Wie trifft der Mensch finanzielle Entscheidungen?
Wie trifft der Mensch finanzielle Entscheidungen?
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Peter Glaser: Zukunftsreich

Das verschwundene Netzgeld

Als Anfang der Neunzigerjahre der Siegeszug des Internets begann, wollten ein paar Leute für die digitale Welt das Geld neu erfinden.

Einer von ihnen war David Chaum. Der amerikanische Verschlüsselungsspezialist war Ende der Achtziger in Amsterdam gelandet und hatte dort die Firma DigiCash gegründet, die - aus heutiger Sicht sehr vorausschauend - speziell an der Entwicklung von elektronischem Kleingeld interessiert war. Digitale Produkte, seien es Klingeltöne, virtuelle Blumengrüße, Musikstücke oder einzelne Zeitungsartikel, sind oft kleinteilig. Chaum erkannte, dass es im Netz einen immer größeren Bedarf an kleinem Geld geben wird.

Er erfand ein System namens „eCash“, mit dem sich digitale „Münzen“ sicher auf Festplatten speichern und anonym austauschen ließen, so wie richtiges Bargeld. Der Internet-Guru Nicholas Negroponte nannte eCash damals „das aufregendste Produkt, das ich in den letzten 20 Jahren gesehen habe.“ Es war perfekt geeignet für die Online-Übermittlung von Minibeträgen.

1998 musste DigiCash Konkurs anmelden. Was war passiert?

Die amerikanische Mark Twain Bank war die erste gewesen, die eCash ausprobiert hatte, sieben weitere Geldinstitute, darunter die Deutsche Bank und Credit Suisse, folgten. Aber die Banken wollten nicht vorpreschen, nur sicherstellen, dass sie nicht den technischen Anschluss verpassten; Banken sind konservativ (oder waren es damals zumindest). Auch die Konsumenten waren soweit zufrieden mit dem Stand der Dinge, also mit Kreditkarten und Überweisungen. Der Markt für digitales Geld stagnierte.

„Ob wir ein gutes oder ein schlechtes digitales Zahlungssystem bekommen, wird darüber entscheiden, ob wir in Zukunft in einer Diktatur oder einer wirklichen Demokratie leben“, warnte Chaum. Aber anonymes Geld mochte vielleicht für Kryptografen von gesellschaftspolitischer Bedeutung sein, Otto Normal-User konnte darin keinen besonderen Vorteil erkennen. Wie sich später herausstellen sollte, zuckte der Konsument auch nicht davor zurück, seine Kreditkartennummer in seinen Computer einzutippen und in den gesichtslosen Cyberspace zu senden.

Trotzdem rannten willige Investoren der Firma DigiCash die Türen ein. Aber David Chaum litt unter einer Berufskrankheit von Verschlüsselungsexperten: Er war paranoid. Er hatte Angst, über den Tisch gezogen zu werden – und er pokerte zu hoch. Bill Gates wollte eCash in Windows 95 integrieren und bot dafür gerüchteweise einen Betrag um die 100 Millionen Dollar. Chaum wollte zwei Dollar pro verkaufter Betriebssystemkopie und der Deal platzte – wie viele andere, mit Risikokapitalgebern, mit den Browser-Pionieren von Netscape, mit dem Kreditkartenriesen Visa.

Auch die Kreditkartenfirmen waren nicht tatenlos geblieben. MasterCard und Visa entwickelten für elektronische Zahlungen zusammen mit Banken das sogenannte Secure Electronic Transaction-Protokoll (SET), das seinerseits hohe Sicherheitsstandards wie Verschlüsselung und digitale Zertifikate beinhaltete. Aber SET stand vor demselben Problem wie die Erfinder von Cybergeld: Die Nutzer waren nicht interessiert. Auch die Komplexität des Verfahrens - der Standard umfasst über 900 Seiten - erleichterte die Verbreitung nicht gerade. Die Bequemlichkeit einer ungesicherten Transaktion wiegt offenbar ein gewisses Risiko auf. Seine Kreditkartennummer auf einem Computer ins Internet einzutippen scheint für die meisten nicht viel riskanter zu sein, als die Kreditkarte einem Kellner in einem Restaurant zu geben, der damit in ein Nebenzimmer verschwindet.

