© Monica Davey, apa

Peter Glaser: Zukunftsreich

Apple Watch: Kultur oder Uhr?

Einmal bin ich von einer Reise mit etwa tausend Fotos nach Haus gekommen, die ich mit meiner Digitalkamera gemacht hatte. Die Leichtigkeit, mit der sich heute eine Springflut von Bildern auslösen läßt, zieht ein neues Problem nach sich: Ich fühlte ich mich meinem Fotoapparat unterlegen. Ich hatte mir vor Ort kaum Einzelheiten gemerkt und alles an den Apparat delegiert. Die Bilder glänzten mit ihrer Detailfülle, während mein Gedächtnis mich angähnte. Durch die Fotos wurde mir auch noch geradezu beschämend das Unfotografierbare deutlich gemacht - das, was nur ich mit meinem komplexen menschlichen Wahrnehmungsvermögen hätte behalten können und was keine Maschine erfasst.

Schon vor 2300 Jahren hatte der griechische Philosoph Platon sich gegen die Kristallisation von Augenblicken in Form von Aufzeichnungen gewandt. Vor allem die Schrift lehnte er ab - sie würde das lebendige Gedächtnis abtöten. (Bemerkenswerter Weise ist uns sein Protest als schriftliche Aufzeichnung überliefert). Es war die Geburtsstunde des Kulturpessimismus, der sich seither von der Auffassung ernährt, dass wir unsere Fähigkeiten an neue Technologien fortgeben, die uns leer und leblos machen. Zivilisationszombies.

Droht uns ein Sprachverfall?

Nun steht der nächste Angriff an. Die groß präsentierte Apple Watch, die demnächst auf den Markt kommt, soll angeblich zur Verbreitung nonverbaler Kommunikationsformen beitragen. Anstatt Textnachrichten abzufeuern, können Benutzer mit anderen Watch-Inhabern in Verbindung treten, indem sie ihnen kleine Skizzen oder Emojis senden. Man kann sogar seinen Herzschlag verschicken, den die Biosensoren der Uhr wahrnehmen. Droht uns dadurch ein Sprachverfall?

Die Bezeichnung „Uhr“ für das Gerät, das nebenbei auch die Zeit anzeigen kann und am Handgelenk getragen wird, ist übrigens eher irreführend, so wie ein iPhone - und mit ihm die ganze Gattung der Smartphones - kein Telefon ist, wie man ursprünglich angenommen hatte, sondern eine Art Universalfernbedienung für unser Leben. Menschen, die man fragt, ob sie damit denn auch telefonieren, sagen immer öfter: immer seltener. Wieder andere vertreten die Theorie, dass Apple mit der angeblichen Uhr nicht die Zeit neu erfinden will, sondern das Geld. NFC heißt das Zauberwort – Near Field Communication. Und wer da im Nahfeld kommuniziert, das sind die Apple Watch und die Registrierkassen dieser Welt. Sie tauschen Bezahldaten aus, früher nannte man diesen Vorgang schlicht „Geld ausgeben“.

Wörter erscheinen umständlich

Features wie das Verschicken von Emojis hat Apple offenbar entwickelt, um den Watch-Anwendern die Möglichkeit zur Kontaktnahme zu geben, obwohl das Zifferblatt der Uhr so klein ist, dass darauf beim besten Willen kein Platz für eine Tastatur ist. (Um die meisten Funktionen des Geräts zu nutzen, müssen die Benutzer ohnehin ein iPhone zur Hand haben.) Nicht nur in den USA nimmt die Sprachvielfalt scheinbar ab. 2012 beklagten deutsche Universitätsprofessoren, der aktive Wortschatz vieler Studenten sei auf „wenige hundert Ausdrücke“ geschrumpft. Manche sehen die Route dieser Reduktion von handgeschriebene Briefen zu knappen E-Mails hin zu Emoji-beladenen Texten führen. Technologie soll die Kommunikation beschleunigenden, Wörter erscheinen da manchem schnell umständlich.

Diese Beschleunigung aber ist eine digitale Fata Morgana. Wir leben in Zeiten des Übergangs. Zu dem Weg in die Zukunft gehört für manchen das Gefühl, nicht mithalten zu können mit den Beschleunigungen der modernen Welt, mit immer kürzeren Sätzen, schnelleren Schnitten. Wir befinden uns, falls das jemanden beruhigen sollte, in einem Phasenübergang und die Beschleunigung gehört zu den Symptomen dieses Übergangs. Was wir derzeit erleben, läßt sich mit einem alten Röhrenbildschirm vergleichen, dessen flimmerndes Bild so lange unruhig macht, bis die Bildfrequenz auf über 70 Hertz steigt. Danach wird das Bild ruhig und klar, auch wenn man weiter beschleunigt. Das Auge ist zufrieden oder betrogen, wie man will. Der Wahnsinn steigert sich nicht ins Unermessliche, sondern wir atmen ihn ein, bis er nicht mehr spürbar ist.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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