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Peter Glaser: Zukunftsreich

Die Gesamtkompletterneuerung der Welt

Ein Freund hatte mich zum Kaffee eingeladen und wir waren unterwegs in seine Wohnung. Es war kalt, die Luft glänzte wie Displayfolie. Vor uns ging ein junger Vater, der seinen kleinen Sohn an der Hand hielt. Hinten auf seiner Jacke stand „The Walking Dad“, und ein paar stilisierte Blutstropfen liefen von den Buchstaben. Auf dem Kind stand nichts. Mir fiel ein Youtube-Video von Kindern ein, die Helium aus Wahlkampf-Luftballons einatmeten und anschließend in ihre Smartphones sprachen. Soll noch einer sagen, die heutige Jugend sei unpolitisch.

An einer Fußgängerampel kamen wir nebeneinander zu stehen. Der Vater schaute, nicht unfreundlich, aber ein bißchen wie ein 100 Millionen Jahre altes Reptil, das bestimmte Dinge schon kennt. Er sah, dass ich etwas sagen wollte und kam mir zuvor: „Seine Mutter hat auch so eine Jacke. Auf der steht ,Woman auch hinschaut - Frauen‘.“

„Einmal was anderes“, sagte ich.

Der Kleine strahlte. Mir froren die Hände. Ich nahm mir vor, eine Lösung zu suchen, wie ich mein MacBook auf Hochtouren weiterarbeiten lassen konnte, auch wenn ich es zugeklappt dabeihatte, um es als Handwärmer zu nutzen.

„Ich meine, einmal was ANDERES anderes“, sagte ich. „Alle wollen ja, dass Apple etwas anderes macht. Nicht mehr nur iPhone-Varianten, Betriebssystemvarianten und Uhrenvarianten. Etwas TOTAL anderes. Eine Macintosh-iMac-iPod-iPhone-iPad-Gesamtkompletterneuerung der Welt.“

„Ein Überraschungs-i“, sagte mein Freund.

Ich sah, wie jeder von uns andere Dunstwolken in die Kälte ausatmete. Eine von meinen nahm die Form von Vorarlberg an; die von meinem Freund wollten sich nicht so recht zu erkennen geben. Einmal was anderes – aber was? Seit einem Jahrzehnt geistern zum Beispiel Vorstellungen von einem iCar durchs Gelände. Neulich ist in Kalifornien ein Minivan mit Dachkameras gesichtet worden, der auf die Firma Apple zugelassen ist. Geht es jetzt los? Wie könnte Apple die Automobilindustrie umkrempeln? Mit etwas wie einem fahrbaren Plattenspieler von Braun?

Wir tauchten in den Wärmespace der Wohnung ein und versorgten als erstes unsere Rechner – etwas, das die Besitzer von Tieren mit Computerbesitzern gemeinsam haben. Dann bekamen wir einen Woz-Anfall. Wozniak, nichtwahr. Der Mann, der sagt: „Apple ist dafür bekannt, die Welt zu erstaunen“.

„Woz next?“, wollte mein Freund wissen.

„Woz ab“, sagte ich.

WozWozWoz.

Wir hatten auch manchmal Jobs-Anfälle, aber ein Jobs-Anfall verläuft anders. Man hat, sagen wir: ein Käsebrot vor sich, und einer macht dann mit unablässigem Einsatz erstmal die Käsescheiben fertig – „Schon allein wie die ausschauen! Alle glauben offenbar, es reicht, wenn man sie ißt, aber ich SEHE diese Käsescheiben! Sie müssen SCHÖN sein! Es reicht auch nicht, wenn wir gehobenen Käse haben. Er muß einzigartig sein. Wir brauchen den größten Käse, den es gibt!“

„Mode“, sagte ich unvermittelt, mir war die Vaterjacke wieder eingefallen. „Nimm Angela Ahrendts, die von Burberry zu Apple gekommen ist. Sie hat aus einer Mantelfirma eine internationale Marke gemacht. Wenn man Wearables nimmt, ist man schnell bei Mode. Sony will zum Beispiel eine mit eigener Bordelektronik ausgestattete Perücke auf den Markt bringen, mit Bluetooth, Kamera und GPS-Sensor.

„Ich versuche mir gerade Berlusconi mit Haaren von Apple vorzustellen“, sagte mein Freund und goß den Kaffee ein.

„Oder Medizintechnik“, schlug ich vor. „Das ist doch ein wachsender Markt.“

Ganz unten auf dem Bildschirm des Rechners meines Freunds fiel mir ein schmales Textfeld ins Auge, auf dem, so wie früher, als man in Zügen noch die Fenster öffnen konnte, stand: „Es ist verboten, sich aus dem Fenster in den Cyberspace zu lehnen“.

„Was machst du in Zukunft, wenn du blutest? Du klickst einfach ‘verbinden‘ an.“

Die Firma Fujitsu hat den Prototypen eines digitalen Spazierstocks gebaut, der weiß, wo du bist, der dich navigiert und der auch sofort mitkriegt, wenn du hingefallen bist. Weißgott, was Apple auffahren wird, um solcher Konkurrenz davonzueilen. Sie sagen ja nichts. Apple ist quasi geheim.

Aus dem Augenwinkel sah ich eine Alertbox am Bildschirm aufgehen und meinte zu lesen: „Sie arbeiten jetzt mit Reserve-Begeisterung.“

Ich erwähnte PrimeSense, von denen das Kinect-System für die Xbox von Microsofts stammt und die von Apple gekauft worden sind. Der Sensor kann nicht nur Bewegungen erkennen, sondern die Umgebung in 3D abtasten. Man könnte ihn zum Beispiel als Kollisionswarner für Leute verwenden, die im Gehen ständig auf ihr iPhone-Display starren.

„Ist das die Zukunft?“, fragte mein Freund, „immer schlauere Technik für immer blödere Nutzer?“

„Naja“, ich bemühte mich, besonders doof dreinzuschauen. „Ich hab mich auch gerade zur Fortbildung bei einem Apple-Aktienkurs angemeldet."

Dann gingen wir wieder raus in die kalte, klare Luft und hielten Ausschau nach einem technischen Frühling.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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