Das Interesse an digitalem Geld nahm nur schleppend zu und 1998 begann DigiCash das (echte) Geld auszugehen. Dann fingen verheißungsvolle, aber endlose Verhandlungen mit der Citibank an. Siebzig Millionen Kunden! Würde die Citibank einsteigen, würden auch die anderen Banken mitziehen, die jetzt noch zauderten. Dann brach der Börsenkurs der Citibank um fast die Hälfte ein, und das war‘s dann für DigiCash.

Mag sein, dass David Chaum seiner Zeit zu weit voraus war. Aber den anderen E-Geld-Pionieren erging es nicht viel besser. Die 1994 gegründete Firma CyberCash etwa brachte eine „elektronische Brieftasche“ und „CyberCoins“ auf den Markt. Als sie 1996 an die Börse ging, schoss der Aktienkurs am ersten Handelstag um 79% in die Höhe. Am 1. Januar 2000 fiel die Software des Unternehmens dem Jahr-2000-Problem zum Opfer und produzierte ein Riesendurcheinander. Kurz darauf behauptete ein jugendlicher russischer Hacker mit dem Kampfnamen „Maxus“, er habe die Verifikationsprozedur von CyberCash gehackt, was die Firma dementierte. Im März 2001 musste CyberCash Konkurs anmelden.

Die verwertbaren Teile des Unternehmens gingen an den Internet-Provider VeriSign, der sie 2005 an einen elektronischen Geldverteiler der neuen Generation verkaufte: das Ebay-Tochterunternehmen PayPal. Nach eigenen Angaben führt PayPal derzeit etwa 210 Millionen Konten in 190 Nationen. Auch die Deutsche Telekom führt ein erfolgreiches Zahlungssystem namens „KlickandBuy“, das für 14 Millionen Kunden in über 120 Währungen Geld transferiert.

Sind also die fatalen Neunzigerjahre vorbei und der digitale Cashflow in sicheren Gewässern? Immer neue, teils radikale Ideen zeigen, dass die Welt des Gelds im Netz nach wie vor äußerst dynamisch ist. Derzeitiger Star ist Bitcoin, eine experimentelle Form von Netzgeld, das die einen für ein Pyramidenspiel halten und andere für die größte Erfindung seit dem Internet. Das dezentral im Netz erzeugte Geld kommt ohne den Rückhalt einer Zentralbank aus, einige Banker halten es deshalb für nicht längerfristig lebensfähig. Andere sehen gerade darin das faszinierende Neue. „Bitcoin wird nicht von Leuten kontrolliert, die über Hotelstubenmädchen herfallen“, so ein Börsenhändler, von denen viele mit Bitcoin experimentieren. „Es wird nicht von Unternehmen betrieben. Nicht von Leuten, die einen Budgetrahmen einhalten müssen. Es wird von einer mathematischen Formel geleitet.“

Auch die klassischen Banken sehen sich dazu gezwungen, ihre beharrende Haltung aufzugeben – einer Umfrage zufolge sehen sie sich zunehmend durch branchenfremde Angebote zur Zahlungsabwicklung im Internet bedroht, vor allem mobilfunkbasierte Bezahlsysteme. Bankfremde Firmen verbinden digitale Innovationen mit kundenfreundlichen Finanzdienstleistungen, etwa Apps mit integrierter Bezahlfunktion wie myTaxi oder Dienste wie iZettle oder Square. Um nicht an Boden zu verlieren, müssen die Banken nun eigene Modelle für mobile Bezahlsysteme entwickeln. Und auch die Kreditkartenindustrie streckt ihre Fühler in die neuesten Erscheinungsformen der digitalen Kommunikation aus, in die sozialen Netze. American Express lässt seine US-Kunden bereits per Twitter Geld ausgeben. Sie können ihre Kreditkarte mit ihrem Twitter-Profil verknüpfen und dann einkaufen, indem sie #Hashtags twittern. Und dann hebt wieder einmal die Firma Apple das Haupt und bringt Apple Pay auf den Markt...

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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