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Peter Glaser: Zukunftsreich

Computergefühle

Es tickte. Ich starrte den Rechner an. Kam das Geräusch aus der Außenwelt oder aus meinem Kopf? Die Festplatte? Ich hob den Rechner hoch und horchte daran. Es tickte, ganz leise, aber es war nicht der Rechner. Es dauerte eine Weile, bis klar war, dass solche sonderbaren, unidentifizierbaren, beunruhigenden, Wahnsinn verheißenden kleinen Geräusche sich letztlich immer auf den Schraubverschluss der Thermoskanne zurückführen lassen.

Und da ist dann auch noch dieser tief verwurzelte Irrglaube, Computer hätten etwas mit Vernunft zu tun. Er ist wie mit diesem Ticken. Ich goss mir eine Tasse Kaffee aus der Thermoskanne ein, dann kam ein Freund rein, der zu Besuch war. Er hatte Heuschnupfen.

„Du hast bein Bitgefühl“, sagte ich.

Gefühle sind die interessanteste Art von Ungenauigkeit, die der Mensch kennt. Mein Rechner lag da, und die weisse Diode an seiner Seite pulste weich. Der Rechner atmete.

„Es ist ein fühlendes Wesen“, sagte ich.

„Unsinn“, sagte der Besuch. „Er ist ein Rechner. Er ist ein Aluminium-Hamburger mit Technikfüllung, wenn du ihn unbedingt mit etwas vergleichen willst.“

„Ihr Mac wird in Kürze den Aufregungszustand aktivieren“, sagte ich.

Auf der Hauptversammlung im Frühjahr war Apple-Chef Tim Cook einem Aktionärsvertreter über den Mund gefahren, weil der verlangt hatte, dass alle Entscheidungen bei Apple rein an der Rendite auszurichten seien. „Wenn wir daran arbeiten, unsere Geräte auch Blinden zugänglich zu machen, denken wir nicht an die verdammte Kapitalmarktrendite“, war es Cook wütend entfahren. Man mochte zuvor gemeint haben, gerade Computerfirmen würden mit einem Maximum an Sachlichkeit vulgo Gefühlsabwesenheit geführt. Aber schon Steve Jobs war bekannt gewesen für seine extremen Gefühlsausbrüche. Er weinte oft vor Zorn, sagt sein Biograf Walter Isaacson.

Auch Bill Gates war berüchtigt für seine „Das ist das Idiotischste, was ich je gehört habe!“-Schreiereien auf Konferenzen. Manche seiner Opfer trugen die Beschimpfungen wie eine Medaille. „Zitternde Knie und Panik gehörten stets zum Lebensgefühl bei Microsoft“, berichtet der langjährige Microsoft-Entwickler Marlin Eller.

„Megaherzilein, du mußt nicht traurig sein“, sang ich. Dann fügte ich, ein wenig erstaunt über mich selbst, hinzu: „Es geht doch in Wirklichkeit gar nicht um die Technik.“

Hohe Übertragungsgeschwindigkeiten mit Unterwegsgeräten verwende ich beispielsweise sparsam wie ein Frühmensch ein Glutkrümel. Geschwindigkeitssteigerungen werden ohnehin sofort einkassiert. Im Grunde genommen werden Computer immer langsamer. Wenn ich vor 30 Jahren meinen C64 eingeschaltet habe, war er da, sofort. Vor 20 Jahren hätte ich mir ein Foto, während es übertragen wurde, genausogut am Telefon beschreiben lassen und von Hand zeichnen können, das wäre schneller gewesen als online darauf zu warten. Heute sind die Leitungen HD-videoschnell, aber dann schaue ich hinaus in den wuchernden WLAN-Wald in meiner Nachbarschaft und sehe, wie die verfügbare Kapazität zugewuchert und alles immer langsamer wird. Es ist wie wenn ein Smart und ein Porsche nebeneinander an einer roten Ampel stehen: Schneller warten geht nicht. Du stehst einfach, egal, was für Maschine du fährst.

„Aber all das ist mir im Grunde egal“, sagte ich. „Der Rechner ist nur dazu da, mir ein bestimmtes Hintergrundgefühl zu geben. Das große, stille Computergefühl.“

„Und – was ist der Kern dieses Gefühls?“

„Du gehst das viel zu vernunftmäßig an.“

Mein Besuch schoss beiläufig ein zwischen Daumen und Mittelfinger geklemmtes Papierkügelchen ab, das an ein Plastiklineal in einem Becher am Schreibtisch prallte, der daraufhin Übergewicht bekam und auf die Kaffeetasse fiel, die ich reflexhaft wegzuziehen versuchte, wobei der Löffel von der Untertasse katapultiert wurde und in einen Stapel Zeitschriften flog, von denen eine ins Rutschen und schließlich vor uns zum Stillstand kam. Auf dem Titel stand in Großbuchstaben: „KEINESWEGS!“

Ich musste an eine Donald-Duck-Geschichte denken, in der Onkel Dagobert zu einem Besuch bei Oma auf dem Land sein ganzes Geld in einem provisorischen, oben offenen Geldspeicher mitnimmt, den dann ein Tornado leersaugt, während Donald mit seinem Vetter Gustav, dem Glückspilz, beim Angeln ist und wissen möchte, was man tun muss, um immer Glück zu haben. Gustav demonstriert es ihm, indem er seinen Hut in die Luft hält und sagt „Ich wünsche, ich wünsche, dass mir eine Million Taler in den Hut fällt“, worauf aus der grauen Tornadowolke prompt die gewünschte Summe herabfällt.

„Super“, sagte mein Besuch und nieste.

„Katzen würden Whiskas kaufen", rief der Fernseher aus dem Nebenzimmer.

„Unsinn", sagte ich. „Katzen würden Beefsteak kaufen".

Der Rechner atmete, ungerührt und geschmeidig wie ein Tier.

Dann kam die Sonne raus und das war auch ein gutes Gefühl, aber der Mensch des Internet-Zeitalters erinnert doch sehr an die Lebewesen, die vor 400 Millionen Jahren vom Ozean aus das Land besiedelt haben. Deutlich wird einem das, wenn man sieht, wie dieser Mensch - man selbst - skeptisch ins Sonnenlicht blinzelt, die Jalousien zuzukippt und sich scheu mit seinem Rechner in eine dunkle Ecke des Zimmers zurückzieht, weil im Hellen am Bildschirm nichts mehr zu erkennen ist.

Mein Besuch schniefte, als wäre er betrübt. Ich drückte auf das Trackpad. Es klickte. Das ist die zeitgemäße Gefühlslage: Klicklichsein.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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