen sie vor allem auf die Schicksale einzelner Zwangsarbeiter, die auf der riesigen Bunkerbaustelle schuften mussten. „Dadurch wird es viel greifbarer“, sagt der 40-jährige. „Da ist man schnell bei Empathie, ohne dass man diese konstruieren muss.“ Bei den Führungen steht der Blick der Besucher im Vordergrund. Meyer und seine Kollegen schicken diese zum Beispiel mit Tablets über das Gelände, mit denen sie die Orte fotografieren sollen, die sie spannend finden. „Unser Anspruch ist nicht, dass die Menschen das System Zwangsarbeit verstehen, sondern dass sie über den Ort nachdenken.“

Ähnlich sieht es Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte im bayerischen Flossenbürg. „Es ist uns lieber, dass die Leute mit drei Fragen nach Hause gehen, als sich von 15 Antworten erschlagen zu fühlen.“ Der 47-Jährige fordert: weg von der Betroffenheitskultur. Gedenkstätten müssten vielmehr eine Plattform für ein kritisches Geschichtsbewusstsein sein. „Es geht nicht mehr nur ums Erinnern, sondern auch darum, Anlässe zu schaffen, über aktuelle Konflikte zu reden.“ Ein Beispiel: Die Gedenkstätte lud Ultra-Fußballfans aus Deutschland und Tschechien ein, um sie miteinander ins Gespräch zu bringen. Daraus entstand eine Diskussion über Fankulturen und dass sich diese nicht gegen Minderheiten wie Homosexuelle oder Juden richten sollten.

Gedankenaustausch

Vor allem die kleinen Gedenkstätten können nach Ansicht des Gründers des Gedenkstätten-Forums, Thomas Lutz, persönliche Nähe vermitteln, denn ihre Besucher kommen meistens aus der Region. „Die kleinen Einrichtungen machen deutlich, dass Geschichte auch mit einem selbst zu tun hat.“ Sie stellt der Generationswechsel noch vor eine weitere Herausforderung: Ihnen könnte bald der Nachwuchs fehlen.

Das Gedenkstätten-Forum wurde von der Berliner Stiftung Topographie des Terrors ins Leben gerufen, um den Austausch der Gedenkstätten zu fördern. Lutz hat deshalb eine gute Übersicht über ihre Lage: Zweidrittel der knapp 300 deutschen Gedenkstätten und Initiativen werden seinen Angaben nach von Vereinen getragen. Es gebe zwar gut ausgebildete junge Geisteswissenschaftler, die aber meist nur an Projekten mitarbeiten würden. An der Vorstandsarbeit im Verein beteiligten sie sich dagegen ungern, sagt der 58-Jährige. „Die Auswirkungen werden sich in den nächsten zehn Jahren zeigen.“ Kreativität ist deshalb auch in dieser Hinsicht gefragt. So gebe es Überlegungen, dass sich mehrere Einrichtungen einen hauptamtlichen Mitarbeiter teilen oder dass sie Minijobber einstellen könnten.

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