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Peter Glaser: Zukunftsreich

Als Computern sexy wurde

Hübsche Beine waren das eine. Das andere war Geschwindigkeit. „Nun können Frauen auch einem Bus nachrennen“, sagte die Modemacherin Quant einmal über das von ihr erfundene und durchaus auch zweckmäßige Textil. 1962 hatte sie die ersten Minis in ihrer Boutique ausgestellt. Männer mit Melone klopften damals mit ihren Schirmen gegen das Schaufenster, um ihrer moralischen Entrüstung Ausdruck zu verleihen.

(Die besserwisserische Wikipedia belehrt uns übrigens, dass der Minirock bereits im Jahre 1932 mit der Deutschen Operette „Der Zarewitsch“ von Franz Lehár in die Modewelt eingeführt wurde. Damals trug ihn, mit wadenhohen, hochhackigen Lederstiefeln, die Schauspielerin Nora Weindl, bekannt auch aus „Besuch um Mitternacht. Das Nachtgespenst von Berlin“.)

Die erste Kleinrechenanlage

Zu der Zeit, als die Miniröcke von Mary Quant die Welt eroberte, entwickelte die Digital Equipment Corporation (DEC) eine Reihe kleiner, vielseitiger Computer, die sogenannten „Programmable Data Processors“ oder PDPs. Der Begriff steht schlicht für „Computer“, aber DEC wollte sich damit von dem größeren Konkurrenten IBM unterscheiden – größer auch im ganz materiellen Sinn. IBM-Großrechenanlagen füllten ganze Säle. Eine PDP bestand dagegen nur noch aus einem oder mehreren Schränken. Manche der Maschinen waren so klein, dass man sie auch bereits auf einen stabilen Schreibtisch hätte stellen können. Das Glanzstück der Reihe, die PDP-8, kostete etwa 16.000 Dollar und gab vielen Universitäten, Unternehmen und Behörden erstmals die Möglichkeit, Computer einzusetzen.

Mit den PDPs war bereits Computergeschichte geschrieben worden. Am MIT betrieben seit 1948 die ersten Hacker einen Modelleisenbahnclub mit einer technisch extravaganten Modellbahnanlage. Einer von ihnen, Steve Russell, hatte 1961 in 200 Stunden an einer PDP-1 das erste Videospiel Spacewar! programmiert. Freunde aus dem Club halfen ihm, die Mutter aller Ballerspiele zur Vollendung zu bringen, indem sie Dinge wie den Einfluss der Schwerkraft auf die herumfliegenden Raumschiffe codierten. Der Elektrotechnik-Professor Carlton Tucker, der die Modellbahner immer bei der Beschaffung von Equipment unterstützte, verhalf den begabten Bastlern dann Ende der sechziger Jahre zu einer hochherzigen Spende von DEC, einer PDP-11. Damit war der Tech Model Railroad Club der erste Studentenclub überhaupt, der über einen eigenen Computer verfügte.

Im Minirock-Fieber

Die PDP-8 jedenfalls war der Prototyp einer ganz neuen Gattung von Rechnern. John Kiel, damals Leiter der DEC-Niederlassung in Großbritannien, war von dieser Idee besonders angetan. Mitte der Sechzigerjahre war in der Londoner Carnaby Street alles komplett vom Minirock-Fieber befallen. Kiel schickte Verkaufsberichte in die DEC-Zentrale in den USA (die in einem ehemaligen Textilbetrieb, einer früheren Wollspinnerei, untergebracht war): „Anbei die neuesten Minicomputer-Aktivitäten aus dem Land der Miniröcke, in dem ich mit meinem Mini Minor herumfahre." (Mary Quant wiederum benannte den Minirock angeblich nach dem Auto.)

Die Bezeichnung Minicomputer kam bei DEC hervorragend an, bald griffen auch Fachzeitschriften darauf zu – das Zeitalter der „Minicomputer“ hatte begonnen. Der Begriff war perfekt. Es unterschied die neuen Computer deutlich von den „Big Irons“, den dicken Dingern von IBM, und verband die Neuentwicklung mit dem Zeitgeist. Die Botschaft lautete: Computern ist sexy. „Millicomputer“ hätte nicht funktioniert – obwohl „Mikrocomputer“ als der konzeptuell nächsten Verkleinerungsschritt in der nächsten Phase der Computerrevolution akzeptiert wurde.

Man nahm damals nicht an, dass private Anwender Personal Computer in großem Umfang nutzen würden. Aber es kam anders, und die Firmenriesen DEC und IBM verschliefen diese Entwicklung. Es folgten Gewinneinbrüche von mehreren Milliarden Dollar, der Verlust von erheblich Marktanteilen und vor allem der Ideenführerschaft. 1998 wurde die Firma DEC von dem Computerhersteller Compaq übernommen, den wiederum sich im Jahr 2002 Hewlett-Packard einverleibte. Der Minirock, als modisches Phänomen eigentlich per Definition zu Kurzlebigkeit verdammt, ist zum Klassiker geworden. Die Welt scheint unberechenbar.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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