Peter Glaser: Zukunftsreich

Alles Apple oder was?

Während des ersten Interviews nach dem Tod von Steve Jobs, das seine Witwe Laurene Powell Jobs gab, fragte der NBC-Anchorman Brian Williams sie, wie sich das anfühlt, wenn man an einer Ampel hält und zehn Leute überqueren die Straße, und das, was sie alle gemeinsam haben, sind weiße Kopfhörer.

„Ampel“, dachte ich. Wie würden Verkehrsampeln von Apple aussehen? Ich versuchte mir vorzustellen, wie es sein könnte, wenn die ganze Welt applefiziert würde. Wenn das Prinzip Apple immer weiter um sich griffe. Richtige Apple-Menschen möchten, dass alle etwas von dieser wunderbaren Firma haben, am liebsten überhaupt alles. Ich überlegte, ob der Wunsch von Steve Jobs, eine Delle im Universum zu hinterlassen nicht vielleicht zu bescheiden gewesen war und das Ganze auf eine viel vielfältigere Art weltumfassend sein müßte.

Verkehrsampeln zum Beispiel würde es in einer solchen Welt nur in schwarz und weiß geben. Ein weißes Ampellicht für Fahren, ein schwarzes für Halten, mehr braucht es nicht. Die Gelbphase wird durch einen weich animierten Übergang in Grau ersetzt. Sir Jonathan Ive wird euch zeigen, dass Buntheit heilbar ist. Sir Ive, die Mutter aller Modernitätsgestalter.

Mir fiel ein, dass es kein schwarzes Licht gibt. Ach was. Es hieß in der Entwicklungsphase auch, dass das gar nicht geht, alle Funktionen am iPod auf einen Knopf zu reduzieren. Dass man kein Telefon ohne Tasten machen kann. All das kann man.

Ein Freund aus England rief an, auf dem Festnetz. Leider gibt es noch keine Festnetze von Apple, nicht einmal zu Weihnachten. Ich konnte ihn nur schlecht verstehen. „Samsung‘s wrong with my phone“, rief ich in das Gerät.

„Kekk-kek Kek!“ – meine Katze kann Fremdsprachen. Sie saß auf der Fensterbank vor dem zum Lüften offenen Fenster und sprach vöglisch. Auf dem Ahorn draußen im Hof staunten die Wintervögel. Mein Großvater fiel mir ein, den ich einmal gefragt hatte, was er den Tag über so mache und der mir geantwortet hatte: „Lüften.“ Eine Familientradition. Ich hielt der Katze mein iPhone hin. „Soll ich im Internet danach suchen?“, fragte Siri.

Mein englischer Freund, der das mitbekam, fand, dass mein Siri langsam reagieren würde. „Ich hab eine österreichisch lokalisierte Version“, sagte ich zur Rechtfertigung. „Lokalisirisiert“, verbesserte ich mich. Dann wies ich auf eine Anmerkung von Jan Zijderveld hin, dem Europa-Chef des Konsumgüterkonzerns Unilever. Der Handel - ein maßgeblicher Teil unserer Welt - habe Nachholbedarf bei Präsentation und Service, so Zijderveld, und „in einem Apple-Store denkt jeder: Wow, was für ein Erlebnis! Warum können wir Lebensmittel nicht wie Apple-Geräte verkaufen? Warum gibt es keine Genius-Berater für Hühnerfleisch?"

Ja, warum eigentlich nicht?

Ist es Chicksal oder Bestimmung, dass Fleisch- und Wurstwarenabteilungen unhip sind? Nein, das muß nicht sein, da waren wir mit Zijderveld einer Meinung. Wie also müßte eine Welt made by Apple aussehen? Wertig. Cool. Schön müßte sie sein, sagte ich dann mit einer leisen Melancholie, „aber leider ein bisschen teuer.“ Und es gäbe nur die drei Farben Lackweiß, Lackschwarz und Aluminium.

Bei PKWs ist es fast schon soweit. Autos gibt es offenbar nur noch in Weiß, Rollkragenpulligraphitschwarz und Silbermetallisé. Grüne, rote und weiße Autos sind vernachlässigbares Minderheitenprogramm, und blaue Autos gibt es überhaupt nicht. „Unser Marktanteil ist größer als der von BMW oder von Mercedes oder von Porsche in der Autoindustrie”, soll Steve Jobs mal gesagt haben, als Apple neben den PC-Giganten und Microsoft einen Marktanteil dünn wie ein Schatten an der Wand hatte – „Was ist falsch daran, BMW zu sein?“

Das Selbstbewußtsein des typischen Apple-Nutzers wurde dadurch nicht beeinträchtigt. „Mac-User sind die besseren Menschen”, schrieb einer damals ins Netz, “klüger, toleranter sowieso, sie sind besser aussehend, reicher, erfolgreicher, naturverbundener, sexier, und sie haben das Savoir-Vivre und die schöneren Weiber.” Damals hatte der typische Mac-User Mitleid mit der Mehrheit. Er war ein Bewohner des digitalen kleinen gallischen Dorfs. Eine unfaßbare Marketing-Meisterleistung ist, dass sich noch heute, nachdem Apple längst im Begriff ist, den PC-Markt zu versenken, der paradoxe Eindruck hält, als Apple-Kunde an etwas Rarem und Besonderem teilhaben zu können.

„Wusstest du, dass die Queen einen silbernen iPod mini hat?“, fragte mein englischer Freund. Ich dachte nach. Man könnte das britische Königshaus verklagen, weil es sich auch „Die Firma“ nennt. Ich finde, das geht nicht. Wir malten uns eine Welt aus, in der man nur noch in Begleitung jeweils eines Anwalts von Apple und eines von Samsung auf die Straße gehen konnte und die Juristen einem, wenn man Glück hatte, halfen, seine Einkäufe zu tragen. Aber diese Welt gefiel uns nicht, also dachten wir uns eine andere aus.

Aber ich schweife ab. Was Laurene Jobs auf die Frage von Brian Williams geantwortet hat? Sie sagte: „Es ist ziemlich cool.“ Ich erzählte meinem Freund am Telefon, worüber ich mich gerade mit meinen Lesern austauschte, und dann schwiegen wir und ich schaute aus dem Fenster und wartete darauf, dass zehn Leute mit weißen Kopfhörern vorbeigingen. „Es ist ziemlich cool“, wiederholte ich nach einer Weile, worauf mein englischer Freund etwas angesäuert war, weil er dachte, ich meine, es sei cool, dass nicht ein einziger Mensch mit weißen Kopfhörern vorbeigegangen war. Ich behob das Missverständnis.

„Das ist ziemlich cool“, hörte ich aus dem Telefon.

Die Katze versuchte, mit dem iPhone zu spielen, aber es war zu glatt, zu flach und für eine Katze zu schwer. Dann ging ich ins Internet, und von der Fensterbank aus sah mir die Katze zu, cooler als alles sonst. Ich versuchte mir eine Katze von Apple vorzustellen, aber das geht nicht.

Den Schluss der Geschichte kann ich leider nicht verraten, denn damit würde ich gegen die Apple-Verschwiegenheitspflicht verstoßen.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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