Kamasutra gibt es nicht nur zwischen Menschen
Kamasutra gibt es nicht nur zwischen Menschen
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Peter Glaser: Zukunftsreich

Das kybernetische Kamasutra

EndlichEndlichEndlich!“, jubelte ich und streichelte wie zum Abschied über den Silberschimmer meines 2011er MacBook Pro. Ich hob es hoch über meinen Kopf, so, als sollte es einem Gerätegott geopfert werden. Dann stellte ich den getreuen Rechner wieder hin. Es machte dieses geringfügige Gummifüßegeräusch.

„Siebzehn Zoll!“, rief ich.

„Retina!“, sang mein Bekannter auf die Werbemelodie einer Kräuterbonbonfirma und zeigte in der Luft, wie 17 Zoll auf 15 einschnurren. Ein Umzugsmensch mit einem alten Apple-Karton ging an uns vorbei, hinter ihm die Freundin meines Bekannten. Er zog gerade um in eine andere Wohnung weiter oben im Haus.

„Ein umgezogenes Mädchen“, sagte mein Bekannter und zeigte auf seine Freundin.

„13 Zoll“, sagte sie. Hardware-Countdown.

Die Umzugshelfer trugen seine gesammelten und gehorteten Apple-Dinge in die neue Wohnung, 1984 aufwärts. Er blickte versonnen auf die Anleitung für ein Neunzigerjahre-PowerBook. Noch in der Plastikhülle. Mac-User konnte man immer schon an den eingeschweißten Handbüchern erkennen. Die Macs waren gesäumt von Innovationen. Grafische Benutzeroberfläche, lange Dateinamen, Ethernet, Firewire, AirPort, USB – und das erste standardmäßig eingebaute CD-ROM-Laufwerk ebenso wie mit dem iMac der erste Rechner ohne Diskettenlaufwerk.

Jetzt also die Funktionstasten, die sich an den neuen Macs zu einer OLED-Streichelzeile verflüssigt haben.

„Der Touch Bar ist so neugeboren, dass für manche sogar sein Geschlecht noch unklar scheint“, sagte ich. „Manche schreiben ‚die Touch Bar‘. Hört sich für mich aber nach Cocktail mit Anfassen an.“

Die Freundin meines Bekannten fand, dass der Touch Bar ein weiterer Apple-Beitrag zu einem kybernetischen Kamasutra sei. Der erotische Umgang mit Maschinen habe mit dem iPhone begonnen, seither streichelten wir unsere Technik ganz offen.

„Der Touch Bar mag heute belächelt werden. Aber er wird in immer mehr Software eingebunden werden und dürfte in einem halben Jahr zum Standard gehören – so wie das auch bei iPod, iPhone und iPad der Fall war.“

„Freut mich, dass doch nicht alles iOS wird“, sagte mein Bekannter.

„Schatz, wo ist der Staub auf dem Schreibtisch?“, wollte seine Freundin wissen. „Ich hatte mir da eine Telefonnummer notiert.“

„Jetzt fängt wieder etwas Neues an.“

„Statt der Schnittstellengalerie an den Seiten nur noch ein intelligenter Stecker für alles.“ Dass bei einer mehr als 3000 Euro teuren Maschine nichtmal mehr die Verlängerung fürs Ladegerät dabei ist, musste ich allerdings als Geiz bemängeln.

„A propos neu anfangen: Der Startakkord ist weg“, mein Bekannter schien betrübt.

Irgendwann hatten es IT-Ingenieure aufgegeben, alle Menschen in die wundervolle Welt der Systemstatusdetails einladen zu wollen. Stattdessen komponierte Jim Reekes 1989 für den Sound Manager von System 7 einen kurzen, zuversichtlichen Klang, der bedeutete: All engines running.

Nerds feiern gern krumme Jubiläen: Vor 23 Jahren hörte man den Startup-Sound in Spielbergs „Jurassic Park“, als die Rechner im Kontrollraum des Saurier-Themenparks neu booten. mein Bekannter versuchte pantomimisch, den Mac-Startklang darzustellen, was nicht einfach ist.

„Du kennst doch Herolde aus Ritterfilmen“, sagte er, „mit diesen Posaunen mit Fahnen dran. Die minimalistische Version dieses Posaunensounds war seit 1999 der Startklang des Macs. Dieses Erhebende.“

„Ich bedaure es sehr, dass der Beruf des Herolds aus der Mode gekommen ist“, sagte ich. „Mit Posaunenschall morgens ins Bad zu schreiten, das hätte was.“

Apple zeigt jetzt eben, dass der Startakkord nur Wartemusik war“, wies ich auf die Fortschrittlichkeit der Firma hin. „Die neuen Macs brauchen nicht mehr so lange zum Booten, sie starten einfach, wenn man sie aufklappt. Dazu jedes Mal die Selbsttest-Fanfare wäre nervig. Keine Sentimentalitäten.“

Als Apple letzten Quartalszahlen veröffentlichte, waren ein Dreivierteljahr lang die Verkäufe aller Gerätesparten deutlich zurückgegangen. Apple lässt sich von sowas nicht irritieren. Die neuen Rechner kommen dann, wenn sie fertig sind. Was passiert, wenn man etwas überstürzt auf den Markt bringt, sieht man an Samsung und dem Note 7, mit dem sie dem iPhone 7 zuvorkommen wollten – mit Knalleffekt.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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